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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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gienischen Dinge wie die Vorhautstreckung hin und nimmt sie
als Hülfsmotiv. Damit ist aber der Weg sofort auch ins
Liebesleben eröffnet, und so wie wir das berühren, scheint mir
die Rücksicht auf das erotische Symbol als solches unerläßlich.
Gegen das aber werden alle jene hygienischen Sachen klein
und zweiten Ranges. Die Zeckenplage ist doch etwas zu lokal¬
winziges gegen die ungeheure Schamfrage!

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So erscheinen diese Nackten von Centralbrasilien in jedem
Betracht als lehrreichstes Exempel einer ganzen Stufe.

Schon ist bei ihnen der Liebesakt selber durchaus als
etwas gefaßt, das unter vier Augen gehört. Diese Stufe
haben im Prinzip wohl alle heute lebenden Völker errungen,
sie geht hinter unsere Kenntnis ins Urgrau hinein. Gerade
deshalb aber ist die Grenze von nackt und nackt bei ihnen auch
schon scharf auf der Höhe des Symbols: ohne Symbol heißt
"erotisch nackt," mit Symbol heißt "sozial, alltäglich, gleichsam
zum Arbeits- und Gesellschaftskostüm nackt, jedenfalls antierotisch¬
nackt." Vielfach deutlich ausgebildet ist das Symbol schon als
Verschluß. So gut wie gar nicht ausgebildet ist es dagegen
als wirkliche Verhüllung der Geschlechtsgegend.

Hochinteressant ist bei diesen Indianern ihr Verhältnis
zur Kleidung. Sie sind nackt, -- unserer Anschauung nach
hieße das aber ja nur: sie sind wieder entkleidet. Und seltsam:
diese Nacktesten der Nackten kennen seit alters wirklich den
Gebrauch und die Anfertigung von Kleidern, ohne daß es ihnen
etwa die späten europäischen Besucher beigebracht hätten. Sie
kennen das Kleid nämlich als althergebrachten -- Karnevals¬
schmuck. Von Zeit zu Zeit regt sich in diesem Phantasievolk
der Trieb zum Mummenschanz. Tolle Tänze mit noch tolleren
Maskeraden reißen das ganze Mannsvolk hin, als seien sie
plötzlich das Wichtigste, absolut Nötigste der Welt. Bloß die

gieniſchen Dinge wie die Vorhautſtreckung hin und nimmt ſie
als Hülfsmotiv. Damit iſt aber der Weg ſofort auch ins
Liebesleben eröffnet, und ſo wie wir das berühren, ſcheint mir
die Rückſicht auf das erotiſche Symbol als ſolches unerläßlich.
Gegen das aber werden alle jene hygieniſchen Sachen klein
und zweiten Ranges. Die Zeckenplage iſt doch etwas zu lokal¬
winziges gegen die ungeheure Schamfrage!

[Abbildung]

So erſcheinen dieſe Nackten von Centralbraſilien in jedem
Betracht als lehrreichſtes Exempel einer ganzen Stufe.

Schon iſt bei ihnen der Liebesakt ſelber durchaus als
etwas gefaßt, das unter vier Augen gehört. Dieſe Stufe
haben im Prinzip wohl alle heute lebenden Völker errungen,
ſie geht hinter unſere Kenntnis ins Urgrau hinein. Gerade
deshalb aber iſt die Grenze von nackt und nackt bei ihnen auch
ſchon ſcharf auf der Höhe des Symbols: ohne Symbol heißt
„erotiſch nackt,“ mit Symbol heißt „ſozial, alltäglich, gleichſam
zum Arbeits- und Geſellſchaftskoſtüm nackt, jedenfalls antierotiſch¬
nackt.“ Vielfach deutlich ausgebildet iſt das Symbol ſchon als
Verſchluß. So gut wie gar nicht ausgebildet iſt es dagegen
als wirkliche Verhüllung der Geſchlechtsgegend.

Hochintereſſant iſt bei dieſen Indianern ihr Verhältnis
zur Kleidung. Sie ſind nackt, — unſerer Anſchauung nach
hieße das aber ja nur: ſie ſind wieder entkleidet. Und ſeltſam:
dieſe Nackteſten der Nackten kennen ſeit alters wirklich den
Gebrauch und die Anfertigung von Kleidern, ohne daß es ihnen
etwa die ſpäten europäiſchen Beſucher beigebracht hätten. Sie
kennen das Kleid nämlich als althergebrachten — Karnevals¬
ſchmuck. Von Zeit zu Zeit regt ſich in dieſem Phantaſievolk
der Trieb zum Mummenſchanz. Tolle Tänze mit noch tolleren
Maskeraden reißen das ganze Mannsvolk hin, als ſeien ſie
plötzlich das Wichtigſte, abſolut Nötigſte der Welt. Bloß die

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[127/0141] gieniſchen Dinge wie die Vorhautſtreckung hin und nimmt ſie als Hülfsmotiv. Damit iſt aber der Weg ſofort auch ins Liebesleben eröffnet, und ſo wie wir das berühren, ſcheint mir die Rückſicht auf das erotiſche Symbol als ſolches unerläßlich. Gegen das aber werden alle jene hygieniſchen Sachen klein und zweiten Ranges. Die Zeckenplage iſt doch etwas zu lokal¬ winziges gegen die ungeheure Schamfrage! [Abbildung] So erſcheinen dieſe Nackten von Centralbraſilien in jedem Betracht als lehrreichſtes Exempel einer ganzen Stufe. Schon iſt bei ihnen der Liebesakt ſelber durchaus als etwas gefaßt, das unter vier Augen gehört. Dieſe Stufe haben im Prinzip wohl alle heute lebenden Völker errungen, ſie geht hinter unſere Kenntnis ins Urgrau hinein. Gerade deshalb aber iſt die Grenze von nackt und nackt bei ihnen auch ſchon ſcharf auf der Höhe des Symbols: ohne Symbol heißt „erotiſch nackt,“ mit Symbol heißt „ſozial, alltäglich, gleichſam zum Arbeits- und Geſellſchaftskoſtüm nackt, jedenfalls antierotiſch¬ nackt.“ Vielfach deutlich ausgebildet iſt das Symbol ſchon als Verſchluß. So gut wie gar nicht ausgebildet iſt es dagegen als wirkliche Verhüllung der Geſchlechtsgegend. Hochintereſſant iſt bei dieſen Indianern ihr Verhältnis zur Kleidung. Sie ſind nackt, — unſerer Anſchauung nach hieße das aber ja nur: ſie ſind wieder entkleidet. Und ſeltſam: dieſe Nackteſten der Nackten kennen ſeit alters wirklich den Gebrauch und die Anfertigung von Kleidern, ohne daß es ihnen etwa die ſpäten europäiſchen Beſucher beigebracht hätten. Sie kennen das Kleid nämlich als althergebrachten — Karnevals¬ ſchmuck. Von Zeit zu Zeit regt ſich in dieſem Phantaſievolk der Trieb zum Mummenſchanz. Tolle Tänze mit noch tolleren Maskeraden reißen das ganze Mannsvolk hin, als ſeien ſie plötzlich das Wichtigſte, abſolut Nötigſte der Welt. Bloß die

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/141>, abgerufen am 21.11.2024.