Heiligungen religiöser Verklärung, allen Feuerflammen der Moral wie Brunhild in ihrer Waberlohe umgürtete "Ehe" bildet faktisch auch nur einen Pfahlbau inmitten eines weiten Meeres von Untreue, Störungen, Idealtrübungen, gewaltsamen Rissen aller Art. Das ist so und war stets so. Auch das Vogelweibchen ist in so und so viel Einzelfällen untreu, Ehen zerreißen doch noch wieder, die Witwe tröstet sich rascher noch als die berühmte von Ephesus. Das ist aber das Nebenwerk: die allgemeine Gebrechlichkeit jeder Institution. In der Masse triumphiert die monogamische Dauerehe des Vogels trotzdem absolut.
Das geringste Nachdenken zeigt, wie im Sinne jener Skala gerade der Vogel auf diese Ehe geraten sein muß.
Von der Eidechse übernahm er den Brauch, seine Eier noch äußerlich abzulegen. Erst im gelegten Ei, unter dicker Kalkschale, entwickelte sich das Junge, außerhalb der Mutter. Aber diese Vogelmutter hatte etwas Besonderes: Wärme. Sie hatte eine innere Heizung. Es ist der Natur auf dieser Stufe nicht geglückt, diese Heizung schon in das Ei zu bringen im Sinne, daß dieses sich selbst von innen heizte. Es will vom elterlichen Leibe noch gewärmt, will bebrütet werden. Das Bedürfnis des alten Tieres, sich brütend auf seine Eier zu setzen, hat dann wieder das Nest erzeugt. Der Strauß legt seine Eier noch wie die Schildkröte in eine schlichte Sandgrube und benutzt wenigstens in den Pausen des Brütens einfach die Sonnenwärme in diesem Sande als Brütofen. Unser kleiner schnurrender Ziegenmelker der Sommernacht wählt als Niststätte einfach einen verborgenen Winkel des gestrüppverdeckten Wald¬ bodens, einen Nestbau kennt er noch nicht. Aber dann siehst du Schritt für Schritt ansteigend die Fortschritte. Der schaufelt eine kleine Mulde im Erdreich, der scharrt schon selber etwas Gestrüpp darin zusammen. Die Wildente füttert schon mit ein paar weichen Federn, -- das wird bei der Eiderente zum wahren Daunenbett. Der Pinguin tieft die Mulde nach unten
Heiligungen religiöſer Verklärung, allen Feuerflammen der Moral wie Brunhild in ihrer Waberlohe umgürtete „Ehe“ bildet faktiſch auch nur einen Pfahlbau inmitten eines weiten Meeres von Untreue, Störungen, Idealtrübungen, gewaltſamen Riſſen aller Art. Das iſt ſo und war ſtets ſo. Auch das Vogelweibchen iſt in ſo und ſo viel Einzelfällen untreu, Ehen zerreißen doch noch wieder, die Witwe tröſtet ſich raſcher noch als die berühmte von Epheſus. Das iſt aber das Nebenwerk: die allgemeine Gebrechlichkeit jeder Inſtitution. In der Maſſe triumphiert die monogamiſche Dauerehe des Vogels trotzdem abſolut.
Das geringſte Nachdenken zeigt, wie im Sinne jener Skala gerade der Vogel auf dieſe Ehe geraten ſein muß.
Von der Eidechſe übernahm er den Brauch, ſeine Eier noch äußerlich abzulegen. Erſt im gelegten Ei, unter dicker Kalkſchale, entwickelte ſich das Junge, außerhalb der Mutter. Aber dieſe Vogelmutter hatte etwas Beſonderes: Wärme. Sie hatte eine innere Heizung. Es iſt der Natur auf dieſer Stufe nicht geglückt, dieſe Heizung ſchon in das Ei zu bringen im Sinne, daß dieſes ſich ſelbſt von innen heizte. Es will vom elterlichen Leibe noch gewärmt, will bebrütet werden. Das Bedürfnis des alten Tieres, ſich brütend auf ſeine Eier zu ſetzen, hat dann wieder das Neſt erzeugt. Der Strauß legt ſeine Eier noch wie die Schildkröte in eine ſchlichte Sandgrube und benutzt wenigſtens in den Pauſen des Brütens einfach die Sonnenwärme in dieſem Sande als Brütofen. Unſer kleiner ſchnurrender Ziegenmelker der Sommernacht wählt als Niſtſtätte einfach einen verborgenen Winkel des geſtrüppverdeckten Wald¬ bodens, einen Neſtbau kennt er noch nicht. Aber dann ſiehſt du Schritt für Schritt anſteigend die Fortſchritte. Der ſchaufelt eine kleine Mulde im Erdreich, der ſcharrt ſchon ſelber etwas Geſtrüpp darin zuſammen. Die Wildente füttert ſchon mit ein paar weichen Federn, — das wird bei der Eiderente zum wahren Daunenbett. Der Pinguin tieft die Mulde nach unten
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0176"n="162"/>
Heiligungen religiöſer Verklärung, allen Feuerflammen der<lb/>
Moral wie Brunhild in ihrer Waberlohe umgürtete „Ehe“<lb/>
bildet faktiſch auch nur einen Pfahlbau inmitten eines weiten<lb/>
Meeres von Untreue, Störungen, Idealtrübungen, gewaltſamen<lb/>
Riſſen aller Art. Das iſt ſo und war ſtets ſo. Auch das<lb/>
Vogelweibchen iſt in ſo und ſo viel Einzelfällen untreu, Ehen<lb/>
zerreißen doch noch wieder, die Witwe tröſtet ſich raſcher noch<lb/>
als die berühmte von Epheſus. Das iſt aber das Nebenwerk:<lb/>
die allgemeine Gebrechlichkeit jeder Inſtitution. In der Maſſe<lb/>
triumphiert die monogamiſche Dauerehe des Vogels trotzdem<lb/>
abſolut.</p><lb/><p>Das geringſte Nachdenken zeigt, wie im Sinne jener<lb/>
Skala gerade der Vogel auf dieſe Ehe geraten ſein muß.</p><lb/><p>Von der Eidechſe übernahm er den Brauch, ſeine Eier<lb/>
noch äußerlich abzulegen. Erſt im gelegten Ei, unter dicker<lb/>
Kalkſchale, entwickelte ſich das Junge, außerhalb der Mutter.<lb/>
Aber dieſe Vogelmutter hatte etwas Beſonderes: Wärme. Sie<lb/>
hatte eine innere Heizung. Es iſt der Natur auf dieſer Stufe<lb/>
nicht geglückt, dieſe Heizung ſchon in das Ei zu bringen im<lb/>
Sinne, daß dieſes ſich ſelbſt von innen heizte. Es will vom<lb/>
elterlichen Leibe noch gewärmt, will bebrütet werden. Das<lb/>
Bedürfnis des alten Tieres, ſich brütend auf ſeine Eier zu<lb/>ſetzen, hat dann wieder das Neſt erzeugt. Der Strauß legt<lb/>ſeine Eier noch wie die Schildkröte in eine ſchlichte Sandgrube<lb/>
und benutzt wenigſtens in den Pauſen des Brütens einfach die<lb/>
Sonnenwärme in dieſem Sande als Brütofen. Unſer kleiner<lb/>ſchnurrender Ziegenmelker der Sommernacht wählt als Niſtſtätte<lb/>
einfach einen verborgenen Winkel des geſtrüppverdeckten Wald¬<lb/>
bodens, einen Neſtbau kennt er noch nicht. Aber dann ſiehſt<lb/>
du Schritt für Schritt anſteigend die Fortſchritte. Der ſchaufelt<lb/>
eine kleine Mulde im Erdreich, der ſcharrt ſchon ſelber etwas<lb/>
Geſtrüpp darin zuſammen. Die Wildente füttert ſchon mit ein<lb/>
paar weichen Federn, — das wird bei der Eiderente zum<lb/>
wahren Daunenbett. Der Pinguin tieft die Mulde nach unten<lb/></p></div></body></text></TEI>
[162/0176]
Heiligungen religiöſer Verklärung, allen Feuerflammen der
Moral wie Brunhild in ihrer Waberlohe umgürtete „Ehe“
bildet faktiſch auch nur einen Pfahlbau inmitten eines weiten
Meeres von Untreue, Störungen, Idealtrübungen, gewaltſamen
Riſſen aller Art. Das iſt ſo und war ſtets ſo. Auch das
Vogelweibchen iſt in ſo und ſo viel Einzelfällen untreu, Ehen
zerreißen doch noch wieder, die Witwe tröſtet ſich raſcher noch
als die berühmte von Epheſus. Das iſt aber das Nebenwerk:
die allgemeine Gebrechlichkeit jeder Inſtitution. In der Maſſe
triumphiert die monogamiſche Dauerehe des Vogels trotzdem
abſolut.
Das geringſte Nachdenken zeigt, wie im Sinne jener
Skala gerade der Vogel auf dieſe Ehe geraten ſein muß.
Von der Eidechſe übernahm er den Brauch, ſeine Eier
noch äußerlich abzulegen. Erſt im gelegten Ei, unter dicker
Kalkſchale, entwickelte ſich das Junge, außerhalb der Mutter.
Aber dieſe Vogelmutter hatte etwas Beſonderes: Wärme. Sie
hatte eine innere Heizung. Es iſt der Natur auf dieſer Stufe
nicht geglückt, dieſe Heizung ſchon in das Ei zu bringen im
Sinne, daß dieſes ſich ſelbſt von innen heizte. Es will vom
elterlichen Leibe noch gewärmt, will bebrütet werden. Das
Bedürfnis des alten Tieres, ſich brütend auf ſeine Eier zu
ſetzen, hat dann wieder das Neſt erzeugt. Der Strauß legt
ſeine Eier noch wie die Schildkröte in eine ſchlichte Sandgrube
und benutzt wenigſtens in den Pauſen des Brütens einfach die
Sonnenwärme in dieſem Sande als Brütofen. Unſer kleiner
ſchnurrender Ziegenmelker der Sommernacht wählt als Niſtſtätte
einfach einen verborgenen Winkel des geſtrüppverdeckten Wald¬
bodens, einen Neſtbau kennt er noch nicht. Aber dann ſiehſt
du Schritt für Schritt anſteigend die Fortſchritte. Der ſchaufelt
eine kleine Mulde im Erdreich, der ſcharrt ſchon ſelber etwas
Geſtrüpp darin zuſammen. Die Wildente füttert ſchon mit ein
paar weichen Federn, — das wird bei der Eiderente zum
wahren Daunenbett. Der Pinguin tieft die Mulde nach unten
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/176>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.