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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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Da auf einmal tauchen wie in der skandinavischen Sturm¬
nacht von der Hochsee her anschwimmende Tiere auf, große
Meersäugetiere, die wie die Ochsen brüllen: nämlich alte
männliche Seebären.

Sie erscheinen als Vorboten einer geheimnisvollen Wander¬
schaft. Acht Monate jetzt hat sich dieses Robbenvolk frei in
der Meeresweite herumgetrieben, -- in diesem ungeheueren
Meer, das nach Süden abermals bis zum Pol flutet, an
Koralleninseln mit wehenden Palmen und Bananen vorbei bis
in die wilde Öde, wo nur die schwarzweißen Pinguine noch in
langer Reihe auf einem kristallblauen Eisberge dahinsegeln.
Dort wußten sie von Liebe nichts, von Ehe nichts. Höchstens
von einer allgemeinen harmlosen Geselligkeit. Da aber, ge¬
nau wie bei den Heringen, regt sich in beiden Geschlechtern
plötzlich ein unhemmbarer Drang.

Ans Land!

Es ist wie ein Besinnen auf die uralte Säugetierheimat,
-- Melusine, die sich plötzlich erinnert, das sie einmal Mensch
war .... Aber mehr. Zurück zur eigenen Jugendstätte! Jedes
ist in ersten Tagen einmal am Lande gewesen, hat dort das
Licht der Welt individuell erblickt. Das mag die Jüngeren
besonders dunkel ziehen. In den Älteren, den Lebensreifen,
arbeitet dagegen noch etwas ganz besonderes, etwas noch
"lebendigeres."

Es ist bei Mann und Weib zunächst verschieden, grade
darin aber hat es eine echte Heringsähnlichkeit,

Der Robbenmann fühlt Liebessehnsucht im Sinne des
Heringsmännchens: seine Brunst ist erwacht, seine Zeugungs¬
zellen wollen auf die große Wanderschaft zur Unsterblichkeit
der Art.

Das Robbenweib dagegen fühlt einen Drang, der aller¬
dings auch durchaus dem des weiblichen Herings entspricht und
der dort, beim Heringsfrauchen, in der That ebenfalls mit dem
Begriff der Liebe zusammenfiel, -- der aber hier, beim Säuge¬

Da auf einmal tauchen wie in der ſkandinaviſchen Sturm¬
nacht von der Hochſee her anſchwimmende Tiere auf, große
Meerſäugetiere, die wie die Ochſen brüllen: nämlich alte
männliche Seebären.

Sie erſcheinen als Vorboten einer geheimnisvollen Wander¬
ſchaft. Acht Monate jetzt hat ſich dieſes Robbenvolk frei in
der Meeresweite herumgetrieben, — in dieſem ungeheueren
Meer, das nach Süden abermals bis zum Pol flutet, an
Koralleninſeln mit wehenden Palmen und Bananen vorbei bis
in die wilde Öde, wo nur die ſchwarzweißen Pinguine noch in
langer Reihe auf einem kriſtallblauen Eisberge dahinſegeln.
Dort wußten ſie von Liebe nichts, von Ehe nichts. Höchſtens
von einer allgemeinen harmloſen Geſelligkeit. Da aber, ge¬
nau wie bei den Heringen, regt ſich in beiden Geſchlechtern
plötzlich ein unhemmbarer Drang.

Ans Land!

Es iſt wie ein Beſinnen auf die uralte Säugetierheimat,
— Meluſine, die ſich plötzlich erinnert, das ſie einmal Menſch
war .... Aber mehr. Zurück zur eigenen Jugendſtätte! Jedes
iſt in erſten Tagen einmal am Lande geweſen, hat dort das
Licht der Welt individuell erblickt. Das mag die Jüngeren
beſonders dunkel ziehen. In den Älteren, den Lebensreifen,
arbeitet dagegen noch etwas ganz beſonderes, etwas noch
„lebendigeres.“

Es iſt bei Mann und Weib zunächſt verſchieden, grade
darin aber hat es eine echte Heringsähnlichkeit,

Der Robbenmann fühlt Liebesſehnſucht im Sinne des
Heringsmännchens: ſeine Brunſt iſt erwacht, ſeine Zeugungs¬
zellen wollen auf die große Wanderſchaft zur Unſterblichkeit
der Art.

Das Robbenweib dagegen fühlt einen Drang, der aller¬
dings auch durchaus dem des weiblichen Herings entſpricht und
der dort, beim Heringsfrauchen, in der That ebenfalls mit dem
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[174/0188] Da auf einmal tauchen wie in der ſkandinaviſchen Sturm¬ nacht von der Hochſee her anſchwimmende Tiere auf, große Meerſäugetiere, die wie die Ochſen brüllen: nämlich alte männliche Seebären. Sie erſcheinen als Vorboten einer geheimnisvollen Wander¬ ſchaft. Acht Monate jetzt hat ſich dieſes Robbenvolk frei in der Meeresweite herumgetrieben, — in dieſem ungeheueren Meer, das nach Süden abermals bis zum Pol flutet, an Koralleninſeln mit wehenden Palmen und Bananen vorbei bis in die wilde Öde, wo nur die ſchwarzweißen Pinguine noch in langer Reihe auf einem kriſtallblauen Eisberge dahinſegeln. Dort wußten ſie von Liebe nichts, von Ehe nichts. Höchſtens von einer allgemeinen harmloſen Geſelligkeit. Da aber, ge¬ nau wie bei den Heringen, regt ſich in beiden Geſchlechtern plötzlich ein unhemmbarer Drang. Ans Land! Es iſt wie ein Beſinnen auf die uralte Säugetierheimat, — Meluſine, die ſich plötzlich erinnert, das ſie einmal Menſch war .... Aber mehr. Zurück zur eigenen Jugendſtätte! Jedes iſt in erſten Tagen einmal am Lande geweſen, hat dort das Licht der Welt individuell erblickt. Das mag die Jüngeren beſonders dunkel ziehen. In den Älteren, den Lebensreifen, arbeitet dagegen noch etwas ganz beſonderes, etwas noch „lebendigeres.“ Es iſt bei Mann und Weib zunächſt verſchieden, grade darin aber hat es eine echte Heringsähnlichkeit, Der Robbenmann fühlt Liebesſehnſucht im Sinne des Heringsmännchens: ſeine Brunſt iſt erwacht, ſeine Zeugungs¬ zellen wollen auf die große Wanderſchaft zur Unſterblichkeit der Art. Das Robbenweib dagegen fühlt einen Drang, der aller¬ dings auch durchaus dem des weiblichen Herings entſpricht und der dort, beim Heringsfrauchen, in der That ebenfalls mit dem Begriff der Liebe zuſammenfiel, — der aber hier, beim Säuge¬

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/188>, abgerufen am 27.11.2024.