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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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durch das Soziale; wieder noch weitere aber auch, in denen
dieses Soziale in gewisse Konflikte und Nötigungen gerät um¬
gekehrt durch Einmischung der Ehe.

Bleibe doch gleich bei der letzten, schönen Historie vom
Affen. Hier siehst du vollkommen deutlich schon angedeutet,
wie das Verhältnis vom Leittier zur Herde noch über die ein¬
fache, polygamische Ehe hinausführt, -- bis an eine Grenze
wo die Ehe überhaupt wieder anfängt zu schwimmen.

In der Herde hast du Männer und Weiber. Über beiden
und ihren Beziehungen aber steht der Leitmann, der Anführer
noch einmal als ein besonderer Mann, eine Art "Übermann",
der alle Beziehungen dort nur duldet, soweit sie ihm nicht in
die Quere kommen, der dabei für sich aber das Recht auf alle
Weiber des Stammes zusammen noch wieder separat besitzt. Laß
in der Gruppe Ehen sein, wie sie wollen und so viele wie wollen,
monogamische oder polygamische, zeitliche oder lebenslängliche:
der Häuptling umgreift sie noch einmal alle mit einem höheren
Kollektivrecht, er lebt für sein Teil mit der gesamten weib¬
lichen Partei des Stammes in einer Kollektivehe, die als Ober¬
ehe alle jene Verbände in sich faßt und, je nach Bedarf, für
die persönlichen Liebeswünsche des Herrn Anführers ausschaltet.

In diesem Prinzip liegt nicht mehr bloß eine Erweiterung
des Ehebegriffs: es liegt schon ein Anlauf darin zu einer
Auflösung dieses Begriffs in verwickeltere soziale Uberordnungen
hinein. Es tritt ein Besitzrecht auf das Weib auf, das sich
nicht mehr mit der Ehe einfach deckt.

[Abbildung]

Dieses Wörtlein "Besitz" ist ja wieder für sich ein sehr
interessantes in der ganzen Geschichte.

Der Besitzbegriff in der Ehe ist im Tierreich offenbar genau
so alt wie jene beiden Begriffe "Seltenheitswert" und "Lieb¬
haberwert". Wo das andere Geschlecht überhaupt selten war,

durch das Soziale; wieder noch weitere aber auch, in denen
dieſes Soziale in gewiſſe Konflikte und Nötigungen gerät um¬
gekehrt durch Einmiſchung der Ehe.

Bleibe doch gleich bei der letzten, ſchönen Hiſtorie vom
Affen. Hier ſiehſt du vollkommen deutlich ſchon angedeutet,
wie das Verhältnis vom Leittier zur Herde noch über die ein¬
fache, polygamiſche Ehe hinausführt, — bis an eine Grenze
wo die Ehe überhaupt wieder anfängt zu ſchwimmen.

In der Herde haſt du Männer und Weiber. Über beiden
und ihren Beziehungen aber ſteht der Leitmann, der Anführer
noch einmal als ein beſonderer Mann, eine Art „Übermann“,
der alle Beziehungen dort nur duldet, ſoweit ſie ihm nicht in
die Quere kommen, der dabei für ſich aber das Recht auf alle
Weiber des Stammes zuſammen noch wieder ſeparat beſitzt. Laß
in der Gruppe Ehen ſein, wie ſie wollen und ſo viele wie wollen,
monogamiſche oder polygamiſche, zeitliche oder lebenslängliche:
der Häuptling umgreift ſie noch einmal alle mit einem höheren
Kollektivrecht, er lebt für ſein Teil mit der geſamten weib¬
lichen Partei des Stammes in einer Kollektivehe, die als Ober¬
ehe alle jene Verbände in ſich faßt und, je nach Bedarf, für
die perſönlichen Liebeswünſche des Herrn Anführers ausſchaltet.

In dieſem Prinzip liegt nicht mehr bloß eine Erweiterung
des Ehebegriffs: es liegt ſchon ein Anlauf darin zu einer
Auflöſung dieſes Begriffs in verwickeltere ſoziale Uberordnungen
hinein. Es tritt ein Beſitzrecht auf das Weib auf, das ſich
nicht mehr mit der Ehe einfach deckt.

[Abbildung]

Dieſes Wörtlein „Beſitz“ iſt ja wieder für ſich ein ſehr
intereſſantes in der ganzen Geſchichte.

Der Beſitzbegriff in der Ehe iſt im Tierreich offenbar genau
ſo alt wie jene beiden Begriffe „Seltenheitswert“ und „Lieb¬
haberwert“. Wo das andere Geſchlecht überhaupt ſelten war,

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[198/0212] durch das Soziale; wieder noch weitere aber auch, in denen dieſes Soziale in gewiſſe Konflikte und Nötigungen gerät um¬ gekehrt durch Einmiſchung der Ehe. Bleibe doch gleich bei der letzten, ſchönen Hiſtorie vom Affen. Hier ſiehſt du vollkommen deutlich ſchon angedeutet, wie das Verhältnis vom Leittier zur Herde noch über die ein¬ fache, polygamiſche Ehe hinausführt, — bis an eine Grenze wo die Ehe überhaupt wieder anfängt zu ſchwimmen. In der Herde haſt du Männer und Weiber. Über beiden und ihren Beziehungen aber ſteht der Leitmann, der Anführer noch einmal als ein beſonderer Mann, eine Art „Übermann“, der alle Beziehungen dort nur duldet, ſoweit ſie ihm nicht in die Quere kommen, der dabei für ſich aber das Recht auf alle Weiber des Stammes zuſammen noch wieder ſeparat beſitzt. Laß in der Gruppe Ehen ſein, wie ſie wollen und ſo viele wie wollen, monogamiſche oder polygamiſche, zeitliche oder lebenslängliche: der Häuptling umgreift ſie noch einmal alle mit einem höheren Kollektivrecht, er lebt für ſein Teil mit der geſamten weib¬ lichen Partei des Stammes in einer Kollektivehe, die als Ober¬ ehe alle jene Verbände in ſich faßt und, je nach Bedarf, für die perſönlichen Liebeswünſche des Herrn Anführers ausſchaltet. In dieſem Prinzip liegt nicht mehr bloß eine Erweiterung des Ehebegriffs: es liegt ſchon ein Anlauf darin zu einer Auflöſung dieſes Begriffs in verwickeltere ſoziale Uberordnungen hinein. Es tritt ein Beſitzrecht auf das Weib auf, das ſich nicht mehr mit der Ehe einfach deckt. [Abbildung] Dieſes Wörtlein „Beſitz“ iſt ja wieder für ſich ein ſehr intereſſantes in der ganzen Geſchichte. Der Beſitzbegriff in der Ehe iſt im Tierreich offenbar genau ſo alt wie jene beiden Begriffe „Seltenheitswert“ und „Lieb¬ haberwert“. Wo das andere Geſchlecht überhaupt ſelten war,

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/212>, abgerufen am 28.11.2024.