Fülle, wo eine solche lustige Räuberromantik heute noch der Ehe vorausläuft, hergebracht, als müsse es so sein, wenn auch meist in eine halbspielende Form gebracht, die uns zeigt, daß gemilderte Sitte hier nur noch ein Schattenbild alten blutigen Ernstes bewahrt. Auf dem Festland von Australien und in Neu-Guinea, auf den Fidschis im Korallenmeere und wieder auf den Kurilen und bei den Samojeden und Lappen hoch im Norden, bei den Feuerländern polarisch tief im Süden, -- überall holt der Bräutigam sich heimlich, bei Nacht, durch Ein¬ bruch und List und, wenn es not thut, unter kleinen Kämpfen mit den Verwandten sogar, die Liebste aus dem fremden Stamm heraus. Freilich ist es in den meisten dieser noch "lebendigen" Fälle nicht mehr ein Raub gerade auf Tod und Leben. Schließlich will man ja doch, daß die jungen Leute Ehen gründen. Bei den Australiern ist der eigentlich grobe Raub meist nur ein Ausweg, wo ein ordentliches Rechtsgeschäft zwischen Stamm und Stamm nicht zustande kommen will. Die Seele dieses friedlichen Rechtsgeschäfts würde ja sein, daß jeder Stamm mit dem anderen genau seine disponiblen Jüng¬ linge und Mädchen kreuzweise austauschte. Wo aber die Jünglinge des einen Stammes nicht genug Schwestern als Gegengift ins Feld führen können, also an sich verworrene Fäden einspielen, da muß der Raub das Recht brechen: der junge Mann stibitzt sich ein Mädel außerhalb aller Verein¬ barung, und wenn das selber auch willig mitgeht, so setzt es für den Entführer doch eventuell jetzt wirklich noch blutigen Kampf mit den Anverwandten der Entführten. Anderswo ist aber, eben mit immer besseren Sitten, der ganze "Raub" eine Art Komödie geworden, blos geeignet, mit etwas Sturm und Drang über den Akt des Losreißens der Braut von ihrer Familie irgendwie wegzuhelfen. Der Brautraub ist da zum Polterabendscherz oder zur derben Ehekomödie für die Un¬ beteiligten umgeformt. Das hast du bis zu unseren deutschen Bauern von heute noch im bayrischen Hochzeitsspiel des
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Fülle, wo eine ſolche luſtige Räuberromantik heute noch der Ehe vorausläuft, hergebracht, als müſſe es ſo ſein, wenn auch meiſt in eine halbſpielende Form gebracht, die uns zeigt, daß gemilderte Sitte hier nur noch ein Schattenbild alten blutigen Ernſtes bewahrt. Auf dem Feſtland von Auſtralien und in Neu-Guinea, auf den Fidſchis im Korallenmeere und wieder auf den Kurilen und bei den Samojeden und Lappen hoch im Norden, bei den Feuerländern polariſch tief im Süden, — überall holt der Bräutigam ſich heimlich, bei Nacht, durch Ein¬ bruch und Liſt und, wenn es not thut, unter kleinen Kämpfen mit den Verwandten ſogar, die Liebſte aus dem fremden Stamm heraus. Freilich iſt es in den meiſten dieſer noch „lebendigen“ Fälle nicht mehr ein Raub gerade auf Tod und Leben. Schließlich will man ja doch, daß die jungen Leute Ehen gründen. Bei den Auſtraliern iſt der eigentlich grobe Raub meiſt nur ein Ausweg, wo ein ordentliches Rechtsgeſchäft zwiſchen Stamm und Stamm nicht zuſtande kommen will. Die Seele dieſes friedlichen Rechtsgeſchäfts würde ja ſein, daß jeder Stamm mit dem anderen genau ſeine disponiblen Jüng¬ linge und Mädchen kreuzweiſe austauſchte. Wo aber die Jünglinge des einen Stammes nicht genug Schweſtern als Gegengift ins Feld führen können, alſo an ſich verworrene Fäden einſpielen, da muß der Raub das Recht brechen: der junge Mann ſtibitzt ſich ein Mädel außerhalb aller Verein¬ barung, und wenn das ſelber auch willig mitgeht, ſo ſetzt es für den Entführer doch eventuell jetzt wirklich noch blutigen Kampf mit den Anverwandten der Entführten. Anderswo iſt aber, eben mit immer beſſeren Sitten, der ganze „Raub“ eine Art Komödie geworden, blos geeignet, mit etwas Sturm und Drang über den Akt des Losreißens der Braut von ihrer Familie irgendwie wegzuhelfen. Der Brautraub iſt da zum Polterabendſcherz oder zur derben Ehekomödie für die Un¬ beteiligten umgeformt. Das haſt du bis zu unſeren deutſchen Bauern von heute noch im bayriſchen Hochzeitsſpiel des
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Fülle, wo eine ſolche luſtige Räuberromantik heute noch der
Ehe vorausläuft, hergebracht, als müſſe es ſo ſein, wenn auch
meiſt in eine halbſpielende Form gebracht, die uns zeigt, daß
gemilderte Sitte hier nur noch ein Schattenbild alten blutigen
Ernſtes bewahrt. Auf dem Feſtland von Auſtralien und in
Neu-Guinea, auf den Fidſchis im Korallenmeere und wieder
auf den Kurilen und bei den Samojeden und Lappen hoch im
Norden, bei den Feuerländern polariſch tief im Süden, —
überall holt der Bräutigam ſich heimlich, bei Nacht, durch Ein¬
bruch und Liſt und, wenn es not thut, unter kleinen Kämpfen
mit den Verwandten ſogar, die Liebſte aus dem fremden Stamm
heraus. Freilich iſt es in den meiſten dieſer noch „lebendigen“
Fälle nicht mehr ein Raub gerade auf Tod und Leben.
Schließlich will man ja doch, daß die jungen Leute Ehen
gründen. Bei den Auſtraliern iſt der eigentlich grobe Raub
meiſt nur ein Ausweg, wo ein ordentliches Rechtsgeſchäft
zwiſchen Stamm und Stamm nicht zuſtande kommen will. Die
Seele dieſes friedlichen Rechtsgeſchäfts würde ja ſein, daß
jeder Stamm mit dem anderen genau ſeine disponiblen Jüng¬
linge und Mädchen kreuzweiſe austauſchte. Wo aber die
Jünglinge des einen Stammes nicht genug Schweſtern als
Gegengift ins Feld führen können, alſo an ſich verworrene
Fäden einſpielen, da muß der Raub das Recht brechen: der
junge Mann ſtibitzt ſich ein Mädel außerhalb aller Verein¬
barung, und wenn das ſelber auch willig mitgeht, ſo ſetzt es
für den Entführer doch eventuell jetzt wirklich noch blutigen
Kampf mit den Anverwandten der Entführten. Anderswo iſt
aber, eben mit immer beſſeren Sitten, der ganze „Raub“ eine
Art Komödie geworden, blos geeignet, mit etwas Sturm und
Drang über den Akt des Losreißens der Braut von ihrer
Familie irgendwie wegzuhelfen. Der Brautraub iſt da zum
Polterabendſcherz oder zur derben Ehekomödie für die Un¬
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/255>, abgerufen am 21.11.2024.
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