alle individuelle Wahl? Soll etwa gerade der Mensch auf Formen des Liebeslebens geraten sein, die diesen ungeheuren Faktor, der doch schon im oberen Tierreiche mächtig und mächtiger heranwächst, wenigstens zeitweise ganz wieder aus¬ geschaltet haben?
Nun ließe sich ja sagen, es möchte für den Freier ein einziger Blick auf die Körperschöne des Mädchens genügen, daß er Lust fühle, auf den Kauf einzugehen, und das wäre dann schon eine ästhetische Wahl. Das Mädchen aber könnte denken, wer am besten zahlt, so daß der Vater auf die Sache eingeht, der wird der beste sein. Aber schon die letztere Ent¬ schuldigung hinkt gefährlich. Es liegt ja auch für den Menschen wie für den Maulwurf ein unvergänglicher Sinn in dem Ge¬ danken, daß der der beste Mann ist, der an das Mädchen heran kann, -- eben weil er es kann. Brunhild liegt getrost in ihrer Waberlohe: denn wer die überwindet, der muß eben ein Siegfried sein. Aber wenn die Waberlohe auch mit Geld abgezahlt werden kann, so drängt sich doch ein seltsames Ge¬ fühl auf. Und hier ist die kleine Itelmänenhistorie überaus lehrreich. Sie zeigt klärlich, wie eben doch die Natur mit ihrem Wahlgesetz zum Vorteil der unablässigen Rassenbesserung sich auch hier durchsetzte.
Das Abverdienen der Braut im Hause hat neben dem Geldsinn auch noch einen Sinn des Sichkennenlernens, es schiebt ein längeres Interreguum der Wahlfreiheit für das Mädchen ein. Eine derbe physische Kraftprobe muß das Ganze krönen, bei der aber auch schon das Fazit mitspricht, das das Mädel aus den Jahren des ledigen Nebeneinandergehens sich gezogen hat. Nun findet freilich dieses Dienen beim Schwieger¬ vater wieder nicht überall statt, -- was also dann, wenn wirk¬ lich der Freier ganz unvermittelt zum Vater des Mädels kommt und sie kaufen will?
Was nützt es, daß der Vater selbst die Tochter fragt, ob sie einwillige? Wo die Verhältnisse nicht mehr oder
alle individuelle Wahl? Soll etwa gerade der Menſch auf Formen des Liebeslebens geraten ſein, die dieſen ungeheuren Faktor, der doch ſchon im oberen Tierreiche mächtig und mächtiger heranwächſt, wenigſtens zeitweiſe ganz wieder aus¬ geſchaltet haben?
Nun ließe ſich ja ſagen, es möchte für den Freier ein einziger Blick auf die Körperſchöne des Mädchens genügen, daß er Luſt fühle, auf den Kauf einzugehen, und das wäre dann ſchon eine äſthetiſche Wahl. Das Mädchen aber könnte denken, wer am beſten zahlt, ſo daß der Vater auf die Sache eingeht, der wird der beſte ſein. Aber ſchon die letztere Ent¬ ſchuldigung hinkt gefährlich. Es liegt ja auch für den Menſchen wie für den Maulwurf ein unvergänglicher Sinn in dem Ge¬ danken, daß der der beſte Mann iſt, der an das Mädchen heran kann, — eben weil er es kann. Brunhild liegt getroſt in ihrer Waberlohe: denn wer die überwindet, der muß eben ein Siegfried ſein. Aber wenn die Waberlohe auch mit Geld abgezahlt werden kann, ſo drängt ſich doch ein ſeltſames Ge¬ fühl auf. Und hier iſt die kleine Itelmänenhiſtorie überaus lehrreich. Sie zeigt klärlich, wie eben doch die Natur mit ihrem Wahlgeſetz zum Vorteil der unabläſſigen Raſſenbeſſerung ſich auch hier durchſetzte.
Das Abverdienen der Braut im Hauſe hat neben dem Geldſinn auch noch einen Sinn des Sichkennenlernens, es ſchiebt ein längeres Interreguum der Wahlfreiheit für das Mädchen ein. Eine derbe phyſiſche Kraftprobe muß das Ganze krönen, bei der aber auch ſchon das Fazit mitſpricht, das das Mädel aus den Jahren des ledigen Nebeneinandergehens ſich gezogen hat. Nun findet freilich dieſes Dienen beim Schwieger¬ vater wieder nicht überall ſtatt, — was alſo dann, wenn wirk¬ lich der Freier ganz unvermittelt zum Vater des Mädels kommt und ſie kaufen will?
Was nützt es, daß der Vater ſelbſt die Tochter fragt, ob ſie einwillige? Wo die Verhältniſſe nicht mehr oder
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alle individuelle Wahl? Soll etwa gerade der Menſch auf
Formen des Liebeslebens geraten ſein, die dieſen ungeheuren
Faktor, der doch ſchon im oberen Tierreiche mächtig und
mächtiger heranwächſt, wenigſtens zeitweiſe ganz wieder aus¬
geſchaltet haben?
Nun ließe ſich ja ſagen, es möchte für den Freier ein
einziger Blick auf die Körperſchöne des Mädchens genügen,
daß er Luſt fühle, auf den Kauf einzugehen, und das wäre
dann ſchon eine äſthetiſche Wahl. Das Mädchen aber könnte
denken, wer am beſten zahlt, ſo daß der Vater auf die Sache
eingeht, der wird der beſte ſein. Aber ſchon die letztere Ent¬
ſchuldigung hinkt gefährlich. Es liegt ja auch für den Menſchen
wie für den Maulwurf ein unvergänglicher Sinn in dem Ge¬
danken, daß der der beſte Mann iſt, der an das Mädchen
heran kann, — eben weil er es kann. Brunhild liegt getroſt
in ihrer Waberlohe: denn wer die überwindet, der muß eben
ein Siegfried ſein. Aber wenn die Waberlohe auch mit Geld
abgezahlt werden kann, ſo drängt ſich doch ein ſeltſames Ge¬
fühl auf. Und hier iſt die kleine Itelmänenhiſtorie überaus
lehrreich. Sie zeigt klärlich, wie eben doch die Natur mit
ihrem Wahlgeſetz zum Vorteil der unabläſſigen Raſſenbeſſerung
ſich auch hier durchſetzte.
Das Abverdienen der Braut im Hauſe hat neben dem
Geldſinn auch noch einen Sinn des Sichkennenlernens, es
ſchiebt ein längeres Interreguum der Wahlfreiheit für das
Mädchen ein. Eine derbe phyſiſche Kraftprobe muß das Ganze
krönen, bei der aber auch ſchon das Fazit mitſpricht, das das
Mädel aus den Jahren des ledigen Nebeneinandergehens ſich
gezogen hat. Nun findet freilich dieſes Dienen beim Schwieger¬
vater wieder nicht überall ſtatt, — was alſo dann, wenn wirk¬
lich der Freier ganz unvermittelt zum Vater des Mädels kommt
und ſie kaufen will?
Was nützt es, daß der Vater ſelbſt die Tochter fragt,
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/261>, abgerufen am 21.11.2024.
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