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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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Auch das ist wieder ein Zug, der durch die ganze
Menschheitsgeschichte heraufkommt, vom nackten Wilden, wo
das junge Volk vielfältig eine Art Verband unter sich bildet
mit freiesten Sitten, an denen Niemand Anstoß nimmt, --
bis zu unseren feierlichen Tanzvergnügen im Salon. Es hat
ja den Beobachtern je nachdem das verzweifeltste Kopfzerbrechen
gemacht: dicht nebeneinander stießen sie bei allen möglichen
Völkern der großen Erdenarche auf die wahrhaft raffiniertesten
Festigungen der Ehe, als sei diese das schlechterdings einzig
Echte und Heilige neben Mann und Frau -- und dann wieder
auf eine Ungebundenheit des Verkehrs der ledigen Jünglinge
und Mädchen, die alledem Hohn zu sprechen schien.

Bei den Negern in Afrika hast du vielfach die schärfste
Auffassung von Treue der Ehefrau -- und daneben gar kein
Verständnis für klösterliche Keuschheit des noch unverheirateten
Mädchens. Bei den Malayen in Lambok wird die Ehe¬
brecherin mit dem Verführer zusammengebunden und den
Krokodilen vorgeworfen: das ledige junge Mädchen kann sich
mit Männern einlassen soviel es will. Wo das Männerhaus
noch so abgeschlossen gegen alle Ehefrauen ragt, da spinnen
sich doch, wie erzählt, die Fäden ohne Scheu zu den ledigen
Mädchen hinüber. Überall kreuzt ja diesen Zug jener andere
feindlich: daß die Braut noch körperlich rein sein soll beim
Eheschluß. Wo das ein Paragraph des Kaufkontraktes wird,
muß natürlich der freie Mädchenverkehr eine Grenze haben
weit unterhalb des eigentlichen erotischen Zieles. Aber anders¬
wo legt man hierauf eben kein Gewicht und dann steht gar
nichts im Wege, daß nicht der echten Ehe die verschiedensten
Probeverhältnisse vorausgegangen sein könnten.

Wer das jetzt oberflächlich anschaut, der wird jeden
Standpunkt der Moral verlieren und von himmelschreiender
Unkeuschheit des jungen Volkes reden. Und doch hatten gerade
auch diese Sachen ihre grobe Naturmoral. Dieses freie Inter¬
regnum vor der Ehe steht in einem tiefen Kausalzusammenhang

Auch das iſt wieder ein Zug, der durch die ganze
Menſchheitsgeſchichte heraufkommt, vom nackten Wilden, wo
das junge Volk vielfältig eine Art Verband unter ſich bildet
mit freieſten Sitten, an denen Niemand Anſtoß nimmt, —
bis zu unſeren feierlichen Tanzvergnügen im Salon. Es hat
ja den Beobachtern je nachdem das verzweifeltſte Kopfzerbrechen
gemacht: dicht nebeneinander ſtießen ſie bei allen möglichen
Völkern der großen Erdenarche auf die wahrhaft raffinierteſten
Feſtigungen der Ehe, als ſei dieſe das ſchlechterdings einzig
Echte und Heilige neben Mann und Frau — und dann wieder
auf eine Ungebundenheit des Verkehrs der ledigen Jünglinge
und Mädchen, die alledem Hohn zu ſprechen ſchien.

Bei den Negern in Afrika haſt du vielfach die ſchärfſte
Auffaſſung von Treue der Ehefrau — und daneben gar kein
Verſtändnis für klöſterliche Keuſchheit des noch unverheirateten
Mädchens. Bei den Malayen in Lambok wird die Ehe¬
brecherin mit dem Verführer zuſammengebunden und den
Krokodilen vorgeworfen: das ledige junge Mädchen kann ſich
mit Männern einlaſſen ſoviel es will. Wo das Männerhaus
noch ſo abgeſchloſſen gegen alle Ehefrauen ragt, da ſpinnen
ſich doch, wie erzählt, die Fäden ohne Scheu zu den ledigen
Mädchen hinüber. Überall kreuzt ja dieſen Zug jener andere
feindlich: daß die Braut noch körperlich rein ſein ſoll beim
Eheſchluß. Wo das ein Paragraph des Kaufkontraktes wird,
muß natürlich der freie Mädchenverkehr eine Grenze haben
weit unterhalb des eigentlichen erotiſchen Zieles. Aber anders¬
wo legt man hierauf eben kein Gewicht und dann ſteht gar
nichts im Wege, daß nicht der echten Ehe die verſchiedenſten
Probeverhältniſſe vorausgegangen ſein könnten.

Wer das jetzt oberflächlich anſchaut, der wird jeden
Standpunkt der Moral verlieren und von himmelſchreiender
Unkeuſchheit des jungen Volkes reden. Und doch hatten gerade
auch dieſe Sachen ihre grobe Naturmoral. Dieſes freie Inter¬
regnum vor der Ehe ſteht in einem tiefen Kauſalzuſammenhang

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[249/0263] Auch das iſt wieder ein Zug, der durch die ganze Menſchheitsgeſchichte heraufkommt, vom nackten Wilden, wo das junge Volk vielfältig eine Art Verband unter ſich bildet mit freieſten Sitten, an denen Niemand Anſtoß nimmt, — bis zu unſeren feierlichen Tanzvergnügen im Salon. Es hat ja den Beobachtern je nachdem das verzweifeltſte Kopfzerbrechen gemacht: dicht nebeneinander ſtießen ſie bei allen möglichen Völkern der großen Erdenarche auf die wahrhaft raffinierteſten Feſtigungen der Ehe, als ſei dieſe das ſchlechterdings einzig Echte und Heilige neben Mann und Frau — und dann wieder auf eine Ungebundenheit des Verkehrs der ledigen Jünglinge und Mädchen, die alledem Hohn zu ſprechen ſchien. Bei den Negern in Afrika haſt du vielfach die ſchärfſte Auffaſſung von Treue der Ehefrau — und daneben gar kein Verſtändnis für klöſterliche Keuſchheit des noch unverheirateten Mädchens. Bei den Malayen in Lambok wird die Ehe¬ brecherin mit dem Verführer zuſammengebunden und den Krokodilen vorgeworfen: das ledige junge Mädchen kann ſich mit Männern einlaſſen ſoviel es will. Wo das Männerhaus noch ſo abgeſchloſſen gegen alle Ehefrauen ragt, da ſpinnen ſich doch, wie erzählt, die Fäden ohne Scheu zu den ledigen Mädchen hinüber. Überall kreuzt ja dieſen Zug jener andere feindlich: daß die Braut noch körperlich rein ſein ſoll beim Eheſchluß. Wo das ein Paragraph des Kaufkontraktes wird, muß natürlich der freie Mädchenverkehr eine Grenze haben weit unterhalb des eigentlichen erotiſchen Zieles. Aber anders¬ wo legt man hierauf eben kein Gewicht und dann ſteht gar nichts im Wege, daß nicht der echten Ehe die verſchiedenſten Probeverhältniſſe vorausgegangen ſein könnten. Wer das jetzt oberflächlich anſchaut, der wird jeden Standpunkt der Moral verlieren und von himmelſchreiender Unkeuſchheit des jungen Volkes reden. Und doch hatten gerade auch dieſe Sachen ihre grobe Naturmoral. Dieſes freie Inter¬ regnum vor der Ehe ſteht in einem tiefen Kauſalzuſammenhang

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/263>, abgerufen am 21.11.2024.