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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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Und jene erste These der Theorie läuft auf Grund dieser
Ursätze also hinaus auf die einzig diskutierbare Frage: sollen
wir uns denken, daß der Mensch bei seinem Auftreten bereits
ein so soziales Tier war, daß das Soziale bei ihm die Ehe
bereits vollständig wiederaufgelöst hatte?

Der Urmensch jener Theorie hätte sich in einem Stadium
befunden, wie es bei den Pinguinen etwa bereits sich nähert,
bloß noch ein Stück weiter vorgeschritten.

In dieser Fassung ist die Sache, wie gesagt, überhaupt erst
diskussionsfähig, wenn man nicht der Zoologie, in deren Lehr¬
buch der Mensch doch einmal hineingehört, ins Gesicht schlagen
will. Jetzt fragt sich aber, was für die Vermutung an Be¬
weisen beigebracht werden kann, denn ohne weiteres klar ist
nach sonstiger Tieranalogie ein solcher sozial schon aufs Höchste
gesteigerter Uranfang des Menschentiers durchaus nicht.

Die Beweise sind nun durchweg schwach.

Sie hatten, als sie zuerst kamen, allerdies etwas Ver¬
blüffendes, weil eine ganze Menge interessanter Dinge, die
wir schon besprochen haben, als da sind Mutterrecht, Frauen¬
raub, Totemismus mit Kreuzehen und so weiter, bei Ge¬
legenheit dieser Beweisführung zum erstenmal als Thatsachen
recht ans Licht traten. Aber es fragt sich, ob gerade diese
Thatsachen richtig hineingedeutet sind in die Theorie.

Eine Zeit lang hieß es, die Erde sei heute noch aller¬
enden voll von Völkern, die außerhalb jeder Ehe in regellosem
Geschlechtsverkehr lebten, also den Urzustand lebend vor Augen
führten. Davon ist es aber wieder still geworden.

In verhängnisvoller Weise hatte sich hier besonders die
Verwechslung eingedrängt mit jener so weit verbreiteten freien
Liebelei der noch Unverheirateten. Du hast gesehen, wie sie
eine Konzession an die möglichst intensive Liebeswahl darstellt,
die gemacht wird, gerade weil die Ehe besteht und in möglichst
fester Form bestehen soll.

Und jene erſte Theſe der Theorie läuft auf Grund dieſer
Urſätze alſo hinaus auf die einzig diskutierbare Frage: ſollen
wir uns denken, daß der Menſch bei ſeinem Auftreten bereits
ein ſo ſoziales Tier war, daß das Soziale bei ihm die Ehe
bereits vollſtändig wiederaufgelöſt hatte?

Der Urmenſch jener Theorie hätte ſich in einem Stadium
befunden, wie es bei den Pinguinen etwa bereits ſich nähert,
bloß noch ein Stück weiter vorgeſchritten.

In dieſer Faſſung iſt die Sache, wie geſagt, überhaupt erſt
diskuſſionsfähig, wenn man nicht der Zoologie, in deren Lehr¬
buch der Menſch doch einmal hineingehört, ins Geſicht ſchlagen
will. Jetzt fragt ſich aber, was für die Vermutung an Be¬
weiſen beigebracht werden kann, denn ohne weiteres klar iſt
nach ſonſtiger Tieranalogie ein ſolcher ſozial ſchon aufs Höchſte
geſteigerter Uranfang des Menſchentiers durchaus nicht.

Die Beweiſe ſind nun durchweg ſchwach.

Sie hatten, als ſie zuerſt kamen, allerdies etwas Ver¬
blüffendes, weil eine ganze Menge intereſſanter Dinge, die
wir ſchon beſprochen haben, als da ſind Mutterrecht, Frauen¬
raub, Totemismus mit Kreuzehen und ſo weiter, bei Ge¬
legenheit dieſer Beweisführung zum erſtenmal als Thatſachen
recht ans Licht traten. Aber es fragt ſich, ob gerade dieſe
Thatſachen richtig hineingedeutet ſind in die Theorie.

Eine Zeit lang hieß es, die Erde ſei heute noch aller¬
enden voll von Völkern, die außerhalb jeder Ehe in regelloſem
Geſchlechtsverkehr lebten, alſo den Urzuſtand lebend vor Augen
führten. Davon iſt es aber wieder ſtill geworden.

In verhängnisvoller Weiſe hatte ſich hier beſonders die
Verwechslung eingedrängt mit jener ſo weit verbreiteten freien
Liebelei der noch Unverheirateten. Du haſt geſehen, wie ſie
eine Konzeſſion an die möglichſt intenſive Liebeswahl darſtellt,
die gemacht wird, gerade weil die Ehe beſteht und in möglichſt
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[272/0286] Und jene erſte Theſe der Theorie läuft auf Grund dieſer Urſätze alſo hinaus auf die einzig diskutierbare Frage: ſollen wir uns denken, daß der Menſch bei ſeinem Auftreten bereits ein ſo ſoziales Tier war, daß das Soziale bei ihm die Ehe bereits vollſtändig wiederaufgelöſt hatte? Der Urmenſch jener Theorie hätte ſich in einem Stadium befunden, wie es bei den Pinguinen etwa bereits ſich nähert, bloß noch ein Stück weiter vorgeſchritten. In dieſer Faſſung iſt die Sache, wie geſagt, überhaupt erſt diskuſſionsfähig, wenn man nicht der Zoologie, in deren Lehr¬ buch der Menſch doch einmal hineingehört, ins Geſicht ſchlagen will. Jetzt fragt ſich aber, was für die Vermutung an Be¬ weiſen beigebracht werden kann, denn ohne weiteres klar iſt nach ſonſtiger Tieranalogie ein ſolcher ſozial ſchon aufs Höchſte geſteigerter Uranfang des Menſchentiers durchaus nicht. Die Beweiſe ſind nun durchweg ſchwach. Sie hatten, als ſie zuerſt kamen, allerdies etwas Ver¬ blüffendes, weil eine ganze Menge intereſſanter Dinge, die wir ſchon beſprochen haben, als da ſind Mutterrecht, Frauen¬ raub, Totemismus mit Kreuzehen und ſo weiter, bei Ge¬ legenheit dieſer Beweisführung zum erſtenmal als Thatſachen recht ans Licht traten. Aber es fragt ſich, ob gerade dieſe Thatſachen richtig hineingedeutet ſind in die Theorie. Eine Zeit lang hieß es, die Erde ſei heute noch aller¬ enden voll von Völkern, die außerhalb jeder Ehe in regelloſem Geſchlechtsverkehr lebten, alſo den Urzuſtand lebend vor Augen führten. Davon iſt es aber wieder ſtill geworden. In verhängnisvoller Weiſe hatte ſich hier beſonders die Verwechslung eingedrängt mit jener ſo weit verbreiteten freien Liebelei der noch Unverheirateten. Du haſt geſehen, wie ſie eine Konzeſſion an die möglichſt intenſive Liebeswahl darſtellt, die gemacht wird, gerade weil die Ehe beſteht und in möglichſt feſter Form beſtehen ſoll.

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/286>, abgerufen am 21.11.2024.