brachen. Das Fruchtwasser wurde sorgsam aufgefangen, denn der Häuptling beanspruchte das als Gott weiß was für wundersame Medizin für sein Zauberhorn. Die Wöchnerin aber muß recht schlecht aussehen, es geht nicht anders, denn sie hat drei Tage lang nur ihren eigenen Urin zu trinken bekommen. Erst am dritten Tage ließ man das Kind, das bis dahin Brei bekommen hatte, an ihr säugen, nachdem ihre Brüste erst angeschlitzt und mit Wurzelmedizin eingeseift worden waren.
Was jetzt heranflattert, ist nicht etwa eine Fledermaus. Es ist der Geist Asuang, geboren in der Phantasie der Be¬ wohner der Philippinen. Unten den Achseln hat er mystische Öldrüsen, die geben ihm die Kraft des Fliegens. Krallen hat er außerdem und eine lange Zunge wie von schwarzem Leder. Er ist der Vampyr der Schwangeren. Er frißt ihnen das Kind aus dem Leibe, wobei sie selber sterben müssen. Wie der Teufel in der deutschen Sage hat er seinen Küster, einen Nachtvogel, -- wenn der singt, so erschauert alles, denn man weiß, der Asuang geht um. Aber auch die schwangere Esthin dort wirft ihre Schuhe fort: sie macht das jede Woche einmal, denn es bringt den Teufel, der bei ihr Asuang spielen möchte, von ihrer Spur ab; er ist doch immer mächtig dumm, dieser Volksteufel! Da die arme Zigeunerin ist freilich trotz aller Schliche dem Verfolger erlegen: sie hat nämlich ein einziges Mal -- recht verzeihlich -- in ihrem Zustande ge¬ gähnt, hat aber vergessen, die Hand vorzuhalten und alsbald ist ihr so ein böser Geist in den Leib geflitzt.
Die Kirgisin daneben ist nur mit einem ganzen Arsenal vor dem "bösen Geist der Nachwehen" verteidigt worden. Schon während der Geburt ist beständig Fett ins Zeltfeuer geworfen worden. Dann haben sie aus dem Gestüte das Pferd geholt, das die größten Augen hat; es mußte den Busen der Frau berühren. Nach diesem holte man eine Eule ins Zelt, die so lange geärgert wurde, bis sie schrie: das alles kann
brachen. Das Fruchtwaſſer wurde ſorgſam aufgefangen, denn der Häuptling beanſpruchte das als Gott weiß was für wunderſame Medizin für ſein Zauberhorn. Die Wöchnerin aber muß recht ſchlecht ausſehen, es geht nicht anders, denn ſie hat drei Tage lang nur ihren eigenen Urin zu trinken bekommen. Erſt am dritten Tage ließ man das Kind, das bis dahin Brei bekommen hatte, an ihr ſäugen, nachdem ihre Brüſte erſt angeſchlitzt und mit Wurzelmedizin eingeſeift worden waren.
Was jetzt heranflattert, iſt nicht etwa eine Fledermaus. Es iſt der Geiſt Aſuang, geboren in der Phantaſie der Be¬ wohner der Philippinen. Unten den Achſeln hat er myſtiſche Öldrüſen, die geben ihm die Kraft des Fliegens. Krallen hat er außerdem und eine lange Zunge wie von ſchwarzem Leder. Er iſt der Vampyr der Schwangeren. Er frißt ihnen das Kind aus dem Leibe, wobei ſie ſelber ſterben müſſen. Wie der Teufel in der deutſchen Sage hat er ſeinen Küſter, einen Nachtvogel, — wenn der ſingt, ſo erſchauert alles, denn man weiß, der Aſuang geht um. Aber auch die ſchwangere Eſthin dort wirft ihre Schuhe fort: ſie macht das jede Woche einmal, denn es bringt den Teufel, der bei ihr Aſuang ſpielen möchte, von ihrer Spur ab; er iſt doch immer mächtig dumm, dieſer Volksteufel! Da die arme Zigeunerin iſt freilich trotz aller Schliche dem Verfolger erlegen: ſie hat nämlich ein einziges Mal — recht verzeihlich — in ihrem Zuſtande ge¬ gähnt, hat aber vergeſſen, die Hand vorzuhalten und alsbald iſt ihr ſo ein böſer Geiſt in den Leib geflitzt.
Die Kirgiſin daneben iſt nur mit einem ganzen Arſenal vor dem „böſen Geiſt der Nachwehen“ verteidigt worden. Schon während der Geburt iſt beſtändig Fett ins Zeltfeuer geworfen worden. Dann haben ſie aus dem Geſtüte das Pferd geholt, das die größten Augen hat; es mußte den Buſen der Frau berühren. Nach dieſem holte man eine Eule ins Zelt, die ſo lange geärgert wurde, bis ſie ſchrie: das alles kann
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brachen. Das Fruchtwaſſer wurde ſorgſam aufgefangen, denn
der Häuptling beanſpruchte das als Gott weiß was für
wunderſame Medizin für ſein Zauberhorn. Die Wöchnerin
aber muß recht ſchlecht ausſehen, es geht nicht anders, denn
ſie hat drei Tage lang nur ihren eigenen Urin zu trinken
bekommen. Erſt am dritten Tage ließ man das Kind, das
bis dahin Brei bekommen hatte, an ihr ſäugen, nachdem ihre
Brüſte erſt angeſchlitzt und mit Wurzelmedizin eingeſeift worden
waren.
Was jetzt heranflattert, iſt nicht etwa eine Fledermaus.
Es iſt der Geiſt Aſuang, geboren in der Phantaſie der Be¬
wohner der Philippinen. Unten den Achſeln hat er myſtiſche
Öldrüſen, die geben ihm die Kraft des Fliegens. Krallen
hat er außerdem und eine lange Zunge wie von ſchwarzem
Leder. Er iſt der Vampyr der Schwangeren. Er frißt ihnen
das Kind aus dem Leibe, wobei ſie ſelber ſterben müſſen.
Wie der Teufel in der deutſchen Sage hat er ſeinen Küſter,
einen Nachtvogel, — wenn der ſingt, ſo erſchauert alles, denn
man weiß, der Aſuang geht um. Aber auch die ſchwangere
Eſthin dort wirft ihre Schuhe fort: ſie macht das jede Woche
einmal, denn es bringt den Teufel, der bei ihr Aſuang ſpielen
möchte, von ihrer Spur ab; er iſt doch immer mächtig dumm,
dieſer Volksteufel! Da die arme Zigeunerin iſt freilich trotz
aller Schliche dem Verfolger erlegen: ſie hat nämlich ein
einziges Mal — recht verzeihlich — in ihrem Zuſtande ge¬
gähnt, hat aber vergeſſen, die Hand vorzuhalten und alsbald
iſt ihr ſo ein böſer Geiſt in den Leib geflitzt.
Die Kirgiſin daneben iſt nur mit einem ganzen Arſenal
vor dem „böſen Geiſt der Nachwehen“ verteidigt worden.
Schon während der Geburt iſt beſtändig Fett ins Zeltfeuer
geworfen worden. Dann haben ſie aus dem Geſtüte das Pferd
geholt, das die größten Augen hat; es mußte den Buſen der
Frau berühren. Nach dieſem holte man eine Eule ins Zelt,
die ſo lange geärgert wurde, bis ſie ſchrie: das alles kann
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/328>, abgerufen am 21.11.2024.
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