Weib dem Gottesboten und giebt sich ihm hin. Es ist der mystische Akt, der alle profanen überschattet, Mylitta, die in sie einfährt, um sie für immer zu besitzen.
Hörst du die wilde, berauschende Bacchantenmusik? Länger als ein Jahrtausend lang rauscht, pfeift, trommelt sie so fort im Tempelhain zu Hierapolis in Syrien. Astarte gilt sie, dem ewigen Mannweib und Weibmann zugleich, der zweigeschlechtigen, die jeder menschliche Zeugungsakt erst wieder ganz herstellt. Es ist hier die Gebetsform, dieser Zeugungsakt, der einzige Moment, wo der Mensch die Gottheit ganz erfassen kann. Weiber rasen daher, in Männerkleider gehüllt, Männer im Frauengewand. Sie vereinen sich: -- sie beten. Priester regeln die Feier, die Musik ist heilige Tempelmusik. In unermeßlichen Scharen strömt das Volk herzu am Frühlingsfest. In prachtvoller Lage strahlt der Tempel vom Hügel über der Stadt herab. Jonische Säulen tragen sein Dach, auf gewaltigen Terrassen ruht sein Fuß. Und der ganze Tempelbezirk ist eine einzige Schatzkammer herrlichster Weihgeschenke. Wer nicht Gold schenkt, schenkt ver¬ schnittene Sklaven zum Tempeldienst. An der Pforte ragen zwei himmelhohe Obelisken, Symbole der männlichen Zeugungs¬ kraft in Gestalt eines steinernen Gliedes. Alljährlich klettert auf jeden ein Mensch im Geruch der Heiligkeit, um oben sieben Tage und schlaflose Nächte zu beten; unten häufen sich die Opfergaben der Gläubigen, die er in sein Gebet einschließt.
Und das rast und rast, während drüben allmählich jen¬ seits des blauen Meeres die schönen Marmortempel der Griechen aufwachsen, zwischen deren Säulen Platon wandelt und von der Himmelsliebe philosophiert, -- rast, als die Wölfin am Tiber ihre Senatoren und Cäsaren säugt, rast und trommelt, bis der Cäsar Constantin zum Christentum übertritt. Dann ebbt es im Großen ein, um im Kleinen immer noch wie ein unzerstörbares Gespensterlicht da, dort aufzubrennen, sobald die religiöse Stimmung wieder Nah¬ rung giebt.
21
Weib dem Gottesboten und giebt ſich ihm hin. Es iſt der myſtiſche Akt, der alle profanen überſchattet, Mylitta, die in ſie einfährt, um ſie für immer zu beſitzen.
Hörſt du die wilde, berauſchende Bacchantenmuſik? Länger als ein Jahrtauſend lang rauſcht, pfeift, trommelt ſie ſo fort im Tempelhain zu Hierapolis in Syrien. Aſtarte gilt ſie, dem ewigen Mannweib und Weibmann zugleich, der zweigeſchlechtigen, die jeder menſchliche Zeugungsakt erſt wieder ganz herſtellt. Es iſt hier die Gebetsform, dieſer Zeugungsakt, der einzige Moment, wo der Menſch die Gottheit ganz erfaſſen kann. Weiber raſen daher, in Männerkleider gehüllt, Männer im Frauengewand. Sie vereinen ſich: — ſie beten. Prieſter regeln die Feier, die Muſik iſt heilige Tempelmuſik. In unermeßlichen Scharen ſtrömt das Volk herzu am Frühlingsfeſt. In prachtvoller Lage ſtrahlt der Tempel vom Hügel über der Stadt herab. Joniſche Säulen tragen ſein Dach, auf gewaltigen Terraſſen ruht ſein Fuß. Und der ganze Tempelbezirk iſt eine einzige Schatzkammer herrlichſter Weihgeſchenke. Wer nicht Gold ſchenkt, ſchenkt ver¬ ſchnittene Sklaven zum Tempeldienſt. An der Pforte ragen zwei himmelhohe Obelisken, Symbole der männlichen Zeugungs¬ kraft in Geſtalt eines ſteinernen Gliedes. Alljährlich klettert auf jeden ein Menſch im Geruch der Heiligkeit, um oben ſieben Tage und ſchlafloſe Nächte zu beten; unten häufen ſich die Opfergaben der Gläubigen, die er in ſein Gebet einſchließt.
Und das raſt und raſt, während drüben allmählich jen¬ ſeits des blauen Meeres die ſchönen Marmortempel der Griechen aufwachſen, zwiſchen deren Säulen Platon wandelt und von der Himmelsliebe philoſophiert, — raſt, als die Wölfin am Tiber ihre Senatoren und Cäſaren ſäugt, raſt und trommelt, bis der Cäſar Conſtantin zum Chriſtentum übertritt. Dann ebbt es im Großen ein, um im Kleinen immer noch wie ein unzerſtörbares Geſpenſterlicht da, dort aufzubrennen, ſobald die religiöſe Stimmung wieder Nah¬ rung giebt.
21
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0335"n="321"/>
Weib dem Gottesboten und giebt ſich ihm hin. Es iſt der<lb/>
myſtiſche Akt, der alle profanen überſchattet, Mylitta, die in ſie<lb/>
einfährt, um ſie für immer zu beſitzen.</p><lb/><p>Hörſt du die wilde, berauſchende Bacchantenmuſik? Länger<lb/>
als ein Jahrtauſend lang rauſcht, pfeift, trommelt ſie ſo fort im<lb/>
Tempelhain zu Hierapolis in Syrien. Aſtarte gilt ſie, dem ewigen<lb/>
Mannweib und Weibmann zugleich, der zweigeſchlechtigen, die<lb/>
jeder menſchliche Zeugungsakt erſt wieder ganz herſtellt. Es iſt<lb/>
hier die Gebetsform, dieſer Zeugungsakt, der einzige Moment,<lb/>
wo der Menſch die Gottheit ganz erfaſſen kann. Weiber raſen<lb/>
daher, in Männerkleider gehüllt, Männer im Frauengewand.<lb/>
Sie vereinen ſich: —ſie beten. Prieſter regeln die Feier, die<lb/>
Muſik iſt heilige Tempelmuſik. In unermeßlichen Scharen ſtrömt<lb/>
das Volk herzu am Frühlingsfeſt. In prachtvoller Lage ſtrahlt<lb/>
der Tempel vom Hügel über der Stadt herab. Joniſche Säulen<lb/>
tragen ſein Dach, auf gewaltigen Terraſſen ruht ſein Fuß.<lb/>
Und der ganze Tempelbezirk iſt eine einzige Schatzkammer<lb/>
herrlichſter Weihgeſchenke. Wer nicht Gold ſchenkt, ſchenkt ver¬<lb/>ſchnittene Sklaven zum Tempeldienſt. An der Pforte ragen<lb/>
zwei himmelhohe Obelisken, Symbole der männlichen Zeugungs¬<lb/>
kraft in Geſtalt eines ſteinernen Gliedes. Alljährlich klettert<lb/>
auf jeden ein Menſch im Geruch der Heiligkeit, um oben ſieben<lb/>
Tage und ſchlafloſe Nächte zu beten; unten häufen ſich die<lb/>
Opfergaben der Gläubigen, die er in ſein Gebet einſchließt.</p><lb/><p>Und das raſt und raſt, während drüben allmählich jen¬<lb/>ſeits des blauen Meeres die ſchönen Marmortempel der<lb/>
Griechen aufwachſen, zwiſchen deren Säulen Platon wandelt<lb/>
und von der Himmelsliebe philoſophiert, — raſt, als die<lb/>
Wölfin am Tiber ihre Senatoren und Cäſaren ſäugt, raſt<lb/>
und trommelt, bis der Cäſar Conſtantin zum Chriſtentum<lb/>
übertritt. Dann ebbt es im Großen ein, um im Kleinen<lb/>
immer noch wie ein unzerſtörbares Geſpenſterlicht da, dort<lb/>
aufzubrennen, ſobald die religiöſe Stimmung wieder Nah¬<lb/>
rung giebt.</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">21<lb/></fw></div></body></text></TEI>
[321/0335]
Weib dem Gottesboten und giebt ſich ihm hin. Es iſt der
myſtiſche Akt, der alle profanen überſchattet, Mylitta, die in ſie
einfährt, um ſie für immer zu beſitzen.
Hörſt du die wilde, berauſchende Bacchantenmuſik? Länger
als ein Jahrtauſend lang rauſcht, pfeift, trommelt ſie ſo fort im
Tempelhain zu Hierapolis in Syrien. Aſtarte gilt ſie, dem ewigen
Mannweib und Weibmann zugleich, der zweigeſchlechtigen, die
jeder menſchliche Zeugungsakt erſt wieder ganz herſtellt. Es iſt
hier die Gebetsform, dieſer Zeugungsakt, der einzige Moment,
wo der Menſch die Gottheit ganz erfaſſen kann. Weiber raſen
daher, in Männerkleider gehüllt, Männer im Frauengewand.
Sie vereinen ſich: — ſie beten. Prieſter regeln die Feier, die
Muſik iſt heilige Tempelmuſik. In unermeßlichen Scharen ſtrömt
das Volk herzu am Frühlingsfeſt. In prachtvoller Lage ſtrahlt
der Tempel vom Hügel über der Stadt herab. Joniſche Säulen
tragen ſein Dach, auf gewaltigen Terraſſen ruht ſein Fuß.
Und der ganze Tempelbezirk iſt eine einzige Schatzkammer
herrlichſter Weihgeſchenke. Wer nicht Gold ſchenkt, ſchenkt ver¬
ſchnittene Sklaven zum Tempeldienſt. An der Pforte ragen
zwei himmelhohe Obelisken, Symbole der männlichen Zeugungs¬
kraft in Geſtalt eines ſteinernen Gliedes. Alljährlich klettert
auf jeden ein Menſch im Geruch der Heiligkeit, um oben ſieben
Tage und ſchlafloſe Nächte zu beten; unten häufen ſich die
Opfergaben der Gläubigen, die er in ſein Gebet einſchließt.
Und das raſt und raſt, während drüben allmählich jen¬
ſeits des blauen Meeres die ſchönen Marmortempel der
Griechen aufwachſen, zwiſchen deren Säulen Platon wandelt
und von der Himmelsliebe philoſophiert, — raſt, als die
Wölfin am Tiber ihre Senatoren und Cäſaren ſäugt, raſt
und trommelt, bis der Cäſar Conſtantin zum Chriſtentum
übertritt. Dann ebbt es im Großen ein, um im Kleinen
immer noch wie ein unzerſtörbares Geſpenſterlicht da, dort
aufzubrennen, ſobald die religiöſe Stimmung wieder Nah¬
rung giebt.
21
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/335>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.