Prostitution, die du geistig abschüttelst wie einen ekelhaften Traum, aus dem du rein in dein waches Bewußtsein dich erlöst, dich physisch vergiftet, indem jene Bazillen dich dabei erobert haben für ihr Liebesleben auf Kosten deines eigenen. Und das waltet mit unerbittlicher Folgerichtigkeit: du hast die grausige Möglichkeit, jetzt in deine ideale echte Sinnenliebe Tod und Verderben hinein zu tragen.
Eine Rückwirkung von hierher wieder war eine äußerste Verstärkung des tragischen Loses der Prostituierten selbst. Erst von hier aus hat sich an sie der volle Fluch gehängt einer Giftpflanze. Um dieser scheußlichen Möglichkeit willen, an der sie so wenig "Schuld" trug wie an ihrer ganzen Existenz, wurde der letzte Rest von Menschenwürde in ihr rücksichtslos, in der Notwehr, zusammengetrampelt. Es kam die medizinische Kontrolle. Mit ihr wieder zusammengehängt die Verteidigung des Bordells gegenüber der Einzelprostitution, -- des Bordells, in dem mitten in unserer Kultur eine Stätte der wüstesten Sklaverei fortbesteht. Die Syphilis war es, die, um mit Schiller zu sprechen, "den Pechkranz in das brennende Gebäude" warf.
Das Fazit aus alledem aber war eine Wolke über der ganzen Liebe, die bis in alle Ideale schattete.
Die aufgestörte Phantasie hatte ja längst alle Sorten schreckhafter Dämonen im Liebesparadiese gesucht. An dieser Stelle kroch wirklich eine reale Giftschlange aus dem Blütenhain. War die Liebe nicht thatsächlich Sünde, war des Teufels, war verflucht? Wenn solche Krankheit Hand in Hand mit ihr gehen konnte? Wenn die Liebenden unter ihrer Geißel hin¬ sanken wie im Hagelschauer, während der nie sinnlich von einem Weibe berührte Jüngling, die lebenslang reine Jungfrau in unbefleckter Körperreine ragten -- war nicht doch am Ende auch alle "echte" Sinnenliebe eine Satansfalle, die von dem tieferen Gottesgesetz der Natur fortlockte, -- war nicht der wahre Sinn absolute Enthaltung allen Körperwünschen zum Trotz?
Proſtitution, die du geiſtig abſchüttelſt wie einen ekelhaften Traum, aus dem du rein in dein waches Bewußtſein dich erlöſt, dich phyſiſch vergiftet, indem jene Bazillen dich dabei erobert haben für ihr Liebesleben auf Koſten deines eigenen. Und das waltet mit unerbittlicher Folgerichtigkeit: du haſt die grauſige Möglichkeit, jetzt in deine ideale echte Sinnenliebe Tod und Verderben hinein zu tragen.
Eine Rückwirkung von hierher wieder war eine äußerſte Verſtärkung des tragiſchen Loſes der Proſtituierten ſelbſt. Erſt von hier aus hat ſich an ſie der volle Fluch gehängt einer Giftpflanze. Um dieſer ſcheußlichen Möglichkeit willen, an der ſie ſo wenig „Schuld“ trug wie an ihrer ganzen Exiſtenz, wurde der letzte Reſt von Menſchenwürde in ihr rückſichtslos, in der Notwehr, zuſammengetrampelt. Es kam die mediziniſche Kontrolle. Mit ihr wieder zuſammengehängt die Verteidigung des Bordells gegenüber der Einzelproſtitution, — des Bordells, in dem mitten in unſerer Kultur eine Stätte der wüſteſten Sklaverei fortbeſteht. Die Syphilis war es, die, um mit Schiller zu ſprechen, „den Pechkranz in das brennende Gebäude“ warf.
Das Fazit aus alledem aber war eine Wolke über der ganzen Liebe, die bis in alle Ideale ſchattete.
Die aufgeſtörte Phantaſie hatte ja längſt alle Sorten ſchreckhafter Dämonen im Liebesparadieſe geſucht. An dieſer Stelle kroch wirklich eine reale Giftſchlange aus dem Blütenhain. War die Liebe nicht thatſächlich Sünde, war des Teufels, war verflucht? Wenn ſolche Krankheit Hand in Hand mit ihr gehen konnte? Wenn die Liebenden unter ihrer Geißel hin¬ ſanken wie im Hagelſchauer, während der nie ſinnlich von einem Weibe berührte Jüngling, die lebenslang reine Jungfrau in unbefleckter Körperreine ragten — war nicht doch am Ende auch alle „echte“ Sinnenliebe eine Satansfalle, die von dem tieferen Gottesgeſetz der Natur fortlockte, — war nicht der wahre Sinn abſolute Enthaltung allen Körperwünſchen zum Trotz?
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0362"n="348"/>
Proſtitution, die du geiſtig abſchüttelſt wie einen ekelhaften<lb/>
Traum, aus dem du rein in dein waches Bewußtſein dich<lb/>
erlöſt, dich <hirendition="#g">phyſiſch</hi> vergiftet, indem jene Bazillen dich dabei<lb/>
erobert haben für ihr Liebesleben auf Koſten deines eigenen.<lb/>
Und das waltet mit unerbittlicher Folgerichtigkeit: du haſt die<lb/>
grauſige Möglichkeit, jetzt in deine ideale echte Sinnenliebe Tod<lb/>
und Verderben hinein zu tragen.</p><lb/><p>Eine Rückwirkung von hierher wieder war eine äußerſte<lb/>
Verſtärkung des tragiſchen Loſes der Proſtituierten ſelbſt. Erſt<lb/>
von hier aus hat ſich an ſie der volle Fluch gehängt einer<lb/>
Giftpflanze. Um dieſer ſcheußlichen Möglichkeit willen, an der<lb/>ſie ſo wenig „Schuld“ trug wie an ihrer ganzen Exiſtenz,<lb/>
wurde der letzte Reſt von Menſchenwürde in ihr rückſichtslos,<lb/>
in der Notwehr, zuſammengetrampelt. Es kam die mediziniſche<lb/>
Kontrolle. Mit ihr wieder zuſammengehängt die Verteidigung<lb/>
des Bordells gegenüber der Einzelproſtitution, — des Bordells,<lb/>
in dem mitten in unſerer Kultur eine Stätte der wüſteſten<lb/>
Sklaverei fortbeſteht. Die Syphilis war es, die, um mit<lb/>
Schiller zu ſprechen, „den Pechkranz in das brennende Gebäude“<lb/>
warf.</p><lb/><p>Das Fazit aus alledem aber war eine Wolke über der<lb/>
ganzen Liebe, die bis in alle Ideale ſchattete.</p><lb/><p>Die aufgeſtörte Phantaſie hatte ja längſt alle Sorten<lb/>ſchreckhafter Dämonen im Liebesparadieſe geſucht. An dieſer<lb/>
Stelle kroch wirklich eine reale Giftſchlange aus dem Blütenhain.<lb/>
War die Liebe nicht thatſächlich Sünde, war des Teufels, war<lb/>
verflucht? Wenn ſolche Krankheit Hand in Hand mit ihr<lb/>
gehen konnte? Wenn die Liebenden unter ihrer Geißel hin¬<lb/>ſanken wie im Hagelſchauer, während der nie ſinnlich von einem<lb/>
Weibe berührte Jüngling, die lebenslang reine Jungfrau in<lb/>
unbefleckter Körperreine ragten — war nicht doch am Ende<lb/>
auch alle „echte“ Sinnenliebe eine Satansfalle, die von dem<lb/>
tieferen Gottesgeſetz der Natur fortlockte, — war nicht der wahre<lb/>
Sinn abſolute Enthaltung allen Körperwünſchen zum Trotz?<lb/></p></div></body></text></TEI>
[348/0362]
Proſtitution, die du geiſtig abſchüttelſt wie einen ekelhaften
Traum, aus dem du rein in dein waches Bewußtſein dich
erlöſt, dich phyſiſch vergiftet, indem jene Bazillen dich dabei
erobert haben für ihr Liebesleben auf Koſten deines eigenen.
Und das waltet mit unerbittlicher Folgerichtigkeit: du haſt die
grauſige Möglichkeit, jetzt in deine ideale echte Sinnenliebe Tod
und Verderben hinein zu tragen.
Eine Rückwirkung von hierher wieder war eine äußerſte
Verſtärkung des tragiſchen Loſes der Proſtituierten ſelbſt. Erſt
von hier aus hat ſich an ſie der volle Fluch gehängt einer
Giftpflanze. Um dieſer ſcheußlichen Möglichkeit willen, an der
ſie ſo wenig „Schuld“ trug wie an ihrer ganzen Exiſtenz,
wurde der letzte Reſt von Menſchenwürde in ihr rückſichtslos,
in der Notwehr, zuſammengetrampelt. Es kam die mediziniſche
Kontrolle. Mit ihr wieder zuſammengehängt die Verteidigung
des Bordells gegenüber der Einzelproſtitution, — des Bordells,
in dem mitten in unſerer Kultur eine Stätte der wüſteſten
Sklaverei fortbeſteht. Die Syphilis war es, die, um mit
Schiller zu ſprechen, „den Pechkranz in das brennende Gebäude“
warf.
Das Fazit aus alledem aber war eine Wolke über der
ganzen Liebe, die bis in alle Ideale ſchattete.
Die aufgeſtörte Phantaſie hatte ja längſt alle Sorten
ſchreckhafter Dämonen im Liebesparadieſe geſucht. An dieſer
Stelle kroch wirklich eine reale Giftſchlange aus dem Blütenhain.
War die Liebe nicht thatſächlich Sünde, war des Teufels, war
verflucht? Wenn ſolche Krankheit Hand in Hand mit ihr
gehen konnte? Wenn die Liebenden unter ihrer Geißel hin¬
ſanken wie im Hagelſchauer, während der nie ſinnlich von einem
Weibe berührte Jüngling, die lebenslang reine Jungfrau in
unbefleckter Körperreine ragten — war nicht doch am Ende
auch alle „echte“ Sinnenliebe eine Satansfalle, die von dem
tieferen Gottesgeſetz der Natur fortlockte, — war nicht der wahre
Sinn abſolute Enthaltung allen Körperwünſchen zum Trotz?
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/362>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.