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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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Prostitution, die du geistig abschüttelst wie einen ekelhaften
Traum, aus dem du rein in dein waches Bewußtsein dich
erlöst, dich physisch vergiftet, indem jene Bazillen dich dabei
erobert haben für ihr Liebesleben auf Kosten deines eigenen.
Und das waltet mit unerbittlicher Folgerichtigkeit: du hast die
grausige Möglichkeit, jetzt in deine ideale echte Sinnenliebe Tod
und Verderben hinein zu tragen.

Eine Rückwirkung von hierher wieder war eine äußerste
Verstärkung des tragischen Loses der Prostituierten selbst. Erst
von hier aus hat sich an sie der volle Fluch gehängt einer
Giftpflanze. Um dieser scheußlichen Möglichkeit willen, an der
sie so wenig "Schuld" trug wie an ihrer ganzen Existenz,
wurde der letzte Rest von Menschenwürde in ihr rücksichtslos,
in der Notwehr, zusammengetrampelt. Es kam die medizinische
Kontrolle. Mit ihr wieder zusammengehängt die Verteidigung
des Bordells gegenüber der Einzelprostitution, -- des Bordells,
in dem mitten in unserer Kultur eine Stätte der wüstesten
Sklaverei fortbesteht. Die Syphilis war es, die, um mit
Schiller zu sprechen, "den Pechkranz in das brennende Gebäude"
warf.

Das Fazit aus alledem aber war eine Wolke über der
ganzen Liebe, die bis in alle Ideale schattete.

Die aufgestörte Phantasie hatte ja längst alle Sorten
schreckhafter Dämonen im Liebesparadiese gesucht. An dieser
Stelle kroch wirklich eine reale Giftschlange aus dem Blütenhain.
War die Liebe nicht thatsächlich Sünde, war des Teufels, war
verflucht? Wenn solche Krankheit Hand in Hand mit ihr
gehen konnte? Wenn die Liebenden unter ihrer Geißel hin¬
sanken wie im Hagelschauer, während der nie sinnlich von einem
Weibe berührte Jüngling, die lebenslang reine Jungfrau in
unbefleckter Körperreine ragten -- war nicht doch am Ende
auch alle "echte" Sinnenliebe eine Satansfalle, die von dem
tieferen Gottesgesetz der Natur fortlockte, -- war nicht der wahre
Sinn absolute Enthaltung allen Körperwünschen zum Trotz?

Proſtitution, die du geiſtig abſchüttelſt wie einen ekelhaften
Traum, aus dem du rein in dein waches Bewußtſein dich
erlöſt, dich phyſiſch vergiftet, indem jene Bazillen dich dabei
erobert haben für ihr Liebesleben auf Koſten deines eigenen.
Und das waltet mit unerbittlicher Folgerichtigkeit: du haſt die
grauſige Möglichkeit, jetzt in deine ideale echte Sinnenliebe Tod
und Verderben hinein zu tragen.

Eine Rückwirkung von hierher wieder war eine äußerſte
Verſtärkung des tragiſchen Loſes der Proſtituierten ſelbſt. Erſt
von hier aus hat ſich an ſie der volle Fluch gehängt einer
Giftpflanze. Um dieſer ſcheußlichen Möglichkeit willen, an der
ſie ſo wenig „Schuld“ trug wie an ihrer ganzen Exiſtenz,
wurde der letzte Reſt von Menſchenwürde in ihr rückſichtslos,
in der Notwehr, zuſammengetrampelt. Es kam die mediziniſche
Kontrolle. Mit ihr wieder zuſammengehängt die Verteidigung
des Bordells gegenüber der Einzelproſtitution, — des Bordells,
in dem mitten in unſerer Kultur eine Stätte der wüſteſten
Sklaverei fortbeſteht. Die Syphilis war es, die, um mit
Schiller zu ſprechen, „den Pechkranz in das brennende Gebäude“
warf.

Das Fazit aus alledem aber war eine Wolke über der
ganzen Liebe, die bis in alle Ideale ſchattete.

Die aufgeſtörte Phantaſie hatte ja längſt alle Sorten
ſchreckhafter Dämonen im Liebesparadieſe geſucht. An dieſer
Stelle kroch wirklich eine reale Giftſchlange aus dem Blütenhain.
War die Liebe nicht thatſächlich Sünde, war des Teufels, war
verflucht? Wenn ſolche Krankheit Hand in Hand mit ihr
gehen konnte? Wenn die Liebenden unter ihrer Geißel hin¬
ſanken wie im Hagelſchauer, während der nie ſinnlich von einem
Weibe berührte Jüngling, die lebenslang reine Jungfrau in
unbefleckter Körperreine ragten — war nicht doch am Ende
auch alle „echte“ Sinnenliebe eine Satansfalle, die von dem
tieferen Gottesgeſetz der Natur fortlockte, — war nicht der wahre
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[348/0362] Proſtitution, die du geiſtig abſchüttelſt wie einen ekelhaften Traum, aus dem du rein in dein waches Bewußtſein dich erlöſt, dich phyſiſch vergiftet, indem jene Bazillen dich dabei erobert haben für ihr Liebesleben auf Koſten deines eigenen. Und das waltet mit unerbittlicher Folgerichtigkeit: du haſt die grauſige Möglichkeit, jetzt in deine ideale echte Sinnenliebe Tod und Verderben hinein zu tragen. Eine Rückwirkung von hierher wieder war eine äußerſte Verſtärkung des tragiſchen Loſes der Proſtituierten ſelbſt. Erſt von hier aus hat ſich an ſie der volle Fluch gehängt einer Giftpflanze. Um dieſer ſcheußlichen Möglichkeit willen, an der ſie ſo wenig „Schuld“ trug wie an ihrer ganzen Exiſtenz, wurde der letzte Reſt von Menſchenwürde in ihr rückſichtslos, in der Notwehr, zuſammengetrampelt. Es kam die mediziniſche Kontrolle. Mit ihr wieder zuſammengehängt die Verteidigung des Bordells gegenüber der Einzelproſtitution, — des Bordells, in dem mitten in unſerer Kultur eine Stätte der wüſteſten Sklaverei fortbeſteht. Die Syphilis war es, die, um mit Schiller zu ſprechen, „den Pechkranz in das brennende Gebäude“ warf. Das Fazit aus alledem aber war eine Wolke über der ganzen Liebe, die bis in alle Ideale ſchattete. Die aufgeſtörte Phantaſie hatte ja längſt alle Sorten ſchreckhafter Dämonen im Liebesparadieſe geſucht. An dieſer Stelle kroch wirklich eine reale Giftſchlange aus dem Blütenhain. War die Liebe nicht thatſächlich Sünde, war des Teufels, war verflucht? Wenn ſolche Krankheit Hand in Hand mit ihr gehen konnte? Wenn die Liebenden unter ihrer Geißel hin¬ ſanken wie im Hagelſchauer, während der nie ſinnlich von einem Weibe berührte Jüngling, die lebenslang reine Jungfrau in unbefleckter Körperreine ragten — war nicht doch am Ende auch alle „echte“ Sinnenliebe eine Satansfalle, die von dem tieferen Gottesgeſetz der Natur fortlockte, — war nicht der wahre Sinn abſolute Enthaltung allen Körperwünſchen zum Trotz?

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/362>, abgerufen am 21.11.2024.