Das ist die Schicksalsfrage der Liebe auf ihrer Stufe Mensch.
"Besser, er wäre nie geboren." Wenn das Wahrheit ist, die höchste Wahrheit des grübelnden Verstandes, -- dann ist über der Liebe der Stab gebrochen, sie ist gerichtet und tot.
[Abbildung]
Ein altes Bild. Die Erde prangend in ihrer Schöne, strotzend von Üppigkeit, glühend von Liebe, klingend von Musik. Blumen duften, Palmen wehen, silberne Quellen plätschern. Aber da hinten, draußen hinter dem Sonnenwald dehnt sich ein Streifen nackte Wüste. Schakale heulen dort, sandfarbige Giftottern recken ihren dicken Kopf aus dem Boden, und der Staub, der heiße Staub geht in roten Wolken gespenstisch über die Öde.
Da, in dieser Wüste taucht auf einmal der Mensch auf. Es ist der Mensch, der drüben geschwelgt hat, noch hängt ihm der letzte welke Zecherkranz im Haar, sein Gewand haucht den letzten jener wilden Düfte aus, in deren Bannkreis die Liebe schöner Frauen dort sich gab. Aber diese Kleider sind zerrissen, die Locke ist zerrauft, verstört das Gesicht. Es ist ein Flücht¬ ling, der die Einsamkeit sucht. Er stürzt sich in die ägyptische Wüste wie ein Brennender in die Flut. Verflucht diese Welt da drüben! Nieder mit ihr, fort mit ihr! Heraus aus allem, aus der Liebe, aus der Menschheit, -- ins Einsame, zwischen nackte Felsen. Alles ist eitel! Rette dich, rette dich!
In ein gräuliches Felsversteck wirft er sich, das einst eine Falschmünzerbande sich ausersehen als das denkbar welt¬ verborgenste Erdenloch. In ein uraltes verlassenes Grabgewölbe kriecht er wie eine Hyäne. Die Schlangen züngeln um ihn
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Das iſt die Schickſalsfrage der Liebe auf ihrer Stufe Menſch.
„Beſſer, er wäre nie geboren.“ Wenn das Wahrheit iſt, die höchſte Wahrheit des grübelnden Verſtandes, — dann iſt über der Liebe der Stab gebrochen, ſie iſt gerichtet und tot.
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Ein altes Bild. Die Erde prangend in ihrer Schöne, ſtrotzend von Üppigkeit, glühend von Liebe, klingend von Muſik. Blumen duften, Palmen wehen, ſilberne Quellen plätſchern. Aber da hinten, draußen hinter dem Sonnenwald dehnt ſich ein Streifen nackte Wüſte. Schakale heulen dort, ſandfarbige Giftottern recken ihren dicken Kopf aus dem Boden, und der Staub, der heiße Staub geht in roten Wolken geſpenſtiſch über die Öde.
Da, in dieſer Wüſte taucht auf einmal der Menſch auf. Es iſt der Menſch, der drüben geſchwelgt hat, noch hängt ihm der letzte welke Zecherkranz im Haar, ſein Gewand haucht den letzten jener wilden Düfte aus, in deren Bannkreis die Liebe ſchöner Frauen dort ſich gab. Aber dieſe Kleider ſind zerriſſen, die Locke iſt zerrauft, verſtört das Geſicht. Es iſt ein Flücht¬ ling, der die Einſamkeit ſucht. Er ſtürzt ſich in die ägyptiſche Wüſte wie ein Brennender in die Flut. Verflucht dieſe Welt da drüben! Nieder mit ihr, fort mit ihr! Heraus aus allem, aus der Liebe, aus der Menſchheit, — ins Einſame, zwiſchen nackte Felſen. Alles iſt eitel! Rette dich, rette dich!
In ein gräuliches Felsverſteck wirft er ſich, das einſt eine Falſchmünzerbande ſich auserſehen als das denkbar welt¬ verborgenſte Erdenloch. In ein uraltes verlaſſenes Grabgewölbe kriecht er wie eine Hyäne. Die Schlangen züngeln um ihn
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Das iſt die Schickſalsfrage der Liebe auf ihrer Stufe
Menſch.
„Beſſer, er wäre nie geboren.“ Wenn das Wahrheit
iſt, die höchſte Wahrheit des grübelnden Verſtandes, — dann
iſt über der Liebe der Stab gebrochen, ſie iſt gerichtet und tot.
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Ein altes Bild. Die Erde prangend in ihrer Schöne,
ſtrotzend von Üppigkeit, glühend von Liebe, klingend von Muſik.
Blumen duften, Palmen wehen, ſilberne Quellen plätſchern.
Aber da hinten, draußen hinter dem Sonnenwald dehnt ſich
ein Streifen nackte Wüſte. Schakale heulen dort, ſandfarbige
Giftottern recken ihren dicken Kopf aus dem Boden, und der
Staub, der heiße Staub geht in roten Wolken geſpenſtiſch über
die Öde.
Da, in dieſer Wüſte taucht auf einmal der Menſch auf.
Es iſt der Menſch, der drüben geſchwelgt hat, noch hängt ihm
der letzte welke Zecherkranz im Haar, ſein Gewand haucht den
letzten jener wilden Düfte aus, in deren Bannkreis die Liebe
ſchöner Frauen dort ſich gab. Aber dieſe Kleider ſind zerriſſen,
die Locke iſt zerrauft, verſtört das Geſicht. Es iſt ein Flücht¬
ling, der die Einſamkeit ſucht. Er ſtürzt ſich in die ägyptiſche
Wüſte wie ein Brennender in die Flut. Verflucht dieſe Welt
da drüben! Nieder mit ihr, fort mit ihr! Heraus aus allem,
aus der Liebe, aus der Menſchheit, — ins Einſame, zwiſchen
nackte Felſen. Alles iſt eitel! Rette dich, rette dich!
In ein gräuliches Felsverſteck wirft er ſich, das einſt
eine Falſchmünzerbande ſich auserſehen als das denkbar welt¬
verborgenſte Erdenloch. In ein uraltes verlaſſenes Grabgewölbe
kriecht er wie eine Hyäne. Die Schlangen züngeln um ihn
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/367>, abgerufen am 21.11.2024.
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