lich ganz gleichgültig wäre. Einzig und allein diese Ursache macht's auch, daß an dem ehrbaren Klosterfenster dort ein paar bunte Scheiben sind, statt daß der reinen Beleuchtung wegen alles so durchsichtig weiß sein sollte, wie nur möglich.
Ja bunt! Da wären wir wieder beim Paradiesvogel.
Mit solcher Freude am Bunten, an der knallroten Beere und blauen Blüte zuerst und den rhythmisch bunt geordneten Federn des Liebsten zuletzt, setzt dort der ästhetische Naturtrieb ein, um sich alsbald gerade mit dem energischst Schaffenden des Lebens zu verbünden: mit der Liebe. Die kleine Paradie¬ sierin wählt sich immer das bunteste, farbenschönste Männlein zum zeugenden Gatten aus und züchtet so allmählich immer mehr dauernde Farbenschönheit in ihr Vogelvolk hinein.
Wo freilich diese einseitige Rhythmik soweit geht, daß sie andere praktische Lebensdinge direkt bedroht, also allgemeinere lebensgefährliche Dissonanzen heraufbeschwören würde, -- da muß sie zurücktreten, wird von einem noch höheren Harmonie¬ gesetz selber wieder ausgemerzt. Wenn ich die Ornamente jener Holzthür so übertreiben wollte, daß schließlich der kalte Wind hindurchpfiffe oder der ganze Verschlußzweck illusorisch würde, oder wenn ich die Fenster dort alle miteinander so bunt machte, daß kein Mensch hier drinnen vor lauter Dämmerlicht mehr sein Buch lesen könnte, -- so geriete ich eben auch in Kon¬ flikte mit weiteren Harmonien meines Daseins und müßte den rein ästhetischen Trieb beschneiden um derentwillen. Genau so hat die Paradiesierin selber unscheinbare Schutzfarben, die sie in ihrer Nestzeit schirmten, sich bewahren müssen, und auch bei den Männchen ist dieser tolle ästhetische Arabeskenapparat nur ausnahmsweise einmal gerade in diesen wirklich relativ para¬ diesisch glücklichen Urwäldern Neu-Guineas möglich geworden. Immerhin ist er so, wie er ist, ein treffliches Exempel. Und ich wiederhole dabei dir noch einmal den wichtigen Satz: wo der grobe Daseinskampf nachläßt, da bricht bei den Lebewesen dieser Rhythmotropismus, das ästhetische Element, sofort hoch
lich ganz gleichgültig wäre. Einzig und allein dieſe Urſache macht's auch, daß an dem ehrbaren Kloſterfenſter dort ein paar bunte Scheiben ſind, ſtatt daß der reinen Beleuchtung wegen alles ſo durchſichtig weiß ſein ſollte, wie nur möglich.
Ja bunt! Da wären wir wieder beim Paradiesvogel.
Mit ſolcher Freude am Bunten, an der knallroten Beere und blauen Blüte zuerſt und den rhythmiſch bunt geordneten Federn des Liebſten zuletzt, ſetzt dort der äſthetiſche Naturtrieb ein, um ſich alsbald gerade mit dem energiſchſt Schaffenden des Lebens zu verbünden: mit der Liebe. Die kleine Paradie¬ ſierin wählt ſich immer das bunteſte, farbenſchönſte Männlein zum zeugenden Gatten aus und züchtet ſo allmählich immer mehr dauernde Farbenſchönheit in ihr Vogelvolk hinein.
Wo freilich dieſe einſeitige Rhythmik ſoweit geht, daß ſie andere praktiſche Lebensdinge direkt bedroht, alſo allgemeinere lebensgefährliche Diſſonanzen heraufbeſchwören würde, — da muß ſie zurücktreten, wird von einem noch höheren Harmonie¬ geſetz ſelber wieder ausgemerzt. Wenn ich die Ornamente jener Holzthür ſo übertreiben wollte, daß ſchließlich der kalte Wind hindurchpfiffe oder der ganze Verſchlußzweck illuſoriſch würde, oder wenn ich die Fenſter dort alle miteinander ſo bunt machte, daß kein Menſch hier drinnen vor lauter Dämmerlicht mehr ſein Buch leſen könnte, — ſo geriete ich eben auch in Kon¬ flikte mit weiteren Harmonien meines Daſeins und müßte den rein äſthetiſchen Trieb beſchneiden um derentwillen. Genau ſo hat die Paradieſierin ſelber unſcheinbare Schutzfarben, die ſie in ihrer Neſtzeit ſchirmten, ſich bewahren müſſen, und auch bei den Männchen iſt dieſer tolle äſthetiſche Arabeskenapparat nur ausnahmsweiſe einmal gerade in dieſen wirklich relativ para¬ dieſiſch glücklichen Urwäldern Neu-Guineas möglich geworden. Immerhin iſt er ſo, wie er iſt, ein treffliches Exempel. Und ich wiederhole dabei dir noch einmal den wichtigen Satz: wo der grobe Daſeinskampf nachläßt, da bricht bei den Lebeweſen dieſer Rhythmotropismus, das äſthetiſche Element, ſofort hoch
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[27/0041]
lich ganz gleichgültig wäre. Einzig und allein dieſe Urſache
macht's auch, daß an dem ehrbaren Kloſterfenſter dort ein
paar bunte Scheiben ſind, ſtatt daß der reinen Beleuchtung
wegen alles ſo durchſichtig weiß ſein ſollte, wie nur möglich.
Ja bunt! Da wären wir wieder beim Paradiesvogel.
Mit ſolcher Freude am Bunten, an der knallroten Beere
und blauen Blüte zuerſt und den rhythmiſch bunt geordneten
Federn des Liebſten zuletzt, ſetzt dort der äſthetiſche Naturtrieb
ein, um ſich alsbald gerade mit dem energiſchſt Schaffenden
des Lebens zu verbünden: mit der Liebe. Die kleine Paradie¬
ſierin wählt ſich immer das bunteſte, farbenſchönſte Männlein
zum zeugenden Gatten aus und züchtet ſo allmählich immer
mehr dauernde Farbenſchönheit in ihr Vogelvolk hinein.
Wo freilich dieſe einſeitige Rhythmik ſoweit geht, daß ſie
andere praktiſche Lebensdinge direkt bedroht, alſo allgemeinere
lebensgefährliche Diſſonanzen heraufbeſchwören würde, — da
muß ſie zurücktreten, wird von einem noch höheren Harmonie¬
geſetz ſelber wieder ausgemerzt. Wenn ich die Ornamente jener
Holzthür ſo übertreiben wollte, daß ſchließlich der kalte Wind
hindurchpfiffe oder der ganze Verſchlußzweck illuſoriſch würde,
oder wenn ich die Fenſter dort alle miteinander ſo bunt machte,
daß kein Menſch hier drinnen vor lauter Dämmerlicht mehr
ſein Buch leſen könnte, — ſo geriete ich eben auch in Kon¬
flikte mit weiteren Harmonien meines Daſeins und müßte den
rein äſthetiſchen Trieb beſchneiden um derentwillen. Genau ſo
hat die Paradieſierin ſelber unſcheinbare Schutzfarben, die ſie
in ihrer Neſtzeit ſchirmten, ſich bewahren müſſen, und auch bei
den Männchen iſt dieſer tolle äſthetiſche Arabeskenapparat nur
ausnahmsweiſe einmal gerade in dieſen wirklich relativ para¬
dieſiſch glücklichen Urwäldern Neu-Guineas möglich geworden.
Immerhin iſt er ſo, wie er iſt, ein treffliches Exempel. Und
ich wiederhole dabei dir noch einmal den wichtigen Satz: wo
der grobe Daſeinskampf nachläßt, da bricht bei den Lebeweſen
dieſer Rhythmotropismus, das äſthetiſche Element, ſofort hoch
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/41>, abgerufen am 21.11.2024.
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