Pelz wie eine Schildkröte in ihrer Schale. Wenn er aber in seine geheizte Hütte kriecht, so weiß er sich nichts Eiligeres, als all diesen Ballast von sich zu werfen. Mann wie Weib, Kind und Jungfrau führt da drinnen das Leben von nackten Wilden.
Nun denke dich aber in die Anfänge jener wirklichen Eis¬ zeit. Da stürzen deine Ur-Eskimos etwa in ihr Versteck im Fels der schwäbischen Alb. Fortgeschleudert sind die Bären- und Mammut-Pelze. Aber dabei kommt ja hier noch nicht der heutige nackte Eskimo aus der Hülse, sondern zunächst erst der Mensch mit dem alten angewachsenen Affenpelz. Der ist denn eine lästige, überflüssige Zuthat hier, die man lieber nicht hätte. Schließlich wird das nicht einmal damit erkauft, daß er etwa draußen als Unterflanell unter dem Jagdpelz unentbehrlich wäre. Der Bärenpelz langt. Das Hautflanell macht nur das Gesamtgewicht noch größer. Und es hindert zugleich die Hautausdünstung unter der Decke. Und gewiß noch eins: es bildet einen wahrhaft höllischen Schutzboden für Ungeziefer, das jetzt in dem Tunnel zwischen Haut und Bärenpelz hier in der Leibeswolle ein nur zu ideales Asyl findet.
Du weißt, wie die Floh- und Lausplage in der ganzen behaarten Säugetierwelt zu einer wahren Lebensfrage gediehen ist. Vom Affen läßt sich beinahe sagen: ein Drittel aller seiner Lebensenergie erschöpft sich in der Jagd auf diese kleinen Un¬ holde. Die geringen Haarreste, die der Mensch sich heute ge¬ rettet hat, geben doch noch immer einen ausreichendsten Be¬ griff davon, was das Läuse-Problem bei ihm einmal für eine Rolle gespielt haben muß.
Ja es ist sogar hochinteressant, daß wir inmitten unserer europäischen, ängstlich bekleideten Kultur noch immer am Menschenleibe gelegentlich eine Laus besitzen, die mit fester Sympathie und Antipathie das offene Kopfhaar verschmäht und sich hartnäckig in den übrigen größeren Haarresten des Leibes heimisch fühlt. Ich meine die vielgeschmähte Filzlaus. Wenn du das Achselhaar und das Haar über den Organen
Pelz wie eine Schildkröte in ihrer Schale. Wenn er aber in ſeine geheizte Hütte kriecht, ſo weiß er ſich nichts Eiligeres, als all dieſen Ballaſt von ſich zu werfen. Mann wie Weib, Kind und Jungfrau führt da drinnen das Leben von nackten Wilden.
Nun denke dich aber in die Anfänge jener wirklichen Eis¬ zeit. Da ſtürzen deine Ur-Eskimos etwa in ihr Verſteck im Fels der ſchwäbiſchen Alb. Fortgeſchleudert ſind die Bären- und Mammut-Pelze. Aber dabei kommt ja hier noch nicht der heutige nackte Eskimo aus der Hülſe, ſondern zunächſt erſt der Menſch mit dem alten angewachſenen Affenpelz. Der iſt denn eine läſtige, überflüſſige Zuthat hier, die man lieber nicht hätte. Schließlich wird das nicht einmal damit erkauft, daß er etwa draußen als Unterflanell unter dem Jagdpelz unentbehrlich wäre. Der Bärenpelz langt. Das Hautflanell macht nur das Geſamtgewicht noch größer. Und es hindert zugleich die Hautausdünſtung unter der Decke. Und gewiß noch eins: es bildet einen wahrhaft hölliſchen Schutzboden für Ungeziefer, das jetzt in dem Tunnel zwiſchen Haut und Bärenpelz hier in der Leibeswolle ein nur zu ideales Aſyl findet.
Du weißt, wie die Floh- und Lausplage in der ganzen behaarten Säugetierwelt zu einer wahren Lebensfrage gediehen iſt. Vom Affen läßt ſich beinahe ſagen: ein Drittel aller ſeiner Lebensenergie erſchöpft ſich in der Jagd auf dieſe kleinen Un¬ holde. Die geringen Haarreſte, die der Menſch ſich heute ge¬ rettet hat, geben doch noch immer einen ausreichendſten Be¬ griff davon, was das Läuſe-Problem bei ihm einmal für eine Rolle geſpielt haben muß.
Ja es iſt ſogar hochintereſſant, daß wir inmitten unſerer europäiſchen, ängſtlich bekleideten Kultur noch immer am Menſchenleibe gelegentlich eine Laus beſitzen, die mit feſter Sympathie und Antipathie das offene Kopfhaar verſchmäht und ſich hartnäckig in den übrigen größeren Haarreſten des Leibes heimiſch fühlt. Ich meine die vielgeſchmähte Filzlaus. Wenn du das Achſelhaar und das Haar über den Organen
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Pelz wie eine Schildkröte in ihrer Schale. Wenn er aber in
ſeine geheizte Hütte kriecht, ſo weiß er ſich nichts Eiligeres, als
all dieſen Ballaſt von ſich zu werfen. Mann wie Weib, Kind
und Jungfrau führt da drinnen das Leben von nackten Wilden.
Nun denke dich aber in die Anfänge jener wirklichen Eis¬
zeit. Da ſtürzen deine Ur-Eskimos etwa in ihr Verſteck im
Fels der ſchwäbiſchen Alb. Fortgeſchleudert ſind die Bären-
und Mammut-Pelze. Aber dabei kommt ja hier noch nicht der
heutige nackte Eskimo aus der Hülſe, ſondern zunächſt erſt der
Menſch mit dem alten angewachſenen Affenpelz. Der iſt denn
eine läſtige, überflüſſige Zuthat hier, die man lieber nicht hätte.
Schließlich wird das nicht einmal damit erkauft, daß er etwa
draußen als Unterflanell unter dem Jagdpelz unentbehrlich
wäre. Der Bärenpelz langt. Das Hautflanell macht nur
das Geſamtgewicht noch größer. Und es hindert zugleich die
Hautausdünſtung unter der Decke. Und gewiß noch eins: es
bildet einen wahrhaft hölliſchen Schutzboden für Ungeziefer, das
jetzt in dem Tunnel zwiſchen Haut und Bärenpelz hier in der
Leibeswolle ein nur zu ideales Aſyl findet.
Du weißt, wie die Floh- und Lausplage in der ganzen
behaarten Säugetierwelt zu einer wahren Lebensfrage gediehen
iſt. Vom Affen läßt ſich beinahe ſagen: ein Drittel aller ſeiner
Lebensenergie erſchöpft ſich in der Jagd auf dieſe kleinen Un¬
holde. Die geringen Haarreſte, die der Menſch ſich heute ge¬
rettet hat, geben doch noch immer einen ausreichendſten Be¬
griff davon, was das Läuſe-Problem bei ihm einmal für eine
Rolle geſpielt haben muß.
Ja es iſt ſogar hochintereſſant, daß wir inmitten unſerer
europäiſchen, ängſtlich bekleideten Kultur noch immer am
Menſchenleibe gelegentlich eine Laus beſitzen, die mit feſter
Sympathie und Antipathie das offene Kopfhaar verſchmäht
und ſich hartnäckig in den übrigen größeren Haarreſten des
Leibes heimiſch fühlt. Ich meine die vielgeſchmähte Filzlaus.
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/71>, abgerufen am 21.11.2024.
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