mit wachsender Kultur diesen Weg nicht mehr. Die Wort¬ sprache, verfeinertes Mienenspiel und Verwandtes boten höheren Ersatz. Vielerlei mag noch hinein gespielt haben, was mit Kleidertragen auch daheim, Wieder-Nacktgehen draußen in wärmeren Zeiten und Ländern, Verhüllen der Geschlechtsteile aus Schamgründen und so weiter zusammenhing. Auch der allgemeine Verfall der Nasen-Feinheit überhaupt hat zweifellos sein Teil hinzu gethan, vielleicht den Hauptteil. Der lag für Jägervölker selber wieder viel an einem ganz zufälligen Um¬ stand: der Mensch gewöhnte sich nämlich an ein lebendiges Werkzeug, das grade die Spürnase bei ihm entlastete: den Hund. Als unfreiwilliger Begleiter bei der Wildsuche haben sich ihm wohl schon sehr früh Schakale und kleine Wölfe an¬ geschlossen. Ihre weit überlegene Spürkraft hat er dann schlie߬ lich für sich verwerten gelernt. Von da ab aber ist's dann gegangen, wie überall: das Werkzeug (in diesem Fall ein lebendiges, das er aber beherrschte wie jedes beliebige tote) hat bei ihm das Organ zurücktreten und schließlich verfallen lassen. Als sich die Menschennase einmal Jahrtausende auf die Hundenase verlassen hatte, war sie selber abgestumpft bis zum einfachsten Nichtmehrkönnen. Und das hat dann auch in die Liebe hineingespielt, wie selbstverständlich.
Von den Kopfhaaren ist viel weniger zu sagen und zu spintisieren. Den Mannesbart, meine ich, hat der Urmensch wirklich schon vom Affen mitgebracht. Als der ganze Leib noch fest im Affenpelze steckte, dürfte das Gesicht schon mehr oder minder entblößt gewesen sein und beim Manne vom Bart um¬ rahmt. So ist es zu deutlich bei einer Menge Affen selber schon, -- warum soll der Mensch das also nicht einfach bereits übernommen haben aus den Tagen, da er echter Affe war. Grade weil der Bart als Ideal männlicher Schönheit und Kraft so uralt, noch vom Affen her ist, hat er sich auch so unverändert über die ganze spätere Zeit des Enthaarungs-Ideals fortgerettet.
mit wachſender Kultur dieſen Weg nicht mehr. Die Wort¬ ſprache, verfeinertes Mienenſpiel und Verwandtes boten höheren Erſatz. Vielerlei mag noch hinein geſpielt haben, was mit Kleidertragen auch daheim, Wieder-Nacktgehen draußen in wärmeren Zeiten und Ländern, Verhüllen der Geſchlechtsteile aus Schamgründen und ſo weiter zuſammenhing. Auch der allgemeine Verfall der Naſen-Feinheit überhaupt hat zweifellos ſein Teil hinzu gethan, vielleicht den Hauptteil. Der lag für Jägervölker ſelber wieder viel an einem ganz zufälligen Um¬ ſtand: der Menſch gewöhnte ſich nämlich an ein lebendiges Werkzeug, das grade die Spürnaſe bei ihm entlaſtete: den Hund. Als unfreiwilliger Begleiter bei der Wildſuche haben ſich ihm wohl ſchon ſehr früh Schakale und kleine Wölfe an¬ geſchloſſen. Ihre weit überlegene Spürkraft hat er dann ſchlie߬ lich für ſich verwerten gelernt. Von da ab aber iſt's dann gegangen, wie überall: das Werkzeug (in dieſem Fall ein lebendiges, das er aber beherrſchte wie jedes beliebige tote) hat bei ihm das Organ zurücktreten und ſchließlich verfallen laſſen. Als ſich die Menſchennaſe einmal Jahrtauſende auf die Hundenaſe verlaſſen hatte, war ſie ſelber abgeſtumpft bis zum einfachſten Nichtmehrkönnen. Und das hat dann auch in die Liebe hineingeſpielt, wie ſelbſtverſtändlich.
Von den Kopfhaaren iſt viel weniger zu ſagen und zu ſpintiſieren. Den Mannesbart, meine ich, hat der Urmenſch wirklich ſchon vom Affen mitgebracht. Als der ganze Leib noch feſt im Affenpelze ſteckte, dürfte das Geſicht ſchon mehr oder minder entblößt geweſen ſein und beim Manne vom Bart um¬ rahmt. So iſt es zu deutlich bei einer Menge Affen ſelber ſchon, — warum ſoll der Menſch das alſo nicht einfach bereits übernommen haben aus den Tagen, da er echter Affe war. Grade weil der Bart als Ideal männlicher Schönheit und Kraft ſo uralt, noch vom Affen her iſt, hat er ſich auch ſo unverändert über die ganze ſpätere Zeit des Enthaarungs-Ideals fortgerettet.
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mit wachſender Kultur dieſen Weg nicht mehr. Die Wort¬
ſprache, verfeinertes Mienenſpiel und Verwandtes boten höheren
Erſatz. Vielerlei mag noch hinein geſpielt haben, was mit
Kleidertragen auch daheim, Wieder-Nacktgehen draußen in
wärmeren Zeiten und Ländern, Verhüllen der Geſchlechtsteile
aus Schamgründen und ſo weiter zuſammenhing. Auch der
allgemeine Verfall der Naſen-Feinheit überhaupt hat zweifellos
ſein Teil hinzu gethan, vielleicht den Hauptteil. Der lag für
Jägervölker ſelber wieder viel an einem ganz zufälligen Um¬
ſtand: der Menſch gewöhnte ſich nämlich an ein lebendiges
Werkzeug, das grade die Spürnaſe bei ihm entlaſtete: den
Hund. Als unfreiwilliger Begleiter bei der Wildſuche haben
ſich ihm wohl ſchon ſehr früh Schakale und kleine Wölfe an¬
geſchloſſen. Ihre weit überlegene Spürkraft hat er dann ſchlie߬
lich für ſich verwerten gelernt. Von da ab aber iſt's dann
gegangen, wie überall: das Werkzeug (in dieſem Fall ein
lebendiges, das er aber beherrſchte wie jedes beliebige tote)
hat bei ihm das Organ zurücktreten und ſchließlich verfallen
laſſen. Als ſich die Menſchennaſe einmal Jahrtauſende auf
die Hundenaſe verlaſſen hatte, war ſie ſelber abgeſtumpft bis
zum einfachſten Nichtmehrkönnen. Und das hat dann auch in
die Liebe hineingeſpielt, wie ſelbſtverſtändlich.
Von den Kopfhaaren iſt viel weniger zu ſagen und zu
ſpintiſieren. Den Mannesbart, meine ich, hat der Urmenſch
wirklich ſchon vom Affen mitgebracht. Als der ganze Leib noch
feſt im Affenpelze ſteckte, dürfte das Geſicht ſchon mehr oder
minder entblößt geweſen ſein und beim Manne vom Bart um¬
rahmt. So iſt es zu deutlich bei einer Menge Affen ſelber
ſchon, — warum ſoll der Menſch das alſo nicht einfach bereits
übernommen haben aus den Tagen, da er echter Affe war.
Grade weil der Bart als Ideal männlicher Schönheit und
Kraft ſo uralt, noch vom Affen her iſt, hat er ſich auch ſo
unverändert über die ganze ſpätere Zeit des Enthaarungs-Ideals
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/89>, abgerufen am 21.11.2024.
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