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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832.

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fressen werden soll, er es werde, wie es prophezeit
worden.

-- Sonntag habe ich einem Conzerte im Con¬
servatoire beigewohnt. Ein junger Componist, Na¬
mens Berlioz, von dem ich Ihnen schon geschrieben,
ließ von seinen Compositionen aufführen; das ist ein
Romantiker. Ein ganzer Beethoven steckt in diesem
Franzosen. Aber toll zum Anbinden. Mir hat alles
sehr gefallen. Eine merkwürdige Symphonie, eine
dramatische in fünf Acten, natürlich blos Instrumen¬
tal-Musik; aber daß man sie verstehe, ließ er wie
zu einer Oper einen die Handlung erklärenden Text
drucken. Es ist die ausschweifendste Ironie, wie sie
noch kein Dichter in Worten ausgedrückt, und alles
gottlos. Der Componist erzählt darin seine eigene
Jugendgeschichte. Er vergiftet sich mit Opium und
da träumt ihm, er hätte die Geliebte ermordet,
und würde zum Tode verurtheilt. Er wohnt seiner
eigenen Hinrichtung bei. Da hört man einen unver¬
gleichlichen Marsch, wie ich noch nie einen gehört.
Im letzten Theile stellt er den Blocksberg vor, ganz
wie im Faust, und es ist alles mit Händen zu
greifen. Seine Geliebte, die sich seiner unwürdig
zeigte, erscheinet auch in der Walpurgisnacht; aber
nicht wie Gretchen in Faust, sondern frech, Hexen¬
mäßig ..... In der Kunst und Literatur wie
in der Politik, gehet die Frechheit der Freiheit vor¬

freſſen werden ſoll, er es werde, wie es prophezeit
worden.

— Sonntag habe ich einem Conzerte im Con¬
ſervatoire beigewohnt. Ein junger Componiſt, Na¬
mens Berlioz, von dem ich Ihnen ſchon geſchrieben,
ließ von ſeinen Compoſitionen aufführen; das iſt ein
Romantiker. Ein ganzer Beethoven ſteckt in dieſem
Franzoſen. Aber toll zum Anbinden. Mir hat alles
ſehr gefallen. Eine merkwürdige Symphonie, eine
dramatiſche in fünf Acten, natürlich blos Inſtrumen¬
tal-Muſik; aber daß man ſie verſtehe, ließ er wie
zu einer Oper einen die Handlung erklärenden Text
drucken. Es iſt die ausſchweifendſte Ironie, wie ſie
noch kein Dichter in Worten ausgedrückt, und alles
gottlos. Der Componiſt erzählt darin ſeine eigene
Jugendgeſchichte. Er vergiftet ſich mit Opium und
da träumt ihm, er hätte die Geliebte ermordet,
und würde zum Tode verurtheilt. Er wohnt ſeiner
eigenen Hinrichtung bei. Da hört man einen unver¬
gleichlichen Marſch, wie ich noch nie einen gehört.
Im letzten Theile ſtellt er den Blocksberg vor, ganz
wie im Fauſt, und es iſt alles mit Händen zu
greifen. Seine Geliebte, die ſich ſeiner unwürdig
zeigte, erſcheinet auch in der Walpurgisnacht; aber
nicht wie Gretchen in Fauſt, ſondern frech, Hexen¬
mäßig ..... In der Kunſt und Literatur wie
in der Politik, gehet die Frechheit der Freiheit vor¬

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[120/0134] freſſen werden ſoll, er es werde, wie es prophezeit worden. — Sonntag habe ich einem Conzerte im Con¬ ſervatoire beigewohnt. Ein junger Componiſt, Na¬ mens Berlioz, von dem ich Ihnen ſchon geſchrieben, ließ von ſeinen Compoſitionen aufführen; das iſt ein Romantiker. Ein ganzer Beethoven ſteckt in dieſem Franzoſen. Aber toll zum Anbinden. Mir hat alles ſehr gefallen. Eine merkwürdige Symphonie, eine dramatiſche in fünf Acten, natürlich blos Inſtrumen¬ tal-Muſik; aber daß man ſie verſtehe, ließ er wie zu einer Oper einen die Handlung erklärenden Text drucken. Es iſt die ausſchweifendſte Ironie, wie ſie noch kein Dichter in Worten ausgedrückt, und alles gottlos. Der Componiſt erzählt darin ſeine eigene Jugendgeſchichte. Er vergiftet ſich mit Opium und da träumt ihm, er hätte die Geliebte ermordet, und würde zum Tode verurtheilt. Er wohnt ſeiner eigenen Hinrichtung bei. Da hört man einen unver¬ gleichlichen Marſch, wie ich noch nie einen gehört. Im letzten Theile ſtellt er den Blocksberg vor, ganz wie im Fauſt, und es iſt alles mit Händen zu greifen. Seine Geliebte, die ſich ſeiner unwürdig zeigte, erſcheinet auch in der Walpurgisnacht; aber nicht wie Gretchen in Fauſt, ſondern frech, Hexen¬ mäßig ..... In der Kunſt und Literatur wie in der Politik, gehet die Frechheit der Freiheit vor¬

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/134>, abgerufen am 17.05.2024.