Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832.Heuchelei, Gewaltthätigkeit jeder Art erfahren -- Heuchelei, Gewaltthätigkeit jeder Art erfahren — <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0164" n="150"/> Heuchelei, Gewaltthätigkeit jeder Art erfahren —<lb/> und noch glaubt er an Tugend, Wahrheit, Freiheit<lb/> und Recht! Solche Menſchen beweiſen beſſer, daß<lb/> es einen Gott gibt, als das alte und neue Teſtament<lb/> und der Koran zuſammen. Noch heute, zwar von<lb/> vielen geliebt, von allen geachtet, aber auch von<lb/> allen verkannt, wird er nur von ſeinen Feinden nicht<lb/> betrogen, die ihren Haß offen ausſprechen; aber von<lb/> ſeinen Freunden gebraucht, misbraucht, getäuſcht und<lb/> oft verſpottet. Er iſt wie ein Gottesbild im Tem¬<lb/> pel, in deſſen Namen heuchleriſche Prieſter fordern,<lb/> wonach ihnen ſelbſt gelüſtet, und die heimlich das<lb/> gläubige Volk und ſeinen Gott auslachen. Er aber<lb/> gehet ſeinen Weg unveränderlich wie die Sonne, und<lb/> unbekümmert, ob die Guten ſein Licht zu guten<lb/> Handlungen oder die Böſen zu ſchlechten gebrauchen.<lb/> Wie lange wird es noch dauern, bis Frankreich<lb/> Lafayette's würdig iſt! Aber es wird einmal kom¬<lb/> men. Er erſcheint mir wie die Mauer einer neu¬<lb/> zugründenden Stadt, die man rund umhergezogen, und<lb/> inwendig iſt noch alles öde und kein Haus iſt gebauet.</p><lb/> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [150/0164]
Heuchelei, Gewaltthätigkeit jeder Art erfahren —
und noch glaubt er an Tugend, Wahrheit, Freiheit
und Recht! Solche Menſchen beweiſen beſſer, daß
es einen Gott gibt, als das alte und neue Teſtament
und der Koran zuſammen. Noch heute, zwar von
vielen geliebt, von allen geachtet, aber auch von
allen verkannt, wird er nur von ſeinen Feinden nicht
betrogen, die ihren Haß offen ausſprechen; aber von
ſeinen Freunden gebraucht, misbraucht, getäuſcht und
oft verſpottet. Er iſt wie ein Gottesbild im Tem¬
pel, in deſſen Namen heuchleriſche Prieſter fordern,
wonach ihnen ſelbſt gelüſtet, und die heimlich das
gläubige Volk und ſeinen Gott auslachen. Er aber
gehet ſeinen Weg unveränderlich wie die Sonne, und
unbekümmert, ob die Guten ſein Licht zu guten
Handlungen oder die Böſen zu ſchlechten gebrauchen.
Wie lange wird es noch dauern, bis Frankreich
Lafayette's würdig iſt! Aber es wird einmal kom¬
men. Er erſcheint mir wie die Mauer einer neu¬
zugründenden Stadt, die man rund umhergezogen, und
inwendig iſt noch alles öde und kein Haus iſt gebauet.
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