Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

der Revüe waren, mußte die ganze königliche Pöbel¬
wirthschaft doch wunderlich vorkommen. An den
deutschen Höfen wird jeder Prinz, sobald er auf die
Welt kömmt, gleich in ein Regiment eingeschrieben,
um von unten auf zu dienen, und so während er
in's Bett pisst, avancirt er immerfort, ist im sieben¬
ten Jahre Lieutenant, im zehnten Obrist, und im
achtzehnten General. Die Revüe dauerte von Mor¬
gens bis Abends; ich hatte natürlich nicht so lange
Geduld. Wie es nur die Leute aushalten, so lange
auf den Beinen zu seyn. Um acht Uhr Morgens
zogen sie aus, und es war acht Uhr Abends als die
letzten Legionen noch über die Boulevards zogen.
Viele Nationalgarden, um sich nicht zu ermüden, sind
zur Revüe hingefahren, und die vielen Cabriolets
und Omnibus, aus welchen auf beiden Seiten Flin¬
ten hervorsahen, gewährten einen seltsamen Anblick.

Heute ist das Ministerium geändert, wie Sie
aus den Zeitungen erfahren werden. Thiers, der
Verfasser einer Geschichte der französischen Revolu¬
tion, wird Unter-Staats-Sekretair der Finanzen,
also ohngefähr so viel als Minister. Ich kannte ihn
früher. Er ist kaum dreißig Jahre alt, kam zur
Zeit als wir in Paris waren mit seinem Landsmann
Mignet hierher, ganz fremd und unbeholfen. Ein
Deutscher meiner Bekannten nahm sich der jungen
Leute an und wies sie zurecht, und jetzt ist der Eine

der Revüe waren, mußte die ganze königliche Pöbel¬
wirthſchaft doch wunderlich vorkommen. An den
deutſchen Höfen wird jeder Prinz, ſobald er auf die
Welt kömmt, gleich in ein Regiment eingeſchrieben,
um von unten auf zu dienen, und ſo während er
in's Bett piſſt, avancirt er immerfort, iſt im ſieben¬
ten Jahre Lieutenant, im zehnten Obriſt, und im
achtzehnten General. Die Revüe dauerte von Mor¬
gens bis Abends; ich hatte natürlich nicht ſo lange
Geduld. Wie es nur die Leute aushalten, ſo lange
auf den Beinen zu ſeyn. Um acht Uhr Morgens
zogen ſie aus, und es war acht Uhr Abends als die
letzten Legionen noch über die Boulevards zogen.
Viele Nationalgarden, um ſich nicht zu ermüden, ſind
zur Revüe hingefahren, und die vielen Cabriolets
und Omnibus, aus welchen auf beiden Seiten Flin¬
ten hervorſahen, gewährten einen ſeltſamen Anblick.

Heute iſt das Miniſterium geändert, wie Sie
aus den Zeitungen erfahren werden. Thiers, der
Verfaſſer einer Geſchichte der franzöſiſchen Revolu¬
tion, wird Unter-Staats-Sekretair der Finanzen,
alſo ohngefähr ſo viel als Miniſter. Ich kannte ihn
früher. Er iſt kaum dreißig Jahre alt, kam zur
Zeit als wir in Paris waren mit ſeinem Landsmann
Mignet hierher, ganz fremd und unbeholfen. Ein
Deutſcher meiner Bekannten nahm ſich der jungen
Leute an und wies ſie zurecht, und jetzt iſt der Eine

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0099" n="85"/>
der Revüe waren, mußte die ganze königliche Pöbel¬<lb/>
wirth&#x017F;chaft doch wunderlich vorkommen. An den<lb/>
deut&#x017F;chen Höfen wird jeder Prinz, &#x017F;obald er auf die<lb/>
Welt kömmt, gleich in ein Regiment einge&#x017F;chrieben,<lb/>
um von unten auf zu dienen, und &#x017F;o während er<lb/>
in's Bett pi&#x017F;&#x017F;t, avancirt er immerfort, i&#x017F;t im &#x017F;ieben¬<lb/>
ten Jahre Lieutenant, im zehnten Obri&#x017F;t, und im<lb/>
achtzehnten General. Die Revüe dauerte von Mor¬<lb/>
gens bis Abends; ich hatte natürlich nicht &#x017F;o lange<lb/>
Geduld. Wie es nur die Leute aushalten, &#x017F;o lange<lb/>
auf den Beinen zu &#x017F;eyn. Um acht Uhr Morgens<lb/>
zogen &#x017F;ie aus, und es war acht Uhr Abends als die<lb/>
letzten Legionen noch über die Boulevards zogen.<lb/>
Viele Nationalgarden, um &#x017F;ich nicht zu ermüden, &#x017F;ind<lb/>
zur Revüe hingefahren, und die vielen Cabriolets<lb/>
und Omnibus, aus welchen auf beiden Seiten Flin¬<lb/>
ten hervor&#x017F;ahen, gewährten einen &#x017F;elt&#x017F;amen Anblick.<lb/></p>
          <p>Heute i&#x017F;t das Mini&#x017F;terium geändert, wie Sie<lb/>
aus den Zeitungen erfahren werden. Thiers, der<lb/>
Verfa&#x017F;&#x017F;er einer Ge&#x017F;chichte der franzö&#x017F;i&#x017F;chen Revolu¬<lb/>
tion, wird Unter-Staats-Sekretair der Finanzen,<lb/>
al&#x017F;o ohngefähr &#x017F;o viel als Mini&#x017F;ter. Ich kannte ihn<lb/>
früher. Er i&#x017F;t kaum dreißig Jahre alt, kam zur<lb/>
Zeit als wir in Paris waren mit &#x017F;einem Landsmann<lb/>
Mignet hierher, ganz fremd und unbeholfen. Ein<lb/>
Deut&#x017F;cher meiner Bekannten nahm &#x017F;ich der jungen<lb/>
Leute an und wies &#x017F;ie zurecht, und jetzt i&#x017F;t der Eine<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[85/0099] der Revüe waren, mußte die ganze königliche Pöbel¬ wirthſchaft doch wunderlich vorkommen. An den deutſchen Höfen wird jeder Prinz, ſobald er auf die Welt kömmt, gleich in ein Regiment eingeſchrieben, um von unten auf zu dienen, und ſo während er in's Bett piſſt, avancirt er immerfort, iſt im ſieben¬ ten Jahre Lieutenant, im zehnten Obriſt, und im achtzehnten General. Die Revüe dauerte von Mor¬ gens bis Abends; ich hatte natürlich nicht ſo lange Geduld. Wie es nur die Leute aushalten, ſo lange auf den Beinen zu ſeyn. Um acht Uhr Morgens zogen ſie aus, und es war acht Uhr Abends als die letzten Legionen noch über die Boulevards zogen. Viele Nationalgarden, um ſich nicht zu ermüden, ſind zur Revüe hingefahren, und die vielen Cabriolets und Omnibus, aus welchen auf beiden Seiten Flin¬ ten hervorſahen, gewährten einen ſeltſamen Anblick. Heute iſt das Miniſterium geändert, wie Sie aus den Zeitungen erfahren werden. Thiers, der Verfaſſer einer Geſchichte der franzöſiſchen Revolu¬ tion, wird Unter-Staats-Sekretair der Finanzen, alſo ohngefähr ſo viel als Miniſter. Ich kannte ihn früher. Er iſt kaum dreißig Jahre alt, kam zur Zeit als wir in Paris waren mit ſeinem Landsmann Mignet hierher, ganz fremd und unbeholfen. Ein Deutſcher meiner Bekannten nahm ſich der jungen Leute an und wies ſie zurecht, und jetzt iſt der Eine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/99
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/99>, abgerufen am 22.12.2024.