Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

noch nicht Maitresse des Königs, sondern Putz¬
macherin war. Putzmacherin in Paris -- das nennt
sie den Stand der Unschuld! Von dieser Erinne¬
rung bekommt sie in mehreren Scenen die heftigsten
Anfälle von Tugend-Krämpfen und kein Arzt in ganz
Versailles die Mittel dagegen weiß. Dem guten
Ludwig XV. geht es noch schlimmer. Er bekommt
einen Tugend-Schlag, so daß man meint, er wäre
todt. Aber er hat eine herliche Natur und erholt
sich wieder. Der Spaß ist: in unsern bürgerlichen
Schauspielen von Iffland und Kotzebue tritt ein
Dutzend edler Menschen auf, und unter ihnen ein
einziger Schurke, höchstens mit noch einem Schurken¬
gehülfen. Am Ende wird das Laster beschämt und
besiegt und von der Tugend rein ausgeplündert. In
der Dubarry aber und in andern ähnlichen Stücken,
tritt ein Dutzend Schurken auf und unter ihnen ein
tugendhaftes Paar. Und zuletzt wird gar nicht das
Laster beschämt, sondern im Gegentheil die Tugend;
ja das Laster kommt noch zu Ehren, indem es sich
großmüthig zeigt und der besiegten Tugend Leben und
Freiheit schenkt. Und Dichter wie Zuschauer merken
das gar nicht! In der Dubarry findet sich eine saubere
Gesellschaft zusammen. Der König, der Herzog von Ri¬
chelieu, der Herzog von Aiguillon; der Herzog von Lav¬
rillieri, alle Taschen voll Lettres de cachet, die er
seinen Freunden bei Hofe präsentirt wie Bonbons;

noch nicht Maitreſſe des Königs, ſondern Putz¬
macherin war. Putzmacherin in Paris — das nennt
ſie den Stand der Unſchuld! Von dieſer Erinne¬
rung bekommt ſie in mehreren Scenen die heftigſten
Anfälle von Tugend-Krämpfen und kein Arzt in ganz
Verſailles die Mittel dagegen weiß. Dem guten
Ludwig XV. geht es noch ſchlimmer. Er bekommt
einen Tugend-Schlag, ſo daß man meint, er wäre
todt. Aber er hat eine herliche Natur und erholt
ſich wieder. Der Spaß iſt: in unſern bürgerlichen
Schauſpielen von Iffland und Kotzebue tritt ein
Dutzend edler Menſchen auf, und unter ihnen ein
einziger Schurke, höchſtens mit noch einem Schurken¬
gehülfen. Am Ende wird das Laſter beſchämt und
beſiegt und von der Tugend rein ausgeplündert. In
der Dubarry aber und in andern ähnlichen Stücken,
tritt ein Dutzend Schurken auf und unter ihnen ein
tugendhaftes Paar. Und zuletzt wird gar nicht das
Laſter beſchämt, ſondern im Gegentheil die Tugend;
ja das Laſter kommt noch zu Ehren, indem es ſich
großmüthig zeigt und der beſiegten Tugend Leben und
Freiheit ſchenkt. Und Dichter wie Zuſchauer merken
das gar nicht! In der Dubarry findet ſich eine ſaubere
Geſellſchaft zuſammen. Der König, der Herzog von Ri¬
chelieu, der Herzog von Aiguillon; der Herzog von Lav¬
rillieri, alle Taſchen voll Lettres de cachet, die er
ſeinen Freunden bei Hofe präſentirt wie Bonbons;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div>
          <p><pb facs="#f0200" n="186"/>
noch nicht Maitre&#x017F;&#x017F;e des Königs, &#x017F;ondern Putz¬<lb/>
macherin war. Putzmacherin in Paris &#x2014; das nennt<lb/>
&#x017F;ie den Stand der Un&#x017F;chuld! Von die&#x017F;er Erinne¬<lb/>
rung bekommt &#x017F;ie in mehreren Scenen die heftig&#x017F;ten<lb/>
Anfälle von Tugend-Krämpfen und kein Arzt in ganz<lb/>
Ver&#x017F;ailles die Mittel dagegen weiß. Dem guten<lb/>
Ludwig <hi rendition="#aq">XV</hi>. geht es noch &#x017F;chlimmer. Er bekommt<lb/>
einen Tugend-Schlag, &#x017F;o daß man meint, er wäre<lb/>
todt. Aber er hat eine herliche Natur und erholt<lb/>
&#x017F;ich wieder. Der Spaß i&#x017F;t: in un&#x017F;ern bürgerlichen<lb/>
Schau&#x017F;pielen von Iffland und Kotzebue tritt ein<lb/>
Dutzend edler Men&#x017F;chen auf, und unter ihnen ein<lb/>
einziger Schurke, höch&#x017F;tens mit noch einem Schurken¬<lb/>
gehülfen. Am Ende wird das La&#x017F;ter be&#x017F;chämt und<lb/>
be&#x017F;iegt und von der Tugend rein ausgeplündert. In<lb/>
der Dubarry aber und in andern ähnlichen Stücken,<lb/>
tritt ein Dutzend Schurken auf und unter ihnen <hi rendition="#g">ein</hi><lb/>
tugendhaftes Paar. Und zuletzt wird gar nicht das<lb/>
La&#x017F;ter be&#x017F;chämt, &#x017F;ondern im Gegentheil die Tugend;<lb/>
ja das La&#x017F;ter kommt noch zu Ehren, indem es &#x017F;ich<lb/>
großmüthig zeigt und der be&#x017F;iegten Tugend Leben und<lb/>
Freiheit &#x017F;chenkt. Und Dichter wie Zu&#x017F;chauer merken<lb/>
das gar nicht! In der Dubarry findet &#x017F;ich eine &#x017F;aubere<lb/>
Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft zu&#x017F;ammen. Der König, der Herzog von Ri¬<lb/>
chelieu, der Herzog von Aiguillon; der Herzog von Lav¬<lb/>
rillieri, alle Ta&#x017F;chen voll <hi rendition="#aq">Lettres de cachet</hi>, die er<lb/>
&#x017F;einen Freunden bei Hofe prä&#x017F;entirt wie Bonbons;<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[186/0200] noch nicht Maitreſſe des Königs, ſondern Putz¬ macherin war. Putzmacherin in Paris — das nennt ſie den Stand der Unſchuld! Von dieſer Erinne¬ rung bekommt ſie in mehreren Scenen die heftigſten Anfälle von Tugend-Krämpfen und kein Arzt in ganz Verſailles die Mittel dagegen weiß. Dem guten Ludwig XV. geht es noch ſchlimmer. Er bekommt einen Tugend-Schlag, ſo daß man meint, er wäre todt. Aber er hat eine herliche Natur und erholt ſich wieder. Der Spaß iſt: in unſern bürgerlichen Schauſpielen von Iffland und Kotzebue tritt ein Dutzend edler Menſchen auf, und unter ihnen ein einziger Schurke, höchſtens mit noch einem Schurken¬ gehülfen. Am Ende wird das Laſter beſchämt und beſiegt und von der Tugend rein ausgeplündert. In der Dubarry aber und in andern ähnlichen Stücken, tritt ein Dutzend Schurken auf und unter ihnen ein tugendhaftes Paar. Und zuletzt wird gar nicht das Laſter beſchämt, ſondern im Gegentheil die Tugend; ja das Laſter kommt noch zu Ehren, indem es ſich großmüthig zeigt und der beſiegten Tugend Leben und Freiheit ſchenkt. Und Dichter wie Zuſchauer merken das gar nicht! In der Dubarry findet ſich eine ſaubere Geſellſchaft zuſammen. Der König, der Herzog von Ri¬ chelieu, der Herzog von Aiguillon; der Herzog von Lav¬ rillieri, alle Taſchen voll Lettres de cachet, die er ſeinen Freunden bei Hofe präſentirt wie Bonbons;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/200
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/200>, abgerufen am 22.11.2024.