selbst erfahrend, lerne ich sie an andern verzei¬ hen, und ich ermanne mich wieder. Diesen Sommer in Baden, als ich unter meinen Pa¬ pieren suchte, fiel mir ein altes Blatt in die Hand, das mich auf das heftigste bewegte. Das Herz befahl meiner Hand, die Hand ergriff die Feder -- nach fünf Minuten legte ich weg; ich konnte nie zu meinem Vortheile schreiben. Es war ein Paß. Im Jahre 1807, da ich Student war, ließ ich mir in Frankfurt einen Paß aus¬ stellen, um über Mainz nach Heidelberg zu rei¬ sen. Ich kam aus dem Leben der Freiheit, kehrte in dasselbe zurück, und berührte das Land der Gleichheit. Der Schreiber auf dem Rö¬ mer, der den Paß ausfertigte, war eine Mis¬ gestalt, mit einem giftigen Krötengesichte. Als ich den Paß in die Hand nahm, las ich darin: Juif de Francfort. Mein Blut stand stille: doch durfte ich nichts sagen, noch thun, denn mein Vater war gegenwärtig. Damals schwur
ſelbſt erfahrend, lerne ich ſie an andern verzei¬ hen, und ich ermanne mich wieder. Dieſen Sommer in Baden, als ich unter meinen Pa¬ pieren ſuchte, fiel mir ein altes Blatt in die Hand, das mich auf das heftigſte bewegte. Das Herz befahl meiner Hand, die Hand ergriff die Feder — nach fuͤnf Minuten legte ich weg; ich konnte nie zu meinem Vortheile ſchreiben. Es war ein Paß. Im Jahre 1807, da ich Student war, ließ ich mir in Frankfurt einen Paß aus¬ ſtellen, um uͤber Mainz nach Heidelberg zu rei¬ ſen. Ich kam aus dem Leben der Freiheit, kehrte in daſſelbe zuruͤck, und beruͤhrte das Land der Gleichheit. Der Schreiber auf dem Roͤ¬ mer, der den Paß ausfertigte, war eine Mis¬ geſtalt, mit einem giftigen Kroͤtengeſichte. Als ich den Paß in die Hand nahm, las ich darin: Juif de Francfort. Mein Blut ſtand ſtille: doch durfte ich nichts ſagen, noch thun, denn mein Vater war gegenwaͤrtig. Damals ſchwur
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ſelbſt erfahrend, lerne ich ſie an andern verzei¬
hen, und ich ermanne mich wieder. Dieſen
Sommer in Baden, als ich unter meinen Pa¬
pieren ſuchte, fiel mir ein altes Blatt in die
Hand, das mich auf das heftigſte bewegte. Das
Herz befahl meiner Hand, die Hand ergriff die
Feder — nach fuͤnf Minuten legte ich weg; ich
konnte nie zu meinem Vortheile ſchreiben. Es
war ein Paß. Im Jahre 1807, da ich Student
war, ließ ich mir in Frankfurt einen Paß aus¬
ſtellen, um uͤber Mainz nach Heidelberg zu rei¬
ſen. Ich kam aus dem Leben der Freiheit,
kehrte in daſſelbe zuruͤck, und beruͤhrte das Land
der Gleichheit. Der Schreiber auf dem Roͤ¬
mer, der den Paß ausfertigte, war eine Mis¬
geſtalt, mit einem giftigen Kroͤtengeſichte. Als
ich den Paß in die Hand nahm, las ich darin:
Juif de Francfort. Mein Blut ſtand ſtille:
doch durfte ich nichts ſagen, noch thun, denn
mein Vater war gegenwaͤrtig. Damals ſchwur
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 3. Paris, 1833, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris03_1833/214>, abgerufen am 21.11.2024.
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