Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 3. Paris, 1833.

Bild:
<< vorherige Seite

von jungen polnischen Studenten gehörig ge¬
deutet und mit Enthusiasmus beklatscht. Zur
Strafe wurde Maltitz, obzwar sein Stück die
Censur passirt hatte, und er ein gebohrener
Preuße ist, aus dem Lande verbannt. In der
letzten Zeit schrieb er ein episches Gedicht Polo¬
nia, was sehr viel gelesen wird. Selbst in
Paris wurden 200 Exemplare verkauft.

Goethes Tagebuch, von dem ich Ihnen
neulich geschrieben, habe ich nun geendigt. So
eine dürre leblose Seele giebt es auf der Welt
nicht mehr, und nichts ist bewundernswürdiger
als die Naivität, mit welcher er seine Gefühl¬
losigkeit an den hellen Tag bringt. Das Buch
ist eine wahre Bibel des Unglaubens. Ich ha¬
be beim Lesen einige Stellen ausgezogen, und
ich lege das Blatt hier bei. Viele Bemerkun¬
gen hierüber waren gar nicht nöthig; Goethes
klarer Text macht die Noten überflüssig. Und
solche Consuln hat sich das deutsche Volk ge¬

von jungen polniſchen Studenten gehoͤrig ge¬
deutet und mit Enthuſiasmus beklatſcht. Zur
Strafe wurde Maltitz, obzwar ſein Stuͤck die
Cenſur paſſirt hatte, und er ein gebohrener
Preuße iſt, aus dem Lande verbannt. In der
letzten Zeit ſchrieb er ein epiſches Gedicht Polo¬
nia, was ſehr viel geleſen wird. Selbſt in
Paris wurden 200 Exemplare verkauft.

Goethes Tagebuch, von dem ich Ihnen
neulich geſchrieben, habe ich nun geendigt. So
eine duͤrre lebloſe Seele giebt es auf der Welt
nicht mehr, und nichts iſt bewundernswuͤrdiger
als die Naivitaͤt, mit welcher er ſeine Gefuͤhl¬
loſigkeit an den hellen Tag bringt. Das Buch
iſt eine wahre Bibel des Unglaubens. Ich ha¬
be beim Leſen einige Stellen ausgezogen, und
ich lege das Blatt hier bei. Viele Bemerkun¬
gen hieruͤber waren gar nicht noͤthig; Goethes
klarer Text macht die Noten uͤberfluͤſſig. Und
ſolche Conſuln hat ſich das deutſche Volk ge¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0034" n="20"/>
von jungen polni&#x017F;chen Studenten geho&#x0364;rig ge¬<lb/>
deutet und mit Enthu&#x017F;iasmus beklat&#x017F;cht. Zur<lb/>
Strafe wurde Maltitz, obzwar &#x017F;ein Stu&#x0364;ck die<lb/>
Cen&#x017F;ur pa&#x017F;&#x017F;irt hatte, und er ein gebohrener<lb/>
Preuße i&#x017F;t, aus dem Lande verbannt. In der<lb/>
letzten Zeit &#x017F;chrieb er ein epi&#x017F;ches Gedicht Polo¬<lb/>
nia, was &#x017F;ehr viel gele&#x017F;en wird. Selb&#x017F;t in<lb/>
Paris wurden 200 Exemplare verkauft.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Goethes Tagebuch</hi>, von dem ich Ihnen<lb/>
neulich ge&#x017F;chrieben, habe ich nun geendigt. So<lb/>
eine du&#x0364;rre leblo&#x017F;e Seele giebt es auf der Welt<lb/>
nicht mehr, und nichts i&#x017F;t bewundernswu&#x0364;rdiger<lb/>
als die Naivita&#x0364;t, mit welcher er &#x017F;eine Gefu&#x0364;hl¬<lb/>
lo&#x017F;igkeit an den hellen Tag bringt. Das Buch<lb/>
i&#x017F;t eine wahre Bibel des Unglaubens. Ich ha¬<lb/>
be beim Le&#x017F;en einige Stellen ausgezogen, und<lb/>
ich lege das Blatt hier bei. Viele Bemerkun¬<lb/>
gen hieru&#x0364;ber waren gar nicht no&#x0364;thig; Goethes<lb/>
klarer Text macht die Noten u&#x0364;berflu&#x0364;&#x017F;&#x017F;ig. Und<lb/>
&#x017F;olche Con&#x017F;uln hat &#x017F;ich das deut&#x017F;che Volk ge¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[20/0034] von jungen polniſchen Studenten gehoͤrig ge¬ deutet und mit Enthuſiasmus beklatſcht. Zur Strafe wurde Maltitz, obzwar ſein Stuͤck die Cenſur paſſirt hatte, und er ein gebohrener Preuße iſt, aus dem Lande verbannt. In der letzten Zeit ſchrieb er ein epiſches Gedicht Polo¬ nia, was ſehr viel geleſen wird. Selbſt in Paris wurden 200 Exemplare verkauft. Goethes Tagebuch, von dem ich Ihnen neulich geſchrieben, habe ich nun geendigt. So eine duͤrre lebloſe Seele giebt es auf der Welt nicht mehr, und nichts iſt bewundernswuͤrdiger als die Naivitaͤt, mit welcher er ſeine Gefuͤhl¬ loſigkeit an den hellen Tag bringt. Das Buch iſt eine wahre Bibel des Unglaubens. Ich ha¬ be beim Leſen einige Stellen ausgezogen, und ich lege das Blatt hier bei. Viele Bemerkun¬ gen hieruͤber waren gar nicht noͤthig; Goethes klarer Text macht die Noten uͤberfluͤſſig. Und ſolche Conſuln hat ſich das deutſche Volk ge¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris03_1833
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris03_1833/34
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 3. Paris, 1833, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris03_1833/34>, abgerufen am 24.11.2024.