Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 3. Paris, 1833.

Bild:
<< vorherige Seite

Goethe, wie alle Grenz-Menschen das
Stadtthor seiner Welt, sie schließend, vertheidi¬
gend. Die Gemeinde erweitert sich, das Thor
wird niedergerissen oder überbauet und dient
zum Durchgange wie früher zur Abwehr.

"Reichardt war von der musikalischen Seite
"unser Freund, von der politischen unser Wider¬
"sacher, daher sich im Stillen ein Bruch vor¬
"bereitete, der zuletzt unaufhaltsam an den Tag
"kam."

Ich kannte Reichardt etwas. Er war ein
Preuße, das heißt ein Windbeutel. Wo er sich
befand, entstand gleich ein Luftzug, selbst im
verschlossensten Zimmer. Er hatte bewegliche
Gefühle, doch er fühlte; man konnte ihn her¬
beiziehen und wegschieben. Er stand nicht, gleich
Goethe, wie eine Mauer im Leben da, die,
wenn auch mit Obstspalieren bedeckt und ver¬
ziert, doch unbeweglich, undurchsichtig bleibt,
uns die Aussicht versteckt, und uns zu einem

Goethe, wie alle Grenz-Menſchen das
Stadtthor ſeiner Welt, ſie ſchließend, vertheidi¬
gend. Die Gemeinde erweitert ſich, das Thor
wird niedergeriſſen oder uͤberbauet und dient
zum Durchgange wie fruͤher zur Abwehr.

„Reichardt war von der muſikaliſchen Seite
„unſer Freund, von der politiſchen unſer Wider¬
„ſacher, daher ſich im Stillen ein Bruch vor¬
„bereitete, der zuletzt unaufhaltſam an den Tag
„kam.“

Ich kannte Reichardt etwas. Er war ein
Preuße, das heißt ein Windbeutel. Wo er ſich
befand, entſtand gleich ein Luftzug, ſelbſt im
verſchloſſenſten Zimmer. Er hatte bewegliche
Gefuͤhle, doch er fuͤhlte; man konnte ihn her¬
beiziehen und wegſchieben. Er ſtand nicht, gleich
Goethe, wie eine Mauer im Leben da, die,
wenn auch mit Obſtſpalieren bedeckt und ver¬
ziert, doch unbeweglich, undurchſichtig bleibt,
uns die Ausſicht verſteckt, und uns zu einem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0057" n="43"/>
              <p>Goethe, wie alle Grenz-Men&#x017F;chen das<lb/>
Stadtthor &#x017F;einer Welt, &#x017F;ie &#x017F;chließend, vertheidi¬<lb/>
gend. Die Gemeinde erweitert &#x017F;ich, das Thor<lb/>
wird niedergeri&#x017F;&#x017F;en oder u&#x0364;berbauet und dient<lb/>
zum Durchgange wie fru&#x0364;her zur Abwehr.</p><lb/>
              <p>&#x201E;Reichardt war von der mu&#x017F;ikali&#x017F;chen Seite<lb/>
&#x201E;un&#x017F;er Freund, von der politi&#x017F;chen un&#x017F;er Wider¬<lb/>
&#x201E;&#x017F;acher, daher &#x017F;ich im Stillen ein Bruch vor¬<lb/>
&#x201E;bereitete, der zuletzt unaufhalt&#x017F;am an den Tag<lb/>
&#x201E;kam.&#x201C;</p><lb/>
              <p>Ich kannte Reichardt etwas. Er war ein<lb/>
Preuße, das heißt ein Windbeutel. Wo er &#x017F;ich<lb/>
befand, ent&#x017F;tand gleich ein Luftzug, &#x017F;elb&#x017F;t im<lb/>
ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en&#x017F;ten Zimmer. Er hatte bewegliche<lb/>
Gefu&#x0364;hle, doch er fu&#x0364;hlte; man konnte ihn her¬<lb/>
beiziehen und weg&#x017F;chieben. Er &#x017F;tand nicht, gleich<lb/>
Goethe, wie eine Mauer im Leben da, die,<lb/>
wenn auch mit Ob&#x017F;t&#x017F;palieren bedeckt und ver¬<lb/>
ziert, doch unbeweglich, undurch&#x017F;ichtig bleibt,<lb/>
uns die Aus&#x017F;icht ver&#x017F;teckt, und uns zu einem<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[43/0057] Goethe, wie alle Grenz-Menſchen das Stadtthor ſeiner Welt, ſie ſchließend, vertheidi¬ gend. Die Gemeinde erweitert ſich, das Thor wird niedergeriſſen oder uͤberbauet und dient zum Durchgange wie fruͤher zur Abwehr. „Reichardt war von der muſikaliſchen Seite „unſer Freund, von der politiſchen unſer Wider¬ „ſacher, daher ſich im Stillen ein Bruch vor¬ „bereitete, der zuletzt unaufhaltſam an den Tag „kam.“ Ich kannte Reichardt etwas. Er war ein Preuße, das heißt ein Windbeutel. Wo er ſich befand, entſtand gleich ein Luftzug, ſelbſt im verſchloſſenſten Zimmer. Er hatte bewegliche Gefuͤhle, doch er fuͤhlte; man konnte ihn her¬ beiziehen und wegſchieben. Er ſtand nicht, gleich Goethe, wie eine Mauer im Leben da, die, wenn auch mit Obſtſpalieren bedeckt und ver¬ ziert, doch unbeweglich, undurchſichtig bleibt, uns die Ausſicht verſteckt, und uns zu einem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris03_1833
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris03_1833/57
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 3. Paris, 1833, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris03_1833/57>, abgerufen am 21.11.2024.