Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834.Dienstag, den 18. Dezember. Als ich gestern Abend nach Hause kam fand ich Ein sterbendes Volk zu sehen, das ist zu schreck¬ Dienſtag, den 18. Dezember. Als ich geſtern Abend nach Hauſe kam fand ich Ein ſterbendes Volk zu ſehen, das iſt zu ſchreck¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0129" n="117"/> <div> <dateline rendition="#right">Dienſtag, den 18. Dezember.</dateline><lb/> <p>Als ich geſtern Abend nach Hauſe kam fand ich<lb/> eine ſchwarze Viſitenkarte vor, mit dem Namen weiß<lb/> darauf. Es war ein Schauer wie ſie da lag auf<lb/> dem ſchwarzen Marmortiſche im röthlichen Scheine<lb/> der Lampe; es war wie der Beſuch eines Geiſtes.<lb/> Es war der Name eines Polen. Ich habe ſolche<lb/> ſchwarze Karte hier nie geſehen. Sollten ſie viel¬<lb/> leicht die Polen als ein Zeichen der Trauer ange¬<lb/> nommen haben? Ich werde es erfahren. Da haben<lb/> Sie ſie, ich ſchicke ſie Ihnen, bewahren Sie ſie gut.<lb/> Und haben Sie je eine Thräne für einen König ver¬<lb/> goſſen, und ſollte das Glück es wollen, daß Sie noch<lb/> ferner eine weinten; dann ſehen Sie dieſe Karte an,<lb/> daß Ihr Herz zur Wüſte werde und der Sand alle<lb/> Brunnen der Empfindung verſchütte. Denn wahrlich<lb/> es iſt edler die ganze Menſchheit haſſen, als nur eine<lb/> einzige Thräne für einen König weinen.</p><lb/> <p>Ein ſterbendes Volk zu ſehen, das iſt zu ſchreck¬<lb/> lich; Gott hat dem Menſchen keine Nerven gegeben<lb/> ſolches Mitleid zu ertragen. Jahre, ein Jahrhundert<lb/> lang in den Zuckungen des Todes liegen und doch<lb/> nicht ſterben! Glied nach Glied unter dem Beile<lb/> des Henkers verlieren und all das Blut, alle die<lb/> Nerven der verſtorbenen Glieder erben, und dem ar¬<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [117/0129]
Dienſtag, den 18. Dezember.
Als ich geſtern Abend nach Hauſe kam fand ich
eine ſchwarze Viſitenkarte vor, mit dem Namen weiß
darauf. Es war ein Schauer wie ſie da lag auf
dem ſchwarzen Marmortiſche im röthlichen Scheine
der Lampe; es war wie der Beſuch eines Geiſtes.
Es war der Name eines Polen. Ich habe ſolche
ſchwarze Karte hier nie geſehen. Sollten ſie viel¬
leicht die Polen als ein Zeichen der Trauer ange¬
nommen haben? Ich werde es erfahren. Da haben
Sie ſie, ich ſchicke ſie Ihnen, bewahren Sie ſie gut.
Und haben Sie je eine Thräne für einen König ver¬
goſſen, und ſollte das Glück es wollen, daß Sie noch
ferner eine weinten; dann ſehen Sie dieſe Karte an,
daß Ihr Herz zur Wüſte werde und der Sand alle
Brunnen der Empfindung verſchütte. Denn wahrlich
es iſt edler die ganze Menſchheit haſſen, als nur eine
einzige Thräne für einen König weinen.
Ein ſterbendes Volk zu ſehen, das iſt zu ſchreck¬
lich; Gott hat dem Menſchen keine Nerven gegeben
ſolches Mitleid zu ertragen. Jahre, ein Jahrhundert
lang in den Zuckungen des Todes liegen und doch
nicht ſterben! Glied nach Glied unter dem Beile
des Henkers verlieren und all das Blut, alle die
Nerven der verſtorbenen Glieder erben, und dem ar¬
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