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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834.

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"Bildung ihm den Gedanken der Gewaltthätigkeit ge¬
"nommen haben. Keine Parthei, kein Mensch glaubt
"innerlich an den Bestand der gegenwärtigen Ord¬
"nung der Dinge -- für eine Regierung die aller¬
"gefährlichste Stimmung. Die Quasi-Legitimität,
"sich für stark, entschlossen, unerschrocken ausgebend;
"Willkühr für Kraft, den unverschämtesten Gesetzes¬
"bruch für Gesetzlichkeit haltend, gibt über die Prin¬
"zipien nach und verträgt sich mit Allem was ihr
"Furcht macht. Sie erhält sich nur, durch das vor¬
"gehaltene Schreckbild einer noch schlimmern Zukunft
"als sie selbst ist; sie stellt sich als eine traurige
"Nothwendigkeit dar und sagt: (sonderbarer Anspruch
"auf das öffentliche Vertrauen!) ich bin immer
"noch besser
, als das was kommen wird.
"Das ist so ausgemacht nicht."

"Vierzigjährige Stürme haben die stärksten
"Seelen niedergeworfen; die Gefühllosigkeit ist groß,
"der Egoismus fast allgemein; man duckt sich um un¬
"bemerkt zu bleiben und sich in Frieden durchzubrin¬
"gen. Wie nach einer Schlacht die Leichen die Luft
"verderben, so bleiben nach jeder Revolution ange¬
"fressene Menschen übrig, die Alles mit ihrem Eiter
"beschmutzen."

"Die Freiheit ist nirgends mehr als in den
"Herzen einiger Wenigen, die würdig sind ihr eine

„Bildung ihm den Gedanken der Gewaltthätigkeit ge¬
„nommen haben. Keine Parthei, kein Menſch glaubt
„innerlich an den Beſtand der gegenwärtigen Ord¬
„nung der Dinge — für eine Regierung die aller¬
„gefährlichſte Stimmung. Die Quaſi-Legitimität,
„ſich für ſtark, entſchloſſen, unerſchrocken ausgebend;
„Willkühr für Kraft, den unverſchämteſten Geſetzes¬
„bruch für Geſetzlichkeit haltend, gibt über die Prin¬
„zipien nach und verträgt ſich mit Allem was ihr
„Furcht macht. Sie erhält ſich nur, durch das vor¬
„gehaltene Schreckbild einer noch ſchlimmern Zukunft
„als ſie ſelbſt iſt; ſie ſtellt ſich als eine traurige
„Nothwendigkeit dar und ſagt: (ſonderbarer Anſpruch
„auf das öffentliche Vertrauen!) ich bin immer
„noch beſſer
, als das was kommen wird.
„Das iſt ſo ausgemacht nicht.“

„Vierzigjährige Stürme haben die ſtärkſten
„Seelen niedergeworfen; die Gefühlloſigkeit iſt groß,
„der Egoismus faſt allgemein; man duckt ſich um un¬
„bemerkt zu bleiben und ſich in Frieden durchzubrin¬
„gen. Wie nach einer Schlacht die Leichen die Luft
„verderben, ſo bleiben nach jeder Revolution ange¬
„freſſene Menſchen übrig, die Alles mit ihrem Eiter
„beſchmutzen.“

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[206/0218] „Bildung ihm den Gedanken der Gewaltthätigkeit ge¬ „nommen haben. Keine Parthei, kein Menſch glaubt „innerlich an den Beſtand der gegenwärtigen Ord¬ „nung der Dinge — für eine Regierung die aller¬ „gefährlichſte Stimmung. Die Quaſi-Legitimität, „ſich für ſtark, entſchloſſen, unerſchrocken ausgebend; „Willkühr für Kraft, den unverſchämteſten Geſetzes¬ „bruch für Geſetzlichkeit haltend, gibt über die Prin¬ „zipien nach und verträgt ſich mit Allem was ihr „Furcht macht. Sie erhält ſich nur, durch das vor¬ „gehaltene Schreckbild einer noch ſchlimmern Zukunft „als ſie ſelbſt iſt; ſie ſtellt ſich als eine traurige „Nothwendigkeit dar und ſagt: (ſonderbarer Anſpruch „auf das öffentliche Vertrauen!) ich bin immer „noch beſſer, als das was kommen wird. „Das iſt ſo ausgemacht nicht.“ „Vierzigjährige Stürme haben die ſtärkſten „Seelen niedergeworfen; die Gefühlloſigkeit iſt groß, „der Egoismus faſt allgemein; man duckt ſich um un¬ „bemerkt zu bleiben und ſich in Frieden durchzubrin¬ „gen. Wie nach einer Schlacht die Leichen die Luft „verderben, ſo bleiben nach jeder Revolution ange¬ „freſſene Menſchen übrig, die Alles mit ihrem Eiter „beſchmutzen.“ „Die Freiheit iſt nirgends mehr als in den „Herzen einiger Wenigen, die würdig ſind ihr eine

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834/218>, abgerufen am 21.11.2024.