hat, verletzt werde. Sie hat noch mehr gethan. Sie hat, was ihr ein Leichtes gewesen wäre, den Mör¬ der (oder den Elenden, wie die Minister in allen Blättern sagen) nicht den Händen der Gerechtigkeit überliefert, sondern ihn entwischen lassen, damit er ohne Buße sterbe und jenseits in ewiger Verdammniß leide. Der Mörder gab sich alle mögliche Mühe entdeckt zu werden, aber es half ihm nicht. Statt einen andern Tag zu wählen, wo dem Könige, da er weniger be¬ wacht ist, so leicht beizukommen wäre, wählte er ge¬ rade einen Tag, wo viele tausend Soldaten alle Straßen besetzt hielten, wo unzählige Polizei-Agen¬ ten unter dem Volke gemischt waren, und der König selbst von einem dichten undurchdringlichen Gefolge umpanzert war. Statt sich auf die freie Straße hinzustellen, wo nach der That Hoffnung zur Flucht blieb, stellte sich der Mörder auf die Brücke, wo auf zwei Seiten nicht auszuweichen war, und die zwei engen Zugänge augenblicklich gesperrt werden konnten, wie es auch wirklich geschehen. Die Kugel war nir¬ gends zu finden, und der König war naiv genug Abends bei Hofe zu erklären, er habe die Kugel nicht zischen hören. Sehen Sie, das nennt man regie¬ ren, und wenn Sie das jetzt nicht begreifen, bleiben Sie dumm ihr Leben lang. Bei dieser Gelegenheit aber konnte ich mich schämen, daß ich, ein Liberaler, erst mit anderthalb Jahren begreife, was die Abso¬
hat, verletzt werde. Sie hat noch mehr gethan. Sie hat, was ihr ein Leichtes geweſen wäre, den Mör¬ der (oder den Elenden, wie die Miniſter in allen Blättern ſagen) nicht den Händen der Gerechtigkeit überliefert, ſondern ihn entwiſchen laſſen, damit er ohne Buße ſterbe und jenſeits in ewiger Verdammniß leide. Der Mörder gab ſich alle mögliche Mühe entdeckt zu werden, aber es half ihm nicht. Statt einen andern Tag zu wählen, wo dem Könige, da er weniger be¬ wacht iſt, ſo leicht beizukommen wäre, wählte er ge¬ rade einen Tag, wo viele tauſend Soldaten alle Straßen beſetzt hielten, wo unzählige Polizei-Agen¬ ten unter dem Volke gemiſcht waren, und der König ſelbſt von einem dichten undurchdringlichen Gefolge umpanzert war. Statt ſich auf die freie Straße hinzuſtellen, wo nach der That Hoffnung zur Flucht blieb, ſtellte ſich der Mörder auf die Brücke, wo auf zwei Seiten nicht auszuweichen war, und die zwei engen Zugänge augenblicklich geſperrt werden konnten, wie es auch wirklich geſchehen. Die Kugel war nir¬ gends zu finden, und der König war naiv genug Abends bei Hofe zu erklären, er habe die Kugel nicht ziſchen hören. Sehen Sie, das nennt man regie¬ ren, und wenn Sie das jetzt nicht begreifen, bleiben Sie dumm ihr Leben lang. Bei dieſer Gelegenheit aber konnte ich mich ſchämen, daß ich, ein Liberaler, erſt mit anderthalb Jahren begreife, was die Abſo¬
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hat, verletzt werde. Sie hat noch mehr gethan. Sie
hat, was ihr ein Leichtes geweſen wäre, den Mör¬
der (oder den Elenden, wie die Miniſter in allen
Blättern ſagen) nicht den Händen der Gerechtigkeit
überliefert, ſondern ihn entwiſchen laſſen, damit er ohne
Buße ſterbe und jenſeits in ewiger Verdammniß leide.
Der Mörder gab ſich alle mögliche Mühe entdeckt zu
werden, aber es half ihm nicht. Statt einen andern
Tag zu wählen, wo dem Könige, da er weniger be¬
wacht iſt, ſo leicht beizukommen wäre, wählte er ge¬
rade einen Tag, wo viele tauſend Soldaten alle
Straßen beſetzt hielten, wo unzählige Polizei-Agen¬
ten unter dem Volke gemiſcht waren, und der König
ſelbſt von einem dichten undurchdringlichen Gefolge
umpanzert war. Statt ſich auf die freie Straße
hinzuſtellen, wo nach der That Hoffnung zur Flucht
blieb, ſtellte ſich der Mörder auf die Brücke, wo auf
zwei Seiten nicht auszuweichen war, und die zwei
engen Zugänge augenblicklich geſperrt werden konnten,
wie es auch wirklich geſchehen. Die Kugel war nir¬
gends zu finden, und der König war naiv genug
Abends bei Hofe zu erklären, er habe die Kugel nicht
ziſchen hören. Sehen Sie, das nennt man regie¬
ren, und wenn Sie das jetzt nicht begreifen, bleiben
Sie dumm ihr Leben lang. Bei dieſer Gelegenheit
aber konnte ich mich ſchämen, daß ich, ein Liberaler,
erſt mit anderthalb Jahren begreife, was die Abſo¬
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834/33>, abgerufen am 16.07.2024.
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