Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Meiner Wohnung gegenüber ist eine gute und
große Leihbibliothek, und weil ich es so bequem habe,
lese ich viel und verschlinge alles durcheinander wie
ein heißhungriger Gymnasiast. Zu zwei Tassen Thee
verzehrte ich gestern den ersten Band eines neuen
Romans: Indiana, par G. Sand. Er ist aber
nicht von dem dummen Sand der nur den Kotzebue
umgebracht; der Verfasser ist weder ein Deutscher
noch ein Franzose, sondern eine Französin, die die¬
sen Namen angenommen. Ich habe mich nach der
Verfasserin erkundigt und erfuhr, sie sei eine junge
schöne, geistreiche und liebenswürdige verheirathete
Dame, die aber von ihrem Manne sich getrennt habe,
um ungestört mit ihrem Liebhaber Apollo zu leben.
Nun äußerte ich irgendwo, ich möchte die Verfasserin
des Romans kennen lernen. Darauf bemerkte mir
eine Dame: das würde für mich schwer zu erreichen
sein. Denn um von jenem Frauenzimmer empfan¬
gen zu werden, müsse man jung, schön und liebens¬
würdig sein. "Mais comme vous n'etes qu'aima¬


Meiner Wohnung gegenüber iſt eine gute und
große Leihbibliothek, und weil ich es ſo bequem habe,
leſe ich viel und verſchlinge alles durcheinander wie
ein heißhungriger Gymnaſiaſt. Zu zwei Taſſen Thee
verzehrte ich geſtern den erſten Band eines neuen
Romans: Indiana, par G. Sand. Er iſt aber
nicht von dem dummen Sand der nur den Kotzebue
umgebracht; der Verfaſſer iſt weder ein Deutſcher
noch ein Franzoſe, ſondern eine Franzöſin, die die¬
ſen Namen angenommen. Ich habe mich nach der
Verfaſſerin erkundigt und erfuhr, ſie ſei eine junge
ſchöne, geiſtreiche und liebenswürdige verheirathete
Dame, die aber von ihrem Manne ſich getrennt habe,
um ungeſtört mit ihrem Liebhaber Apollo zu leben.
Nun äußerte ich irgendwo, ich möchte die Verfaſſerin
des Romans kennen lernen. Darauf bemerkte mir
eine Dame: das würde für mich ſchwer zu erreichen
ſein. Denn um von jenem Frauenzimmer empfan¬
gen zu werden, müſſe man jung, ſchön und liebens¬
würdig ſein. „Mais comme vous n'êtes qu'aima¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0064" n="52"/>
        <div>
          <dateline rendition="#right">Dien&#x017F;tag, den 27. November.</dateline><lb/>
          <p>Meiner Wohnung gegenüber i&#x017F;t eine gute und<lb/>
große Leihbibliothek, und weil ich es &#x017F;o bequem habe,<lb/>
le&#x017F;e ich viel und ver&#x017F;chlinge alles durcheinander wie<lb/>
ein heißhungriger Gymna&#x017F;ia&#x017F;t. Zu zwei Ta&#x017F;&#x017F;en Thee<lb/>
verzehrte ich ge&#x017F;tern den er&#x017F;ten Band eines neuen<lb/>
Romans: <hi rendition="#aq #g">Indiana</hi>, <hi rendition="#aq #g">par G. Sand</hi>. Er i&#x017F;t aber<lb/>
nicht von dem dummen Sand der nur den Kotzebue<lb/>
umgebracht; der Verfa&#x017F;&#x017F;er i&#x017F;t weder ein Deut&#x017F;cher<lb/>
noch ein Franzo&#x017F;e, &#x017F;ondern eine Franzö&#x017F;in, die die¬<lb/>
&#x017F;en Namen angenommen. Ich habe mich nach der<lb/>
Verfa&#x017F;&#x017F;erin erkundigt und erfuhr, &#x017F;ie &#x017F;ei eine junge<lb/>
&#x017F;chöne, gei&#x017F;treiche und liebenswürdige verheirathete<lb/>
Dame, die aber von ihrem Manne &#x017F;ich getrennt habe,<lb/>
um unge&#x017F;tört mit ihrem Liebhaber Apollo zu leben.<lb/>
Nun äußerte ich irgendwo, ich möchte die Verfa&#x017F;&#x017F;erin<lb/>
des Romans kennen lernen. Darauf bemerkte mir<lb/>
eine Dame: das würde für mich &#x017F;chwer zu erreichen<lb/>
&#x017F;ein. Denn um von jenem Frauenzimmer empfan¬<lb/>
gen zu werden, mü&#x017F;&#x017F;e man jung, &#x017F;chön und liebens¬<lb/>
würdig &#x017F;ein. &#x201E;<hi rendition="#aq">Mais comme vous n'êtes qu'aima¬<lb/></hi></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[52/0064] Dienſtag, den 27. November. Meiner Wohnung gegenüber iſt eine gute und große Leihbibliothek, und weil ich es ſo bequem habe, leſe ich viel und verſchlinge alles durcheinander wie ein heißhungriger Gymnaſiaſt. Zu zwei Taſſen Thee verzehrte ich geſtern den erſten Band eines neuen Romans: Indiana, par G. Sand. Er iſt aber nicht von dem dummen Sand der nur den Kotzebue umgebracht; der Verfaſſer iſt weder ein Deutſcher noch ein Franzoſe, ſondern eine Franzöſin, die die¬ ſen Namen angenommen. Ich habe mich nach der Verfaſſerin erkundigt und erfuhr, ſie ſei eine junge ſchöne, geiſtreiche und liebenswürdige verheirathete Dame, die aber von ihrem Manne ſich getrennt habe, um ungeſtört mit ihrem Liebhaber Apollo zu leben. Nun äußerte ich irgendwo, ich möchte die Verfaſſerin des Romans kennen lernen. Darauf bemerkte mir eine Dame: das würde für mich ſchwer zu erreichen ſein. Denn um von jenem Frauenzimmer empfan¬ gen zu werden, müſſe man jung, ſchön und liebens¬ würdig ſein. „Mais comme vous n'êtes qu'aima¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834/64
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834/64>, abgerufen am 28.11.2024.