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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834.

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daß einst Nürnberg für die deutschen Gauen war,
was Hellas für die Welt gewesen, und weil einst
Hellas die Welt mit Künsten und Wissenschaften ver¬
sorgt, müsse auch Nürnberg die deutschen Gauen mit
Künsten und Wissenschaften versorgen und Hellas und
Nürnberg die wären wie zwei Brüder!

-- Mit den Briefen eines Narren haben Sie
Recht was die Form betrifft. Sie ist affectirt und
man merkt gleich, daß die Briefe nicht wirklich ge¬
schrieben. Uebrigens sind sie gut und schön und
man muß solche Gesinnungen aufmuntern. Die Xe¬
nien und das Göthe-Büchlein und die Didaskalia
schicken Sie mir doch, wenn sich eine Gelegenheit
findet.

-- Das neue Drama von Viktor Hugo, dessen
fernere Aufführung untersagt worden ist, wurde aus
keinem politischen Grunde verboten, sondern wegen
seiner Unmoralität. Alle Minister, welche die Cho¬
lera nicht gehabt haben, werden jetzt moralisch. Das
ist eine merkwürdige Influenz! In einem der Zei¬
tungsartikel, die aus dem berliner Kabinette einge¬
schickt worden, beklagte man sich neulich über Talley¬
rand, daß er die Preußen bei der londoner Conferenz
betrogen habe und er wäre so zu sagen, ein Spitz¬
bube. Talleyrand ein Spitzbube! Was die Un¬
schuld leiden muß! Und die ehrlichen Preußen jam¬
mern, daß sie der Spitzbube überlistet habe. Die

daß einſt Nürnberg für die deutſchen Gauen war,
was Hellas für die Welt geweſen, und weil einſt
Hellas die Welt mit Künſten und Wiſſenſchaften ver¬
ſorgt, müſſe auch Nürnberg die deutſchen Gauen mit
Künſten und Wiſſenſchaften verſorgen und Hellas und
Nürnberg die wären wie zwei Brüder!

— Mit den Briefen eines Narren haben Sie
Recht was die Form betrifft. Sie iſt affectirt und
man merkt gleich, daß die Briefe nicht wirklich ge¬
ſchrieben. Uebrigens ſind ſie gut und ſchön und
man muß ſolche Geſinnungen aufmuntern. Die Xe¬
nien und das Göthe-Büchlein und die Didaskalia
ſchicken Sie mir doch, wenn ſich eine Gelegenheit
findet.

— Das neue Drama von Viktor Hugo, deſſen
fernere Aufführung unterſagt worden iſt, wurde aus
keinem politiſchen Grunde verboten, ſondern wegen
ſeiner Unmoralität. Alle Miniſter, welche die Cho¬
lera nicht gehabt haben, werden jetzt moraliſch. Das
iſt eine merkwürdige Influenz! In einem der Zei¬
tungsartikel, die aus dem berliner Kabinette einge¬
ſchickt worden, beklagte man ſich neulich über Talley¬
rand, daß er die Preußen bei der londoner Conferenz
betrogen habe und er wäre ſo zu ſagen, ein Spitz¬
bube. Talleyrand ein Spitzbube! Was die Un¬
ſchuld leiden muß! Und die ehrlichen Preußen jam¬
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[55/0067] daß einſt Nürnberg für die deutſchen Gauen war, was Hellas für die Welt geweſen, und weil einſt Hellas die Welt mit Künſten und Wiſſenſchaften ver¬ ſorgt, müſſe auch Nürnberg die deutſchen Gauen mit Künſten und Wiſſenſchaften verſorgen und Hellas und Nürnberg die wären wie zwei Brüder! — Mit den Briefen eines Narren haben Sie Recht was die Form betrifft. Sie iſt affectirt und man merkt gleich, daß die Briefe nicht wirklich ge¬ ſchrieben. Uebrigens ſind ſie gut und ſchön und man muß ſolche Geſinnungen aufmuntern. Die Xe¬ nien und das Göthe-Büchlein und die Didaskalia ſchicken Sie mir doch, wenn ſich eine Gelegenheit findet. — Das neue Drama von Viktor Hugo, deſſen fernere Aufführung unterſagt worden iſt, wurde aus keinem politiſchen Grunde verboten, ſondern wegen ſeiner Unmoralität. Alle Miniſter, welche die Cho¬ lera nicht gehabt haben, werden jetzt moraliſch. Das iſt eine merkwürdige Influenz! In einem der Zei¬ tungsartikel, die aus dem berliner Kabinette einge¬ ſchickt worden, beklagte man ſich neulich über Talley¬ rand, daß er die Preußen bei der londoner Conferenz betrogen habe und er wäre ſo zu ſagen, ein Spitz¬ bube. Talleyrand ein Spitzbube! Was die Un¬ ſchuld leiden muß! Und die ehrlichen Preußen jam¬ mern, daß ſie der Spitzbube überliſtet habe. Die

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834/67>, abgerufen am 28.11.2024.