man über den Spaß den Ernst vergessen wird. Ich habe es immer gesagt: wenn zweihundert Bürger zusammenhalten in gerechten Dingen, sind sie unbe¬ siegbar. Aber zusammenhalten auf die rechte Art. Nicht wie ein langer Faden -- er sey noch so lang, das macht ihn nicht stärker, ein Kind zerreißt ihn -- sondern wie ein Knäul. Und nicht zusammenge¬ halten in seltenen und großen Dingen -- zu seltenen und großen Dingen finden sich seltene und große Menschen, die das allein vollbringen -- sondern in kleinen Dingen, die alltäglich wiederkehren. Um zu lernen wie man die Freiheit erwerbe und behaupte, beobachte man, wie die Tyrannei ihre Macht erlangt und erhält. Wodurch? Man glaubt gewöhnlich durch die bewaffnete Macht, durch physische Gewalt; es ist aber Täuschung. Wo noch so despotisch, wird durch eine sittliche Gewalt regiert. Wodurch wird eine bewaffnete Macht zusammengebracht, zusammen¬ gehalten? Durch moralische Einflüsse, Furcht, Eigen¬ nutz, Ehre, Gemeingeist. Alle diese Hülfsmittel der Tyrannei stehen der Freiheit auch zu Gebote. Und wie selten wird die bewaffnete Macht gebraucht, und wo es geschieht, da ist es schon ein Kampf auf Le¬ ben und Tod zwischen der Tyrannei und der Freiheit. Eine Patrouille, womit man eine große Versammlung Bürger aus einander treibt, ist keine physische, son¬ dern eine moralische Gewalt, denn sie ist nur ein
man über den Spaß den Ernſt vergeſſen wird. Ich habe es immer geſagt: wenn zweihundert Bürger zuſammenhalten in gerechten Dingen, ſind ſie unbe¬ ſiegbar. Aber zuſammenhalten auf die rechte Art. Nicht wie ein langer Faden — er ſey noch ſo lang, das macht ihn nicht ſtärker, ein Kind zerreißt ihn — ſondern wie ein Knäul. Und nicht zuſammenge¬ halten in ſeltenen und großen Dingen — zu ſeltenen und großen Dingen finden ſich ſeltene und große Menſchen, die das allein vollbringen — ſondern in kleinen Dingen, die alltäglich wiederkehren. Um zu lernen wie man die Freiheit erwerbe und behaupte, beobachte man, wie die Tyrannei ihre Macht erlangt und erhält. Wodurch? Man glaubt gewöhnlich durch die bewaffnete Macht, durch phyſiſche Gewalt; es iſt aber Täuſchung. Wo noch ſo despotiſch, wird durch eine ſittliche Gewalt regiert. Wodurch wird eine bewaffnete Macht zuſammengebracht, zuſammen¬ gehalten? Durch moraliſche Einflüſſe, Furcht, Eigen¬ nutz, Ehre, Gemeingeiſt. Alle dieſe Hülfsmittel der Tyrannei ſtehen der Freiheit auch zu Gebote. Und wie ſelten wird die bewaffnete Macht gebraucht, und wo es geſchieht, da iſt es ſchon ein Kampf auf Le¬ ben und Tod zwiſchen der Tyrannei und der Freiheit. Eine Patrouille, womit man eine große Verſammlung Bürger aus einander treibt, iſt keine phyſiſche, ſon¬ dern eine moraliſche Gewalt, denn ſie iſt nur ein
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man über den Spaß den Ernſt vergeſſen wird. Ich
habe es immer geſagt: wenn zweihundert Bürger
zuſammenhalten in gerechten Dingen, ſind ſie unbe¬
ſiegbar. Aber zuſammenhalten auf die rechte Art.
Nicht wie ein langer Faden — er ſey noch ſo lang,
das macht ihn nicht ſtärker, ein Kind zerreißt ihn
— ſondern wie ein Knäul. Und nicht zuſammenge¬
halten in ſeltenen und großen Dingen — zu ſeltenen
und großen Dingen finden ſich ſeltene und große
Menſchen, die das allein vollbringen — ſondern in
kleinen Dingen, die alltäglich wiederkehren. Um zu
lernen wie man die Freiheit erwerbe und behaupte,
beobachte man, wie die Tyrannei ihre Macht erlangt
und erhält. Wodurch? Man glaubt gewöhnlich
durch die bewaffnete Macht, durch phyſiſche Gewalt;
es iſt aber Täuſchung. Wo noch ſo despotiſch, wird
durch eine ſittliche Gewalt regiert. Wodurch wird
eine bewaffnete Macht zuſammengebracht, zuſammen¬
gehalten? Durch moraliſche Einflüſſe, Furcht, Eigen¬
nutz, Ehre, Gemeingeiſt. Alle dieſe Hülfsmittel der
Tyrannei ſtehen der Freiheit auch zu Gebote. Und
wie ſelten wird die bewaffnete Macht gebraucht, und
wo es geſchieht, da iſt es ſchon ein Kampf auf Le¬
ben und Tod zwiſchen der Tyrannei und der Freiheit.
Eine Patrouille, womit man eine große Verſammlung
Bürger aus einander treibt, iſt keine phyſiſche, ſon¬
dern eine moraliſche Gewalt, denn ſie iſt nur ein
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834/78>, abgerufen am 16.07.2024.
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