Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

setze Heine in das Ballhaus, zu jener denkwürdigen
Stunde, wo Frankreich aus seinem tausendjährigen
Schlafe erwachte und schwur, es wolle nicht mehr
träumen -- es wäre der tollheißeste Jakobiner, der
wüthendste Feind der Aristokraten und ließe alle
Edelleute und Fürsten mit Wonne an einem Tage
niedermetzeln. Aber sähe er aus der Rocktasche der
feuerspeienden Mirabeau, auf deutsche Studenten-
Art eine Tabackspfeife mit roth-schwarz-goldener
Quaste hervorragen -- dann Pfui Freiheit! und er
ginge hin und machte schöne Verse auf Marie-An¬
toinettens schöne Augen. Wenn er in seinem Buche
die heilige Würde des Absolutismus preißt, so ge¬
schah es, außer daß es eine Rede-Uebung war, die
sich an dem Tollsten versuchte, nicht darum, weil er
politisch reinen Herzens ist, wie er sagt; sondern
er that es, weil er Athemreines Mundes bleiben
möchte, und er wohl an jenem Tage als er das
schrieb einem deutschen Liberalen Sauerkraut mit
Bratwurst essen gesehen.

Wie kann man je dem glauben, der selbst
nichts glaubt? Heine schämt sich so sehr etwas zu
glauben, daß er Gott den "Herrn," mit lauter
Initialbuchstaben drucken läßt, um anzuzeigen, daß
es ein Kunstausdruck sei, den er nicht zu verantworten

ſetze Heine in das Ballhaus, zu jener denkwürdigen
Stunde, wo Frankreich aus ſeinem tauſendjährigen
Schlafe erwachte und ſchwur, es wolle nicht mehr
träumen — es wäre der tollheißeſte Jakobiner, der
wüthendſte Feind der Ariſtokraten und ließe alle
Edelleute und Fürſten mit Wonne an einem Tage
niedermetzeln. Aber ſähe er aus der Rocktaſche der
feuerſpeienden Mirabeau, auf deutſche Studenten-
Art eine Tabackspfeife mit roth-ſchwarz-goldener
Quaſte hervorragen — dann Pfui Freiheit! und er
ginge hin und machte ſchöne Verſe auf Marie-An¬
toinettens ſchöne Augen. Wenn er in ſeinem Buche
die heilige Würde des Abſolutismus preißt, ſo ge¬
ſchah es, außer daß es eine Rede-Uebung war, die
ſich an dem Tollſten verſuchte, nicht darum, weil er
politiſch reinen Herzens iſt, wie er ſagt; ſondern
er that es, weil er Athemreines Mundes bleiben
möchte, und er wohl an jenem Tage als er das
ſchrieb einem deutſchen Liberalen Sauerkraut mit
Bratwurſt eſſen geſehen.

Wie kann man je dem glauben, der ſelbſt
nichts glaubt? Heine ſchämt ſich ſo ſehr etwas zu
glauben, daß er Gott den „Herrn,“ mit lauter
Initialbuchſtaben drucken läßt, um anzuzeigen, daß
es ein Kunſtausdruck ſei, den er nicht zu verantworten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0151" n="139"/>
&#x017F;etze Heine in das <hi rendition="#g">Ballhaus</hi>, zu jener denkwürdigen<lb/>
Stunde, wo Frankreich aus &#x017F;einem tau&#x017F;endjährigen<lb/>
Schlafe erwachte und &#x017F;chwur, es wolle nicht mehr<lb/>
träumen &#x2014; es wäre der tollheiße&#x017F;te Jakobiner, der<lb/>
wüthend&#x017F;te Feind der Ari&#x017F;tokraten und ließe alle<lb/>
Edelleute und Für&#x017F;ten mit Wonne an einem Tage<lb/>
niedermetzeln. Aber &#x017F;ähe er aus der Rockta&#x017F;che der<lb/>
feuer&#x017F;peienden Mirabeau, auf deut&#x017F;che Studenten-<lb/>
Art eine Tabackspfeife mit roth-&#x017F;chwarz-goldener<lb/>
Qua&#x017F;te hervorragen &#x2014; dann Pfui Freiheit! und er<lb/>
ginge hin und machte &#x017F;chöne Ver&#x017F;e auf Marie-An¬<lb/>
toinettens &#x017F;chöne Augen. Wenn er in &#x017F;einem Buche<lb/>
die heilige Würde des Ab&#x017F;olutismus preißt, &#x017F;o ge¬<lb/>
&#x017F;chah es, außer daß es eine Rede-Uebung war, die<lb/>
&#x017F;ich an dem Toll&#x017F;ten ver&#x017F;uchte, nicht darum, weil er<lb/><hi rendition="#g">politi&#x017F;ch reinen Herzens</hi> i&#x017F;t, wie er &#x017F;agt; &#x017F;ondern<lb/>
er that es, weil er <hi rendition="#g">Athemreines Mundes</hi> bleiben<lb/>
möchte, und er wohl an jenem Tage als er das<lb/>
&#x017F;chrieb einem deut&#x017F;chen Liberalen Sauerkraut mit<lb/>
Bratwur&#x017F;t e&#x017F;&#x017F;en ge&#x017F;ehen.</p><lb/>
          <p>Wie kann man je dem glauben, der &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
nichts glaubt? Heine &#x017F;chämt &#x017F;ich &#x017F;o &#x017F;ehr etwas zu<lb/>
glauben, daß er Gott den <hi rendition="#g">&#x201E;Herrn</hi>,&#x201C; mit lauter<lb/>
Initialbuch&#x017F;taben drucken läßt, um anzuzeigen, daß<lb/>
es ein Kun&#x017F;tausdruck &#x017F;ei, den er nicht zu verantworten<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[139/0151] ſetze Heine in das Ballhaus, zu jener denkwürdigen Stunde, wo Frankreich aus ſeinem tauſendjährigen Schlafe erwachte und ſchwur, es wolle nicht mehr träumen — es wäre der tollheißeſte Jakobiner, der wüthendſte Feind der Ariſtokraten und ließe alle Edelleute und Fürſten mit Wonne an einem Tage niedermetzeln. Aber ſähe er aus der Rocktaſche der feuerſpeienden Mirabeau, auf deutſche Studenten- Art eine Tabackspfeife mit roth-ſchwarz-goldener Quaſte hervorragen — dann Pfui Freiheit! und er ginge hin und machte ſchöne Verſe auf Marie-An¬ toinettens ſchöne Augen. Wenn er in ſeinem Buche die heilige Würde des Abſolutismus preißt, ſo ge¬ ſchah es, außer daß es eine Rede-Uebung war, die ſich an dem Tollſten verſuchte, nicht darum, weil er politiſch reinen Herzens iſt, wie er ſagt; ſondern er that es, weil er Athemreines Mundes bleiben möchte, und er wohl an jenem Tage als er das ſchrieb einem deutſchen Liberalen Sauerkraut mit Bratwurſt eſſen geſehen. Wie kann man je dem glauben, der ſelbſt nichts glaubt? Heine ſchämt ſich ſo ſehr etwas zu glauben, daß er Gott den „Herrn,“ mit lauter Initialbuchſtaben drucken läßt, um anzuzeigen, daß es ein Kunſtausdruck ſei, den er nicht zu verantworten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834/151
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834/151>, abgerufen am 23.11.2024.