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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834.

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zufrieden und froh, daß sie so wohlfeil wegkam. Sie
dachte, wie jede Regierung: das Volk ist ein Kind.
Das eigensinnige Kind will Wein haben; Mama
gießt zwei Tropfen Wein in's Wasserglas, es sieht
gelb aus -- da hast du Wein, jetzt sei ruhig. Das
Volk will Michel haben; die Regierung giebt ihm et¬
was, das eine Farbe wie Michel hat, und sagt: da
hast du Michel, jetzt weine nicht mehr. Das alles
versteht sich von selbst.

Nun hören Sie aber was mein Michel weiter
that. Nach geschehener Bürgermeisterwahl zogen die
Freiburger Bürger mit Fackeln und Freudengeschrei
vor das Michelsche Haus und riefen: es leben beide
Michels hoch! Der junge Michel konnte vor Rüh¬
rung nicht sprechen, aber der alte Michel war
leider nicht in solchem Grade gerührt; sondern
er schrie zum Fenster hinaus: "Hoch lebe unser
"vielgeliebter Großherzog Leopold, der Wiederher¬
"steller der Verfassung und des freien
"Wahlrechts!" Und die Bürger auf der Gasse
schrien: "Hoch lebe unser vielgeliebter Großherzog
"Leopold, der Wiederhersteller der Verfas¬
"sung und des freien Wahlrechts!" Und hoch
und abermals hoch! Und der alte ernste Münster,
den man noch niemals lächeln gesehen, lachte daß er
wackelte, so daß ihm eine steinerne Trottel von sei¬
ner Mütze herabfiel.

zufrieden und froh, daß ſie ſo wohlfeil wegkam. Sie
dachte, wie jede Regierung: das Volk iſt ein Kind.
Das eigenſinnige Kind will Wein haben; Mama
gießt zwei Tropfen Wein in's Waſſerglas, es ſieht
gelb aus — da haſt du Wein, jetzt ſei ruhig. Das
Volk will Michel haben; die Regierung giebt ihm et¬
was, das eine Farbe wie Michel hat, und ſagt: da
haſt du Michel, jetzt weine nicht mehr. Das alles
verſteht ſich von ſelbſt.

Nun hören Sie aber was mein Michel weiter
that. Nach geſchehener Bürgermeiſterwahl zogen die
Freiburger Bürger mit Fackeln und Freudengeſchrei
vor das Michelſche Haus und riefen: es leben beide
Michels hoch! Der junge Michel konnte vor Rüh¬
rung nicht ſprechen, aber der alte Michel war
leider nicht in ſolchem Grade gerührt; ſondern
er ſchrie zum Fenſter hinaus: „Hoch lebe unſer
„vielgeliebter Großherzog Leopold, der Wiederher¬
ſteller der Verfaſſung und des freien
Wahlrechts!“ Und die Bürger auf der Gaſſe
ſchrien: „Hoch lebe unſer vielgeliebter Großherzog
„Leopold, der Wiederherſteller der Verfaſ¬
ſung und des freien Wahlrechts!” Und hoch
und abermals hoch! Und der alte ernſte Münſter,
den man noch niemals lächeln geſehen, lachte daß er
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[162/0174] zufrieden und froh, daß ſie ſo wohlfeil wegkam. Sie dachte, wie jede Regierung: das Volk iſt ein Kind. Das eigenſinnige Kind will Wein haben; Mama gießt zwei Tropfen Wein in's Waſſerglas, es ſieht gelb aus — da haſt du Wein, jetzt ſei ruhig. Das Volk will Michel haben; die Regierung giebt ihm et¬ was, das eine Farbe wie Michel hat, und ſagt: da haſt du Michel, jetzt weine nicht mehr. Das alles verſteht ſich von ſelbſt. Nun hören Sie aber was mein Michel weiter that. Nach geſchehener Bürgermeiſterwahl zogen die Freiburger Bürger mit Fackeln und Freudengeſchrei vor das Michelſche Haus und riefen: es leben beide Michels hoch! Der junge Michel konnte vor Rüh¬ rung nicht ſprechen, aber der alte Michel war leider nicht in ſolchem Grade gerührt; ſondern er ſchrie zum Fenſter hinaus: „Hoch lebe unſer „vielgeliebter Großherzog Leopold, der Wiederher¬ „ſteller der Verfaſſung und des freien „Wahlrechts!“ Und die Bürger auf der Gaſſe ſchrien: „Hoch lebe unſer vielgeliebter Großherzog „Leopold, der Wiederherſteller der Verfaſ¬ „ſung und des freien Wahlrechts!” Und hoch und abermals hoch! Und der alte ernſte Münſter, den man noch niemals lächeln geſehen, lachte daß er wackelte, ſo daß ihm eine ſteinerne Trottel von ſei¬ ner Mütze herabfiel.

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834/174>, abgerufen am 23.11.2024.