Der Inbegriff aller die Differentialquotienten von u, v, w nach x, y, z enthaltenden Glieder ist das, was Lord Rayleigh die Dissipationsfunction der inneren Reibung nannte. Der In- begriff der letzteren drei Glieder wurde von Herrn Ladis- laus Natanson die Dissipationsfunction der Wärmeleitung genannt.
Die Energetik hält die verschiedenen Energieformen für qualitativ verschieden, eine Energie, die zwischen lebendiger Kraft und Wärme die Mitte hält, ist ihr fremd. Daher das oft betonte Princip der Superposition der Eigenschaften der ver- schiedenen, in einem Körper enthaltenen Energien. Dies Princip gilt für den statischen Zustand und für vollkommen stationäre sichtbare Bewegung, wo sich die Energieformen gewissermaassen streng gesondert haben. Ist dagegen die obige Gleichung richtig, so wäre für den Fall der inneren Reibung und Wärmeleitung die Entropie des in einem Volumenelemente enthaltenen Gases nicht dieselbe, als ob sich dieses bei gleicher Temperatur mit gleicher Geschwindigkeit constant fortbewegte. Wir hätten da gewissermaassen eine lebendige Kraft, welche halb noch als sichtbare lebendige Kraft zu be- trachten, halb schon in Wärmebewegung übergegangen ist und daher in den Ausdruck für die Entropie in einer Weise ein- geht, die aus den Gesetzen der statischen Erscheinungen nicht vorherzusehen ist. Deformiren wir durch äussere Kräfte einen vollkommen elastischen Körper, so erhalten wir bei dessen Rückkehr in die alte Form die ganze hineingesteckte Energie wieder in Form von Arbeit. Erzeugen wir durch äussere Kräfte innere Reibung in einem Gase, so verwandelt sich die aufgewandte Arbeit in Wärmeenergie. Dies geschieht voll- ständig, wenn nach Aufhören der äusseren Kräfte noch eine erheblich grössere Zeit als die Relaxationszeit verstrichen ist. Während der Wirkung der äusseren Kräfte ist jedoch, wenn unsere Gleichungen richtig sind, die Entropie in jedem Augen- blicke etwas kleiner, als sie wäre, wenn die für die sichtbare Bewegung verloren gegangene Energie gewöhnliche Wärme wäre. Dieselbe steht in der Mitte zwischen gewöhnlicher Wärme und sichtbarer Energie, und ein Theil davon ist noch in Arbeit verwandelbar, da das Maxwell'sche Geschwindigkeitsverthei- lungsgesetz noch nicht genau gilt. Dieses strenge Analogon
Boltzmann, Gastheorie. 13
[Gleich. 250] § 24. Verallgemeinerte Entropie.
Der Inbegriff aller die Differentialquotienten von u, v, w nach x, y, z enthaltenden Glieder ist das, was Lord Rayleigh die Dissipationsfunction der inneren Reibung nannte. Der In- begriff der letzteren drei Glieder wurde von Herrn Ladis- laus Natanson die Dissipationsfunction der Wärmeleitung genannt.
Die Energetik hält die verschiedenen Energieformen für qualitativ verschieden, eine Energie, die zwischen lebendiger Kraft und Wärme die Mitte hält, ist ihr fremd. Daher das oft betonte Princip der Superposition der Eigenschaften der ver- schiedenen, in einem Körper enthaltenen Energien. Dies Princip gilt für den statischen Zustand und für vollkommen stationäre sichtbare Bewegung, wo sich die Energieformen gewissermaassen streng gesondert haben. Ist dagegen die obige Gleichung richtig, so wäre für den Fall der inneren Reibung und Wärmeleitung die Entropie des in einem Volumenelemente enthaltenen Gases nicht dieselbe, als ob sich dieses bei gleicher Temperatur mit gleicher Geschwindigkeit constant fortbewegte. Wir hätten da gewissermaassen eine lebendige Kraft, welche halb noch als sichtbare lebendige Kraft zu be- trachten, halb schon in Wärmebewegung übergegangen ist und daher in den Ausdruck für die Entropie in einer Weise ein- geht, die aus den Gesetzen der statischen Erscheinungen nicht vorherzusehen ist. Deformiren wir durch äussere Kräfte einen vollkommen elastischen Körper, so erhalten wir bei dessen Rückkehr in die alte Form die ganze hineingesteckte Energie wieder in Form von Arbeit. Erzeugen wir durch äussere Kräfte innere Reibung in einem Gase, so verwandelt sich die aufgewandte Arbeit in Wärmeenergie. Dies geschieht voll- ständig, wenn nach Aufhören der äusseren Kräfte noch eine erheblich grössere Zeit als die Relaxationszeit verstrichen ist. Während der Wirkung der äusseren Kräfte ist jedoch, wenn unsere Gleichungen richtig sind, die Entropie in jedem Augen- blicke etwas kleiner, als sie wäre, wenn die für die sichtbare Bewegung verloren gegangene Energie gewöhnliche Wärme wäre. Dieselbe steht in der Mitte zwischen gewöhnlicher Wärme und sichtbarer Energie, und ein Theil davon ist noch in Arbeit verwandelbar, da das Maxwell’sche Geschwindigkeitsverthei- lungsgesetz noch nicht genau gilt. Dieses strenge Analogon
Boltzmann, Gastheorie. 13
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[193/0207]
[Gleich. 250] § 24. Verallgemeinerte Entropie.
Der Inbegriff aller die Differentialquotienten von u, v, w
nach x, y, z enthaltenden Glieder ist das, was Lord Rayleigh
die Dissipationsfunction der inneren Reibung nannte. Der In-
begriff der letzteren drei Glieder wurde von Herrn Ladis-
laus Natanson die Dissipationsfunction der Wärmeleitung
genannt.
Die Energetik hält die verschiedenen Energieformen für
qualitativ verschieden, eine Energie, die zwischen lebendiger
Kraft und Wärme die Mitte hält, ist ihr fremd. Daher das oft
betonte Princip der Superposition der Eigenschaften der ver-
schiedenen, in einem Körper enthaltenen Energien. Dies
Princip gilt für den statischen Zustand und für vollkommen
stationäre sichtbare Bewegung, wo sich die Energieformen
gewissermaassen streng gesondert haben. Ist dagegen die obige
Gleichung richtig, so wäre für den Fall der inneren Reibung
und Wärmeleitung die Entropie des in einem Volumenelemente
enthaltenen Gases nicht dieselbe, als ob sich dieses bei
gleicher Temperatur mit gleicher Geschwindigkeit constant
fortbewegte. Wir hätten da gewissermaassen eine lebendige
Kraft, welche halb noch als sichtbare lebendige Kraft zu be-
trachten, halb schon in Wärmebewegung übergegangen ist und
daher in den Ausdruck für die Entropie in einer Weise ein-
geht, die aus den Gesetzen der statischen Erscheinungen nicht
vorherzusehen ist. Deformiren wir durch äussere Kräfte einen
vollkommen elastischen Körper, so erhalten wir bei dessen
Rückkehr in die alte Form die ganze hineingesteckte Energie
wieder in Form von Arbeit. Erzeugen wir durch äussere
Kräfte innere Reibung in einem Gase, so verwandelt sich die
aufgewandte Arbeit in Wärmeenergie. Dies geschieht voll-
ständig, wenn nach Aufhören der äusseren Kräfte noch eine
erheblich grössere Zeit als die Relaxationszeit verstrichen ist.
Während der Wirkung der äusseren Kräfte ist jedoch, wenn
unsere Gleichungen richtig sind, die Entropie in jedem Augen-
blicke etwas kleiner, als sie wäre, wenn die für die sichtbare
Bewegung verloren gegangene Energie gewöhnliche Wärme wäre.
Dieselbe steht in der Mitte zwischen gewöhnlicher Wärme und
sichtbarer Energie, und ein Theil davon ist noch in Arbeit
verwandelbar, da das Maxwell’sche Geschwindigkeitsverthei-
lungsgesetz noch nicht genau gilt. Dieses strenge Analogon
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Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 1. Leipzig, 1896, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boltzmann_gastheorie01_1896/207>, abgerufen am 17.02.2025.
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