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Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 1. Leipzig, 1896.

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[Gleich. 35] § 6. Math. Bedeutung der Grösse H.
scheinlichkeitsgesetzen gemäss mit anderen zusammenstossen
wird, sondern gerade so aufgestellt ist, dass es in vorher be-
rechneter Weise zusammenstossen muss. In dem angeführten
Beispiele, in welchem wir die Masse aller Moleküle als gleich
voraussetzen wollen, hatten zu Anfang alle Moleküle dieselbe
Geschwindigkeit c. Nachdem durchschnittlich jedes Molekül
einmal zum Zusammenstosse gelangt ist, werden viele Moleküle
eine andere Geschwindigkeit g haben, aber abgesehen von den
wenigen, die mehrmals zum Zusammenstosse gelangten, kommen
alle diese Moleküle von einem Zusammenstosse, durch welchen
das andere stossende Molekül die Geschwindigkeit [Formel 1]
erhielt. Kehren wir daher jetzt alle Geschwindigkeiten genau
um, so gelangen fast alle Moleküle, deren Geschwindigkeit g
ist, gerade nur mit Molekülen von der Geschwindigkeit [Formel 2]
zum Zusammenstosse, es ist also das für eine molekular ge-
ordnete Vertheilung Charakteristische vorhanden.

Die Thatsache, dass nun H zunimmt, widerspricht auch
nicht den Wahrscheinlichkeitsgesetzen; denn aus diesen folgt
nur die Unwahrscheinlichkeit, nicht die Unmöglichkeit einer
Zunahme von H, ja im Gegentheile, es folgt ausdrücklich, dass
jede, wenn auch noch so unwahrscheinliche Zustandsvertheilung
eine, wenn auch kleine, so doch von Null verschiedene Wahr-
scheinlichkeit hat. Selbst wenn die Maxwell'sche Geschwin-
digkeitsvertheilung herrscht, ist der Fall, dass das erste Molekül
gerade die Geschwindigkeit hat, die es zur Zeit wirklich hat,
ebenso das zweite u. s. w., nicht im Mindesten wahrscheinlicher
als der Fall, dass alle Moleküle dieselbe Geschwindigkeit haben.

Nur wäre es offenbar ein Fehlschluss, wenn man daraus,
dass jede Bewegung, wobei H abnimmt, durch Umkehr aller
Geschwindigkeiten in eine solche übergeht, bei welcher H
zunimmt, schliessen würde, beides sei gleich wahrscheinlich.
Habe für irgend eine Bewegung H von der Zeit t0 bis zur
Zeit t1 abgenommen. Wenn man alle zur Zeit t0 herrschenden
Geschwindigkeiten umkehrt, würde man keineswegs zu einer
Bewegung kommen, für welche H zunehmen muss; im Gegen-
theile, es würde H wahrscheinlich wieder abnehmen. Nur
wenn man die zur Zeit t1 herrschenden Geschwindigkeiten um-
kehrt, erhält man eine Bewegung, bei welcher H während der
Zeit t1 -- t0 zunimmt, dann aber wahrscheinlich wieder ab-

[Gleich. 35] § 6. Math. Bedeutung der Grösse H.
scheinlichkeitsgesetzen gemäss mit anderen zusammenstossen
wird, sondern gerade so aufgestellt ist, dass es in vorher be-
rechneter Weise zusammenstossen muss. In dem angeführten
Beispiele, in welchem wir die Masse aller Moleküle als gleich
voraussetzen wollen, hatten zu Anfang alle Moleküle dieselbe
Geschwindigkeit c. Nachdem durchschnittlich jedes Molekül
einmal zum Zusammenstosse gelangt ist, werden viele Moleküle
eine andere Geschwindigkeit γ haben, aber abgesehen von den
wenigen, die mehrmals zum Zusammenstosse gelangten, kommen
alle diese Moleküle von einem Zusammenstosse, durch welchen
das andere stossende Molekül die Geschwindigkeit [Formel 1]
erhielt. Kehren wir daher jetzt alle Geschwindigkeiten genau
um, so gelangen fast alle Moleküle, deren Geschwindigkeit γ
ist, gerade nur mit Molekülen von der Geschwindigkeit [Formel 2]
zum Zusammenstosse, es ist also das für eine molekular ge-
ordnete Vertheilung Charakteristische vorhanden.

Die Thatsache, dass nun H zunimmt, widerspricht auch
nicht den Wahrscheinlichkeitsgesetzen; denn aus diesen folgt
nur die Unwahrscheinlichkeit, nicht die Unmöglichkeit einer
Zunahme von H, ja im Gegentheile, es folgt ausdrücklich, dass
jede, wenn auch noch so unwahrscheinliche Zustandsvertheilung
eine, wenn auch kleine, so doch von Null verschiedene Wahr-
scheinlichkeit hat. Selbst wenn die Maxwell’sche Geschwin-
digkeitsvertheilung herrscht, ist der Fall, dass das erste Molekül
gerade die Geschwindigkeit hat, die es zur Zeit wirklich hat,
ebenso das zweite u. s. w., nicht im Mindesten wahrscheinlicher
als der Fall, dass alle Moleküle dieselbe Geschwindigkeit haben.

Nur wäre es offenbar ein Fehlschluss, wenn man daraus,
dass jede Bewegung, wobei H abnimmt, durch Umkehr aller
Geschwindigkeiten in eine solche übergeht, bei welcher H
zunimmt, schliessen würde, beides sei gleich wahrscheinlich.
Habe für irgend eine Bewegung H von der Zeit t0 bis zur
Zeit t1 abgenommen. Wenn man alle zur Zeit t0 herrschenden
Geschwindigkeiten umkehrt, würde man keineswegs zu einer
Bewegung kommen, für welche H zunehmen muss; im Gegen-
theile, es würde H wahrscheinlich wieder abnehmen. Nur
wenn man die zur Zeit t1 herrschenden Geschwindigkeiten um-
kehrt, erhält man eine Bewegung, bei welcher H während der
Zeit t1t0 zunimmt, dann aber wahrscheinlich wieder ab-

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[43/0057] [Gleich. 35] § 6. Math. Bedeutung der Grösse H. scheinlichkeitsgesetzen gemäss mit anderen zusammenstossen wird, sondern gerade so aufgestellt ist, dass es in vorher be- rechneter Weise zusammenstossen muss. In dem angeführten Beispiele, in welchem wir die Masse aller Moleküle als gleich voraussetzen wollen, hatten zu Anfang alle Moleküle dieselbe Geschwindigkeit c. Nachdem durchschnittlich jedes Molekül einmal zum Zusammenstosse gelangt ist, werden viele Moleküle eine andere Geschwindigkeit γ haben, aber abgesehen von den wenigen, die mehrmals zum Zusammenstosse gelangten, kommen alle diese Moleküle von einem Zusammenstosse, durch welchen das andere stossende Molekül die Geschwindigkeit [FORMEL] erhielt. Kehren wir daher jetzt alle Geschwindigkeiten genau um, so gelangen fast alle Moleküle, deren Geschwindigkeit γ ist, gerade nur mit Molekülen von der Geschwindigkeit [FORMEL] zum Zusammenstosse, es ist also das für eine molekular ge- ordnete Vertheilung Charakteristische vorhanden. Die Thatsache, dass nun H zunimmt, widerspricht auch nicht den Wahrscheinlichkeitsgesetzen; denn aus diesen folgt nur die Unwahrscheinlichkeit, nicht die Unmöglichkeit einer Zunahme von H, ja im Gegentheile, es folgt ausdrücklich, dass jede, wenn auch noch so unwahrscheinliche Zustandsvertheilung eine, wenn auch kleine, so doch von Null verschiedene Wahr- scheinlichkeit hat. Selbst wenn die Maxwell’sche Geschwin- digkeitsvertheilung herrscht, ist der Fall, dass das erste Molekül gerade die Geschwindigkeit hat, die es zur Zeit wirklich hat, ebenso das zweite u. s. w., nicht im Mindesten wahrscheinlicher als der Fall, dass alle Moleküle dieselbe Geschwindigkeit haben. Nur wäre es offenbar ein Fehlschluss, wenn man daraus, dass jede Bewegung, wobei H abnimmt, durch Umkehr aller Geschwindigkeiten in eine solche übergeht, bei welcher H zunimmt, schliessen würde, beides sei gleich wahrscheinlich. Habe für irgend eine Bewegung H von der Zeit t0 bis zur Zeit t1 abgenommen. Wenn man alle zur Zeit t0 herrschenden Geschwindigkeiten umkehrt, würde man keineswegs zu einer Bewegung kommen, für welche H zunehmen muss; im Gegen- theile, es würde H wahrscheinlich wieder abnehmen. Nur wenn man die zur Zeit t1 herrschenden Geschwindigkeiten um- kehrt, erhält man eine Bewegung, bei welcher H während der Zeit t1 — t0 zunimmt, dann aber wahrscheinlich wieder ab-

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Zitationshilfe: Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 1. Leipzig, 1896, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boltzmann_gastheorie01_1896/57>, abgerufen am 21.11.2024.