Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 2. Leipzig, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

VI. Abschnitt. [Gleich. 184]
Oberfläche der Atome gebunden ist. Man kann auch nur
unter der letzteren, keineswegs unter der ersteren Annahme
ein der Wirklichkeit entsprechendes Bild der Gasdissociation
erhalten.

Sowohl der Einfachheit der Rechnung halber, als auch
wegen der Einwerthigkeit des Jodes setzen wir voraus, dass die
von einem Jodatome ausgeübte chemische Anziehung nur in
einem einzigen gegenüber der Grösse des Atomes kleinen zu-
sammenhängenden Raume thätig ist, welchen wir den empfind-
lichen Bezirk nennen wollen. Derselbe soll unmittelbar an dessen
Oberfläche anliegend und fest mit dem betreffenden Atome ver-
bunden sein. Die vom Mittelpunkte des Atomes nach einem be-
stimmten Punkte des empfindlichen Bezirkes (z. B. dessen Mittel-
punkte oder dessen Schwerpunkte im rein geometrischen Sinne)
gezogene Gerade nennen wir die Axe dieses Atomes. Nur wenn
zwei Atome so liegen, dass sich ihre empfindlichen Bezirke be-
rühren oder theilweise in einander fallen, soll die chemische An-
ziehung zwischen ihnen thätig sein. Wir sagen dann, sie sind
chemisch mit einander verbunden. An jeder anderen Stelle der
Oberfläche können sie sich berühren, ohne dass chemische An-
ziehung eintritt. Der empfindliche Bezirk soll einem so kleinen
Theile der ganzen Oberfläche des Atomes anliegen, dass die
Möglichkeit vollkommen ausgeschlossen ist, dass sich die em-
pfindlichen Bezirke dreier Atome gleichzeitig berühren oder
durchschneiden. Es ist für die folgende Rechnung nicht noth-
wendig, sich die Atome in Gestalt von Kugeln zu denken. Da
dies jedoch das einfachste ist, wollen wir es thun. s sei der
Durchmesser eines kugelförmig gedachten Atomes.

Wir heben ein bestimmtes Atom hervor; es sei durch
den Kreis M der Fig. 4 dargestellt. A sei sein Mittelpunkt.
Der schraffirte Raum a sei der empfindliche Bezirk desselben.
Wir brauchen den Fall, dass dieser theilweise im Inneren des
Atomes liegt, nicht gerade auszuschliessen, doch wollen wir
die Zeichnung so machen, dass er zwar unmittelbar an der
Oberfläche des Atomes, aber doch ganz ausserhalb desselben
liegt, wie man natürlich annehmen müsste, wenn man sich das
Atom vollkommen undurchdringlich denkt. Soll ein zweites
Atom M1 mit dem ersten chemisch verbunden sein, so muss
der empfindliche Bezirk b des zweiten Atomes theilweise in

VI. Abschnitt. [Gleich. 184]
Oberfläche der Atome gebunden ist. Man kann auch nur
unter der letzteren, keineswegs unter der ersteren Annahme
ein der Wirklichkeit entsprechendes Bild der Gasdissociation
erhalten.

Sowohl der Einfachheit der Rechnung halber, als auch
wegen der Einwerthigkeit des Jodes setzen wir voraus, dass die
von einem Jodatome ausgeübte chemische Anziehung nur in
einem einzigen gegenüber der Grösse des Atomes kleinen zu-
sammenhängenden Raume thätig ist, welchen wir den empfind-
lichen Bezirk nennen wollen. Derselbe soll unmittelbar an dessen
Oberfläche anliegend und fest mit dem betreffenden Atome ver-
bunden sein. Die vom Mittelpunkte des Atomes nach einem be-
stimmten Punkte des empfindlichen Bezirkes (z. B. dessen Mittel-
punkte oder dessen Schwerpunkte im rein geometrischen Sinne)
gezogene Gerade nennen wir die Axe dieses Atomes. Nur wenn
zwei Atome so liegen, dass sich ihre empfindlichen Bezirke be-
rühren oder theilweise in einander fallen, soll die chemische An-
ziehung zwischen ihnen thätig sein. Wir sagen dann, sie sind
chemisch mit einander verbunden. An jeder anderen Stelle der
Oberfläche können sie sich berühren, ohne dass chemische An-
ziehung eintritt. Der empfindliche Bezirk soll einem so kleinen
Theile der ganzen Oberfläche des Atomes anliegen, dass die
Möglichkeit vollkommen ausgeschlossen ist, dass sich die em-
pfindlichen Bezirke dreier Atome gleichzeitig berühren oder
durchschneiden. Es ist für die folgende Rechnung nicht noth-
wendig, sich die Atome in Gestalt von Kugeln zu denken. Da
dies jedoch das einfachste ist, wollen wir es thun. σ sei der
Durchmesser eines kugelförmig gedachten Atomes.

Wir heben ein bestimmtes Atom hervor; es sei durch
den Kreis M der Fig. 4 dargestellt. A sei sein Mittelpunkt.
Der schraffirte Raum α sei der empfindliche Bezirk desselben.
Wir brauchen den Fall, dass dieser theilweise im Inneren des
Atomes liegt, nicht gerade auszuschliessen, doch wollen wir
die Zeichnung so machen, dass er zwar unmittelbar an der
Oberfläche des Atomes, aber doch ganz ausserhalb desselben
liegt, wie man natürlich annehmen müsste, wenn man sich das
Atom vollkommen undurchdringlich denkt. Soll ein zweites
Atom M1 mit dem ersten chemisch verbunden sein, so muss
der empfindliche Bezirk β des zweiten Atomes theilweise in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0196" n="178"/><fw place="top" type="header">VI. Abschnitt. [Gleich. 184]</fw><lb/>
Oberfläche der Atome gebunden ist. Man kann auch nur<lb/>
unter der letzteren, keineswegs unter der ersteren Annahme<lb/>
ein der Wirklichkeit entsprechendes Bild der Gasdissociation<lb/>
erhalten.</p><lb/>
          <p>Sowohl der Einfachheit der Rechnung halber, als auch<lb/>
wegen der Einwerthigkeit des Jodes setzen wir voraus, dass die<lb/>
von einem Jodatome ausgeübte chemische Anziehung nur in<lb/>
einem einzigen gegenüber der Grösse des Atomes kleinen zu-<lb/>
sammenhängenden Raume thätig ist, welchen wir den empfind-<lb/>
lichen Bezirk nennen wollen. Derselbe soll unmittelbar an dessen<lb/>
Oberfläche anliegend und fest mit dem betreffenden Atome ver-<lb/>
bunden sein. Die vom Mittelpunkte des Atomes nach einem be-<lb/>
stimmten Punkte des empfindlichen Bezirkes (z. B. dessen Mittel-<lb/>
punkte oder dessen Schwerpunkte im rein geometrischen Sinne)<lb/>
gezogene Gerade nennen wir die Axe dieses Atomes. Nur wenn<lb/>
zwei Atome so liegen, dass sich ihre empfindlichen Bezirke be-<lb/>
rühren oder theilweise in einander fallen, soll die chemische An-<lb/>
ziehung zwischen ihnen thätig sein. Wir sagen dann, sie sind<lb/>
chemisch mit einander verbunden. An jeder anderen Stelle der<lb/>
Oberfläche können sie sich berühren, ohne dass chemische An-<lb/>
ziehung eintritt. Der empfindliche Bezirk soll einem so kleinen<lb/>
Theile der ganzen Oberfläche des Atomes anliegen, dass die<lb/>
Möglichkeit vollkommen ausgeschlossen ist, dass sich die em-<lb/>
pfindlichen Bezirke dreier Atome gleichzeitig berühren oder<lb/>
durchschneiden. Es ist für die folgende Rechnung nicht noth-<lb/>
wendig, sich die Atome in Gestalt von Kugeln zu denken. Da<lb/>
dies jedoch das einfachste ist, wollen wir es thun. <hi rendition="#i">&#x03C3;</hi> sei der<lb/>
Durchmesser eines kugelförmig gedachten Atomes.</p><lb/>
          <p>Wir heben ein bestimmtes Atom hervor; es sei durch<lb/>
den Kreis <hi rendition="#i">M</hi> der Fig. 4 dargestellt. <hi rendition="#i">A</hi> sei sein Mittelpunkt.<lb/>
Der schraffirte Raum <hi rendition="#i">&#x03B1;</hi> sei der empfindliche Bezirk desselben.<lb/>
Wir brauchen den Fall, dass dieser theilweise im Inneren des<lb/>
Atomes liegt, nicht gerade auszuschliessen, doch wollen wir<lb/>
die Zeichnung so machen, dass er zwar unmittelbar an der<lb/>
Oberfläche des Atomes, aber doch ganz ausserhalb desselben<lb/>
liegt, wie man natürlich annehmen müsste, wenn man sich das<lb/>
Atom vollkommen undurchdringlich denkt. Soll ein zweites<lb/>
Atom <hi rendition="#i">M</hi><hi rendition="#sub">1</hi> mit dem ersten chemisch verbunden sein, so muss<lb/>
der empfindliche Bezirk <hi rendition="#i">&#x03B2;</hi> des zweiten Atomes theilweise in<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[178/0196] VI. Abschnitt. [Gleich. 184] Oberfläche der Atome gebunden ist. Man kann auch nur unter der letzteren, keineswegs unter der ersteren Annahme ein der Wirklichkeit entsprechendes Bild der Gasdissociation erhalten. Sowohl der Einfachheit der Rechnung halber, als auch wegen der Einwerthigkeit des Jodes setzen wir voraus, dass die von einem Jodatome ausgeübte chemische Anziehung nur in einem einzigen gegenüber der Grösse des Atomes kleinen zu- sammenhängenden Raume thätig ist, welchen wir den empfind- lichen Bezirk nennen wollen. Derselbe soll unmittelbar an dessen Oberfläche anliegend und fest mit dem betreffenden Atome ver- bunden sein. Die vom Mittelpunkte des Atomes nach einem be- stimmten Punkte des empfindlichen Bezirkes (z. B. dessen Mittel- punkte oder dessen Schwerpunkte im rein geometrischen Sinne) gezogene Gerade nennen wir die Axe dieses Atomes. Nur wenn zwei Atome so liegen, dass sich ihre empfindlichen Bezirke be- rühren oder theilweise in einander fallen, soll die chemische An- ziehung zwischen ihnen thätig sein. Wir sagen dann, sie sind chemisch mit einander verbunden. An jeder anderen Stelle der Oberfläche können sie sich berühren, ohne dass chemische An- ziehung eintritt. Der empfindliche Bezirk soll einem so kleinen Theile der ganzen Oberfläche des Atomes anliegen, dass die Möglichkeit vollkommen ausgeschlossen ist, dass sich die em- pfindlichen Bezirke dreier Atome gleichzeitig berühren oder durchschneiden. Es ist für die folgende Rechnung nicht noth- wendig, sich die Atome in Gestalt von Kugeln zu denken. Da dies jedoch das einfachste ist, wollen wir es thun. σ sei der Durchmesser eines kugelförmig gedachten Atomes. Wir heben ein bestimmtes Atom hervor; es sei durch den Kreis M der Fig. 4 dargestellt. A sei sein Mittelpunkt. Der schraffirte Raum α sei der empfindliche Bezirk desselben. Wir brauchen den Fall, dass dieser theilweise im Inneren des Atomes liegt, nicht gerade auszuschliessen, doch wollen wir die Zeichnung so machen, dass er zwar unmittelbar an der Oberfläche des Atomes, aber doch ganz ausserhalb desselben liegt, wie man natürlich annehmen müsste, wenn man sich das Atom vollkommen undurchdringlich denkt. Soll ein zweites Atom M1 mit dem ersten chemisch verbunden sein, so muss der empfindliche Bezirk β des zweiten Atomes theilweise in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boltzmann_gastheorie02_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boltzmann_gastheorie02_1898/196
Zitationshilfe: Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 2. Leipzig, 1898, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boltzmann_gastheorie02_1898/196>, abgerufen am 23.11.2024.