Borinski, Karl: Deutsche Poetik. Stuttgart, 1895.pbo_129.001 § 89. Das Tierepos. pbo_129.018 pbo_129.001 § 89. Das Tierepos. pbo_129.018 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0133" n="129"/><lb n="pbo_129.001"/> als Passion auch hierbei aufgefaßt werden kann; ebenso die <lb n="pbo_129.002"/> Geschichte der Seinigen, seiner Eltern, vornemlich der jungfräulichen <lb n="pbo_129.003"/> Gottesmutter, der Apostel, Heiligen und Märtyrer, <lb n="pbo_129.004"/> endlich die symbolische und historische Erscheinung des Christentums <lb n="pbo_129.005"/> als Weltgericht und Weltmacht (Dantes „göttliche <lb n="pbo_129.006"/> Comödie“, Tassos „befreites Jerusalem“): alles ist unter dem <lb n="pbo_129.007"/> besonderen Schutze der kirchlichen Autorität zu allen Zeiten im <lb n="pbo_129.008"/> Ueberschwang episch behandelt worden. Der Mythus, den wir <lb n="pbo_129.009"/> oben als constitutives Prinzip der Poesie faßten, erscheint uns <lb n="pbo_129.010"/> hier im epischen Ausbau in mündlicher Ueberlieferung für <lb n="pbo_129.011"/> das Gebiet des Nationalepos als <hi rendition="#g">Sage,</hi> für das des <lb n="pbo_129.012"/> <hi rendition="#g">religiösen Epos</hi> als <hi rendition="#g">Legende.</hi> Späte häusliche Absenker <lb n="pbo_129.013"/> von beiden bilden den Schatz der <hi rendition="#g">Kinder-</hi> und <hi rendition="#g">Hausmärchen</hi> <lb n="pbo_129.014"/> (von den <hi rendition="#g">Brüdern</hi> Jakob und Wilhelm <hi rendition="#g">Grimm</hi> <lb n="pbo_129.015"/> in unübertroffener Weise aus dem Munde des Volkes gesammelt <lb n="pbo_129.016"/> und wiedergegeben).</p> <lb n="pbo_129.017"/> </div> <div n="4"> <head> <hi rendition="#c">§ 89. Das Tierepos.</hi> </head> <p><lb n="pbo_129.018"/> Eine ganz besondere Stellung in der mythischen Welt <lb n="pbo_129.019"/> des Epos nimmt das <hi rendition="#g">Tier</hi>epos ein, das schon im Anschluß <lb n="pbo_129.020"/> an das Homerische in der griechischen Litteraturgeschichte auftaucht <lb n="pbo_129.021"/> (<foreign xml:lang="grc">βατραχομυομαχία</foreign> Krieg der Frösche und Mäuse) <lb n="pbo_129.022"/> und bei allen Völkern, besonders dem deutschen, Verständnis <lb n="pbo_129.023"/> und Pflege gefunden hat (<hi rendition="#g">Reineke Fuchs,</hi> von Goethe <lb n="pbo_129.024"/> erneuert). Es ist wohl möglich, daß sich auch im Abendlande, <lb n="pbo_129.025"/> wie in Aegypten und im Orient, mythische Symbole in den <lb n="pbo_129.026"/> Vorstellungen von gewissen Gottheiten geweihten Tieren niederschlugen <lb n="pbo_129.027"/> und so ursprüngliche Göttergeschichten unter tierischer <lb n="pbo_129.028"/> Maske fortspielen. Allein die natürliche Auffassung einer <lb n="pbo_129.029"/> <hi rendition="#g">Erniedrigung</hi> des Menschlichen in der Tierwelt ließ hier <lb n="pbo_129.030"/> sehr bald einen Kontrast zum Mythischen (der <hi rendition="#g">Erhöhung</hi> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [129/0133]
pbo_129.001
als Passion auch hierbei aufgefaßt werden kann; ebenso die pbo_129.002
Geschichte der Seinigen, seiner Eltern, vornemlich der jungfräulichen pbo_129.003
Gottesmutter, der Apostel, Heiligen und Märtyrer, pbo_129.004
endlich die symbolische und historische Erscheinung des Christentums pbo_129.005
als Weltgericht und Weltmacht (Dantes „göttliche pbo_129.006
Comödie“, Tassos „befreites Jerusalem“): alles ist unter dem pbo_129.007
besonderen Schutze der kirchlichen Autorität zu allen Zeiten im pbo_129.008
Ueberschwang episch behandelt worden. Der Mythus, den wir pbo_129.009
oben als constitutives Prinzip der Poesie faßten, erscheint uns pbo_129.010
hier im epischen Ausbau in mündlicher Ueberlieferung für pbo_129.011
das Gebiet des Nationalepos als Sage, für das des pbo_129.012
religiösen Epos als Legende. Späte häusliche Absenker pbo_129.013
von beiden bilden den Schatz der Kinder- und Hausmärchen pbo_129.014
(von den Brüdern Jakob und Wilhelm Grimm pbo_129.015
in unübertroffener Weise aus dem Munde des Volkes gesammelt pbo_129.016
und wiedergegeben).
pbo_129.017
§ 89. Das Tierepos. pbo_129.018
Eine ganz besondere Stellung in der mythischen Welt pbo_129.019
des Epos nimmt das Tierepos ein, das schon im Anschluß pbo_129.020
an das Homerische in der griechischen Litteraturgeschichte auftaucht pbo_129.021
(βατραχομυομαχία Krieg der Frösche und Mäuse) pbo_129.022
und bei allen Völkern, besonders dem deutschen, Verständnis pbo_129.023
und Pflege gefunden hat (Reineke Fuchs, von Goethe pbo_129.024
erneuert). Es ist wohl möglich, daß sich auch im Abendlande, pbo_129.025
wie in Aegypten und im Orient, mythische Symbole in den pbo_129.026
Vorstellungen von gewissen Gottheiten geweihten Tieren niederschlugen pbo_129.027
und so ursprüngliche Göttergeschichten unter tierischer pbo_129.028
Maske fortspielen. Allein die natürliche Auffassung einer pbo_129.029
Erniedrigung des Menschlichen in der Tierwelt ließ hier pbo_129.030
sehr bald einen Kontrast zum Mythischen (der Erhöhung
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: manuell (doppelt erfasst). Bogensignaturen: nicht übernommen; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: ja; Hervorhebungen durch Wechsel von Fraktur zu Antiqua: nicht gekennzeichnet
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |