Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789.

Bild:
<< vorherige Seite

Ich klopfte an. Wir setzten uns vor's Haus auf's
Bänkgen, bis er hinunterkam. Wir achteten sei-
ner kaum. Wirklich fieng Aennchen itzt wieder
aufs neue an; die Scheue vor einem lebendigen
Zeugen gab uns selber den Muth, uns besser zu
fassen. Wir waren beyde so beredt wie Landvög-
te. Aber freylich übertraf mich mein Schätzgen
in der Redekunst, in Liebkosungen und Schwü-
ren, noch himmelweit. Bald gieng's ein wenig
Berg auf. Nun wollte Laurenz Aennchen nicht
weiter lassen: "Genug ist genug, ihr Bürschlin"!
sagte er: "Uchel! so kämen wir ewig nicht fort. --
"Ihr klebt da aneinander, wie Harz. -- Was hilft
"itzt das Brieggen? -- Mädel es ist Zeit mit
"dir ins Dorf zurück: Es giebt noch der Knaben
"mehr als genug"! Endlich (freylich währt' es lange
genug) mußt' ich Aennchen noch selber bitten, um-
zukehren: "Es muß -- es muß doch seyn"! Dann
noch einen eineinzigen Kuß -- aber einen wie's in
meinem Leben der erste und der letzte war -- und
ein Paar Dutzend Händedrück', und: Leb, leb wohl!
Vergiß mein nicht! -- Nein gewiß nicht -- nie -- in
Ewigkeit nicht! -- Wir giengen; sie stand still, ver-
hüllte ihr Gesicht, und weinte überlaut -- ich nicht
viel minder. So weit wir uns noch sehen konnten,
schweyten wir die Schnupftücher, und warfen einan-
der Küsse zu. Itzt war's vorbey: Wir kamen ihr
aus dem Gesicht. -- O wie's mir da zu Muthe
war! -- Laurenz wollte mir Muth einsprechen,
und fieng eine ganze Predigt an: Wie's in der Frem-

Ich klopfte an. Wir ſetzten uns vor’s Haus auf’s
Baͤnkgen, bis er hinunterkam. Wir achteten ſei-
ner kaum. Wirklich fieng Aennchen itzt wieder
aufs neue an; die Scheue vor einem lebendigen
Zeugen gab uns ſelber den Muth, uns beſſer zu
faſſen. Wir waren beyde ſo beredt wie Landvoͤg-
te. Aber freylich uͤbertraf mich mein Schaͤtzgen
in der Redekunſt, in Liebkoſungen und Schwuͤ-
ren, noch himmelweit. Bald gieng’s ein wenig
Berg auf. Nun wollte Laurenz Aennchen nicht
weiter laſſen: „Genug iſt genug, ihr Buͤrſchlin„!
ſagte er: „Uchel! ſo kaͤmen wir ewig nicht fort. —
„Ihr klebt da aneinander, wie Harz. — Was hilft
„itzt das Brieggen? — Maͤdel es iſt Zeit mit
„dir ins Dorf zuruͤck: Es giebt noch der Knaben
„mehr als genug„! Endlich (freylich waͤhrt’ es lange
genug) mußt’ ich Aennchen noch ſelber bitten, um-
zukehren: „Es muß — es muß doch ſeyn„! Dann
noch einen eineinzigen Kuß — aber einen wie’s in
meinem Leben der erſte und der letzte war — und
ein Paar Dutzend Haͤndedruͤck’, und: Leb, leb wohl!
Vergiß mein nicht! — Nein gewiß nicht — nie — in
Ewigkeit nicht! — Wir giengen; ſie ſtand ſtill, ver-
huͤllte ihr Geſicht, und weinte uͤberlaut — ich nicht
viel minder. So weit wir uns noch ſehen konnten,
ſchweyten wir die Schnupftuͤcher, und warfen einan-
der Kuͤſſe zu. Itzt war’s vorbey: Wir kamen ihr
aus dem Geſicht. — O wie’s mir da zu Muthe
war! — Laurenz wollte mir Muth einſprechen,
und fieng eine ganze Predigt an: Wie’s in der Frem-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0103" n="87"/>
Ich klopfte an. Wir &#x017F;etzten uns vor&#x2019;s Haus auf&#x2019;s<lb/>
Ba&#x0364;nkgen, bis er hinunterkam. Wir achteten &#x017F;ei-<lb/>
ner kaum. Wirklich fieng <hi rendition="#fr">Aennchen</hi> itzt wieder<lb/>
aufs neue an; die Scheue vor einem lebendigen<lb/>
Zeugen gab uns &#x017F;elber den Muth, uns be&#x017F;&#x017F;er zu<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;en. Wir waren beyde &#x017F;o beredt wie Landvo&#x0364;g-<lb/>
te. Aber freylich u&#x0364;bertraf mich mein Scha&#x0364;tzgen<lb/>
in der Redekun&#x017F;t, in Liebko&#x017F;ungen und Schwu&#x0364;-<lb/>
ren, noch himmelweit. Bald gieng&#x2019;s ein wenig<lb/>
Berg auf. Nun wollte <hi rendition="#fr">Laurenz Aennchen</hi> nicht<lb/>
weiter la&#x017F;&#x017F;en: &#x201E;Genug i&#x017F;t genug, ihr Bu&#x0364;r&#x017F;chlin&#x201E;!<lb/>
&#x017F;agte er: &#x201E;<hi rendition="#fr">Uchel</hi>! &#x017F;o ka&#x0364;men wir ewig nicht fort. &#x2014;<lb/>
&#x201E;Ihr klebt da aneinander, wie Harz. &#x2014; Was hilft<lb/>
&#x201E;itzt das Brieggen? &#x2014; Ma&#x0364;del es i&#x017F;t Zeit mit<lb/>
&#x201E;dir ins Dorf zuru&#x0364;ck: Es giebt noch der Knaben<lb/>
&#x201E;mehr als genug&#x201E;! Endlich (freylich wa&#x0364;hrt&#x2019; es lange<lb/>
genug) mußt&#x2019; ich <hi rendition="#fr">Aennchen</hi> noch &#x017F;elber bitten, um-<lb/>
zukehren: &#x201E;Es muß &#x2014; es muß doch &#x017F;eyn&#x201E;! Dann<lb/>
noch einen eineinzigen Kuß &#x2014; aber einen wie&#x2019;s in<lb/>
meinem Leben der er&#x017F;te und der letzte war &#x2014; und<lb/>
ein Paar Dutzend Ha&#x0364;ndedru&#x0364;ck&#x2019;, und: Leb, leb wohl!<lb/>
Vergiß mein nicht! &#x2014; Nein gewiß nicht &#x2014; nie &#x2014; in<lb/>
Ewigkeit nicht! &#x2014; Wir giengen; &#x017F;ie &#x017F;tand &#x017F;till, ver-<lb/>
hu&#x0364;llte ihr Ge&#x017F;icht, und weinte u&#x0364;berlaut &#x2014; ich nicht<lb/>
viel minder. So weit wir uns noch &#x017F;ehen konnten,<lb/>
&#x017F;chweyten wir die Schnupftu&#x0364;cher, und warfen einan-<lb/>
der Ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;e zu. Itzt war&#x2019;s vorbey: Wir kamen ihr<lb/>
aus dem Ge&#x017F;icht. &#x2014; O wie&#x2019;s mir da zu Muthe<lb/>
war! &#x2014; <hi rendition="#fr">Laurenz</hi> wollte mir Muth ein&#x017F;prechen,<lb/>
und fieng eine ganze Predigt an: Wie&#x2019;s in der Frem-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[87/0103] Ich klopfte an. Wir ſetzten uns vor’s Haus auf’s Baͤnkgen, bis er hinunterkam. Wir achteten ſei- ner kaum. Wirklich fieng Aennchen itzt wieder aufs neue an; die Scheue vor einem lebendigen Zeugen gab uns ſelber den Muth, uns beſſer zu faſſen. Wir waren beyde ſo beredt wie Landvoͤg- te. Aber freylich uͤbertraf mich mein Schaͤtzgen in der Redekunſt, in Liebkoſungen und Schwuͤ- ren, noch himmelweit. Bald gieng’s ein wenig Berg auf. Nun wollte Laurenz Aennchen nicht weiter laſſen: „Genug iſt genug, ihr Buͤrſchlin„! ſagte er: „Uchel! ſo kaͤmen wir ewig nicht fort. — „Ihr klebt da aneinander, wie Harz. — Was hilft „itzt das Brieggen? — Maͤdel es iſt Zeit mit „dir ins Dorf zuruͤck: Es giebt noch der Knaben „mehr als genug„! Endlich (freylich waͤhrt’ es lange genug) mußt’ ich Aennchen noch ſelber bitten, um- zukehren: „Es muß — es muß doch ſeyn„! Dann noch einen eineinzigen Kuß — aber einen wie’s in meinem Leben der erſte und der letzte war — und ein Paar Dutzend Haͤndedruͤck’, und: Leb, leb wohl! Vergiß mein nicht! — Nein gewiß nicht — nie — in Ewigkeit nicht! — Wir giengen; ſie ſtand ſtill, ver- huͤllte ihr Geſicht, und weinte uͤberlaut — ich nicht viel minder. So weit wir uns noch ſehen konnten, ſchweyten wir die Schnupftuͤcher, und warfen einan- der Kuͤſſe zu. Itzt war’s vorbey: Wir kamen ihr aus dem Geſicht. — O wie’s mir da zu Muthe war! — Laurenz wollte mir Muth einſprechen, und fieng eine ganze Predigt an: Wie’s in der Frem-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/103
Zitationshilfe: Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/103>, abgerufen am 22.11.2024.