eben so. Aber wenn der seinen Brand im Kopf hatte, setzte er sich in der Abenddämmerung vor's Haus hin, fluchte und haselirte da mutterseels al- lein; schimpfte auf seine Offiziere, und sogar auf den König, wünschte Berlin und allen Brandenbur- gern tausend Millionen Schwernoth auf den Hals, und fand (wie der arme Teufel, so oft er wieder nüchtern ward, behauptete) in diesem unvernünfti- gen Rasen seinen einzigen Trost im Unglück. Wolf- ram und Meewis warnten ihn oft; denn sonst war er noch vor Kurzem ein recht guter umgängli- cher Bursche: "Kerl"! sagten sie dann zu ihm, "gewiß wirst du noch ins Tollhaus wandern". Dieses war nicht weit von uns. Oft sah' ich dort einen Soldat vor dem Gegitter auf einem Bänkgen sitzen, und fragte einst Meevis, wer er wäre? Denn ich hatte ihn nie bey der Compagnie gesehn: "Just so einer, wie der Mecklenburger", ant- wortete Meewis; "darum hat man ihn hier ver- "sorgt, wo er Anfangs brüllte wie ein ungarscher "Stier. Aber seit etlichen Wochen soll er so ge- "schlacht wie ein Lamm seyn". Diese Beschreibung machte mich lüstern, den Menschen näher kennen zu lernen. Er war ein Anspacher. Anfangs gieng ich nur so wie verstohlen bey ihm hin und wieder, sah mit wehmüthigem Vergnügen, wie er seinen Blick bald zum Himmel gerichtet, bald auf den Bo- den geheftet, melancholisch da saß, bisweilen aber ganz vor sich sanft lächelte, und übrigens meiner nicht zu achten schien. Schon aus seiner Physiogno-
eben ſo. Aber wenn der ſeinen Brand im Kopf hatte, ſetzte er ſich in der Abenddaͤmmerung vor’s Haus hin, fluchte und haſelirte da mutterſeels al- lein; ſchimpfte auf ſeine Offiziere, und ſogar auf den Koͤnig, wuͤnſchte Berlin und allen Brandenbur- gern tauſend Millionen Schwernoth auf den Hals, und fand (wie der arme Teufel, ſo oft er wieder nuͤchtern ward, behauptete) in dieſem unvernuͤnfti- gen Raſen ſeinen einzigen Troſt im Ungluͤck. Wolf- ram und Meewis warnten ihn oft; denn ſonſt war er noch vor Kurzem ein recht guter umgaͤngli- cher Burſche: „Kerl„! ſagten ſie dann zu ihm, „gewiß wirſt du noch ins Tollhaus wandern„. Dieſes war nicht weit von uns. Oft ſah’ ich dort einen Soldat vor dem Gegitter auf einem Baͤnkgen ſitzen, und fragte einſt Meevis, wer er waͤre? Denn ich hatte ihn nie bey der Compagnie geſehn: „Juſt ſo einer, wie der Mecklenburger„, ant- wortete Meewis; „darum hat man ihn hier ver- „ſorgt, wo er Anfangs bruͤllte wie ein ungarſcher „Stier. Aber ſeit etlichen Wochen ſoll er ſo ge- „ſchlacht wie ein Lamm ſeyn„. Dieſe Beſchreibung machte mich luͤſtern, den Menſchen naͤher kennen zu lernen. Er war ein Anſpacher. Anfangs gieng ich nur ſo wie verſtohlen bey ihm hin und wieder, ſah mit wehmuͤthigem Vergnuͤgen, wie er ſeinen Blick bald zum Himmel gerichtet, bald auf den Bo- den geheftet, melancholiſch da ſaß, bisweilen aber ganz vor ſich ſanft laͤchelte, und uͤbrigens meiner nicht zu achten ſchien. Schon aus ſeiner Phyſiogno-
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hatte, ſetzte er ſich in der Abenddaͤmmerung vor’s
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lein; ſchimpfte auf ſeine Offiziere, und ſogar auf
den Koͤnig, wuͤnſchte Berlin und allen Brandenbur-
gern tauſend Millionen Schwernoth auf den Hals,
und fand (wie der arme Teufel, ſo oft er wieder
nuͤchtern ward, behauptete) in dieſem unvernuͤnfti-
gen Raſen ſeinen einzigen Troſt im Ungluͤck. Wolf-
ram und Meewis warnten ihn oft; denn ſonſt
war er noch vor Kurzem ein recht guter umgaͤngli-
cher Burſche: „Kerl„! ſagten ſie dann zu ihm,
„gewiß wirſt du noch ins Tollhaus wandern„.
Dieſes war nicht weit von uns. Oft ſah’ ich dort
einen Soldat vor dem Gegitter auf einem Baͤnkgen
ſitzen, und fragte einſt Meevis, wer er waͤre?
Denn ich hatte ihn nie bey der Compagnie geſehn:
„Juſt ſo einer, wie der Mecklenburger„, ant-
wortete Meewis; „darum hat man ihn hier ver-
„ſorgt, wo er Anfangs bruͤllte wie ein ungarſcher
„Stier. Aber ſeit etlichen Wochen ſoll er ſo ge-
„ſchlacht wie ein Lamm ſeyn„. Dieſe Beſchreibung
machte mich luͤſtern, den Menſchen naͤher kennen zu
lernen. Er war ein Anſpacher. Anfangs gieng
ich nur ſo wie verſtohlen bey ihm hin und wieder,
ſah mit wehmuͤthigem Vergnuͤgen, wie er ſeinen
Blick bald zum Himmel gerichtet, bald auf den Bo-
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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/152>, abgerufen am 23.11.2024.
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