ließ ich's den argen Unglücksboten nicht merken: "Eh' "nun" sagt' ich, "hin ist hin"! Und in der That, zu meinem größten Erstaunen faßt' ich mich sehr bald, und dachte wirklich: "Nun freylich, das hätt' ich nicht "hinter ihr gesucht! Aber, wenn's so seyn muß, so "sey's, und hab' sie eben ihren Michel"! Dann eilt' ich unserm Wohnort zu. Es war ein schöner Herbstabend. Als ich in die Stube trat, (Vater und Mutter waren nicht zu Hause) merkt' ich bald, daß auch nicht eines von meinen Geschwisterten mich erkannte, und sie über dem ungewohnten Speckta- ckel eines Preußischen Soldaten nicht wenig er- schracken, der so in seiner vollen Montirung, den Dornister auf dem Rücken, mit 'runter gelaßnem Zottenhut und einem tüchtigen Schnurrbart sie an- redte. Die Kleinern zitterten; der größte griff nach einer Heugabel, und -- lief davon. Hinwieder wollt' auch ich mich nicht zu erkennen geben, bis meine Eltern da wären. Endlich kam die Mutter. Ich sprach sie um Nachtherberg an. Sie hatte viele Be- denklichkeiten; der Mann sey nicht da, u. d. gl. Län- ger konnt' ich mich nicht halten, ergriff ihre Hand, und sagte: "Mutter, Mutter! kennst mich nicht "mehr"? O da gieng's zuerst an ein lermendes, von Zeit zu Zeit mit Thränen vermengtes Freuden- geschrey von Kleinen und Grossen, dann an ein Be- willkommen, Betasten und Begucken, Fragen und Antworten, daß es eine Tausendslust war. Jedes sagte, was es gethan und gerathen, um mich wieder bey ihnen zu haben. So wollte z. E. meine älteste
ließ ich’s den argen Ungluͤcksboten nicht merken: „Eh’ „nun„ ſagt’ ich, „hin iſt hin„! Und in der That, zu meinem groͤßten Erſtaunen faßt’ ich mich ſehr bald, und dachte wirklich: „Nun freylich, das haͤtt’ ich nicht „hinter ihr geſucht! Aber, wenn’s ſo ſeyn muß, ſo „ſey’s, und hab’ ſie eben ihren Michel„! Dann eilt’ ich unſerm Wohnort zu. Es war ein ſchoͤner Herbſtabend. Als ich in die Stube trat, (Vater und Mutter waren nicht zu Hauſe) merkt’ ich bald, daß auch nicht eines von meinen Geſchwiſterten mich erkannte, und ſie uͤber dem ungewohnten Speckta- ckel eines Preußiſchen Soldaten nicht wenig er- ſchracken, der ſo in ſeiner vollen Montirung, den Dorniſter auf dem Ruͤcken, mit ’runter gelaßnem Zottenhut und einem tuͤchtigen Schnurrbart ſie an- redte. Die Kleinern zitterten; der groͤßte griff nach einer Heugabel, und — lief davon. Hinwieder wollt’ auch ich mich nicht zu erkennen geben, bis meine Eltern da waͤren. Endlich kam die Mutter. Ich ſprach ſie um Nachtherberg an. Sie hatte viele Be- denklichkeiten; der Mann ſey nicht da, u. d. gl. Laͤn- ger konnt’ ich mich nicht halten, ergriff ihre Hand, und ſagte: „Mutter, Mutter! kennſt mich nicht „mehr„? O da gieng’s zuerſt an ein lermendes, von Zeit zu Zeit mit Thraͤnen vermengtes Freuden- geſchrey von Kleinen und Groſſen, dann an ein Be- willkommen, Betaſten und Begucken, Fragen und Antworten, daß es eine Tauſendsluſt war. Jedes ſagte, was es gethan und gerathen, um mich wieder bey ihnen zu haben. So wollte z. E. meine aͤlteſte
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ließ ich’s den argen Ungluͤcksboten nicht merken: „Eh’
„nun„ ſagt’ ich, „hin iſt hin„! Und in der That,
zu meinem groͤßten Erſtaunen faßt’ ich mich ſehr bald,
und dachte wirklich: „Nun freylich, das haͤtt’ ich nicht
„hinter ihr geſucht! Aber, wenn’s ſo ſeyn muß, ſo
„ſey’s, und hab’ ſie eben ihren Michel„! Dann
eilt’ ich unſerm Wohnort zu. Es war ein ſchoͤner
Herbſtabend. Als ich in die Stube trat, (Vater
und Mutter waren nicht zu Hauſe) merkt’ ich bald,
daß auch nicht eines von meinen Geſchwiſterten mich
erkannte, und ſie uͤber dem ungewohnten Speckta-
ckel eines Preußiſchen Soldaten nicht wenig er-
ſchracken, der ſo in ſeiner vollen Montirung, den
Dorniſter auf dem Ruͤcken, mit ’runter gelaßnem
Zottenhut und einem tuͤchtigen Schnurrbart ſie an-
redte. Die Kleinern zitterten; der groͤßte griff nach
einer Heugabel, und — lief davon. Hinwieder wollt’
auch ich mich nicht zu erkennen geben, bis meine
Eltern da waͤren. Endlich kam die Mutter. Ich
ſprach ſie um Nachtherberg an. Sie hatte viele Be-
denklichkeiten; der Mann ſey nicht da, u. d. gl. Laͤn-
ger konnt’ ich mich nicht halten, ergriff ihre Hand,
und ſagte: „Mutter, Mutter! kennſt mich nicht
„mehr„? O da gieng’s zuerſt an ein lermendes,
von Zeit zu Zeit mit Thraͤnen vermengtes Freuden-
geſchrey von Kleinen und Groſſen, dann an ein Be-
willkommen, Betaſten und Begucken, Fragen und
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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/181>, abgerufen am 26.11.2024.
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