lachte im Herzen des dummen Lerms; um so viel mehr da mein Vater solider zu Werk gieng, mich zwar freundernstlich examinierte, aber mir dann auch auf mein Wort glaubte, da ich ihm sagte, daß ich so steif und fest auf meinem Bekenntniß leben und sterben wollte als Lutherus, oder unsre Landskraft, Zwinglin. Inzwischen wurde die Sache doch auf Marianchens Seite ernsthafter als ich glaubte. Das gute Kind ward so vernarrt in mich wie ein Kätzgen, und befeuchtete mich oft mit seinen Thrä- nen. Ich glaube, daß Närrchen wär' mit mir ans End der Welt gelaufen; und wenn ihm schon sein mütterlicher Glaube sehr ans Herz gewachsen war, meint' ich doch fast, ich hätt' in der Waagschal' über- wogen. Auch setzte mir itzt das Mitleid fast mehr zu, als je zuvor die Liebe. Und doch mußt' ich, wenn ich alles und alles überdachte, durchaus all- mählich abbrechen; und that es wirklich. Hier falle eine mitleidige Thräne auf das Grab dieses armen Töchtergens! Es zehrte sich nach und nach ab, und starb nach wenig Monathen im Frühling seines zar- ten Lebens. Gott verzeihe mir meine grosse schwere Sünde, wenn ich je an diesem Tod einige Schuld trug. Und wie sollt' ich mir dieß verbergen wollen?
lachte im Herzen des dummen Lerms; um ſo viel mehr da mein Vater ſolider zu Werk gieng, mich zwar freundernſtlich examinierte, aber mir dann auch auf mein Wort glaubte, da ich ihm ſagte, daß ich ſo ſteif und feſt auf meinem Bekenntniß leben und ſterben wollte als Lutherus, oder unſre Landskraft, Zwinglin. Inzwiſchen wurde die Sache doch auf Marianchens Seite ernſthafter als ich glaubte. Das gute Kind ward ſo vernarrt in mich wie ein Kaͤtzgen, und befeuchtete mich oft mit ſeinen Thraͤ- nen. Ich glaube, daß Naͤrrchen waͤr’ mit mir ans End der Welt gelaufen; und wenn ihm ſchon ſein muͤtterlicher Glaube ſehr ans Herz gewachſen war, meint’ ich doch faſt, ich haͤtt’ in der Waagſchal’ uͤber- wogen. Auch ſetzte mir itzt das Mitleid faſt mehr zu, als je zuvor die Liebe. Und doch mußt’ ich, wenn ich alles und alles uͤberdachte, durchaus all- maͤhlich abbrechen; und that es wirklich. Hier falle eine mitleidige Thraͤne auf das Grab dieſes armen Toͤchtergens! Es zehrte ſich nach und nach ab, und ſtarb nach wenig Monathen im Fruͤhling ſeines zar- ten Lebens. Gott verzeihe mir meine groſſe ſchwere Suͤnde, wenn ich je an dieſem Tod einige Schuld trug. Und wie ſollt’ ich mir dieß verbergen wollen?
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lachte im Herzen des dummen Lerms; um ſo viel
mehr da mein Vater ſolider zu Werk gieng, mich
zwar freundernſtlich examinierte, aber mir dann auch
auf mein Wort glaubte, da ich ihm ſagte, daß ich
ſo ſteif und feſt auf meinem Bekenntniß leben und
ſterben wollte als Lutherus, oder unſre Landskraft,
Zwinglin. Inzwiſchen wurde die Sache doch auf
Marianchens Seite ernſthafter als ich glaubte.
Das gute Kind ward ſo vernarrt in mich wie ein
Kaͤtzgen, und befeuchtete mich oft mit ſeinen Thraͤ-
nen. Ich glaube, daß Naͤrrchen waͤr’ mit mir ans
End der Welt gelaufen; und wenn ihm ſchon ſein
muͤtterlicher Glaube ſehr ans Herz gewachſen war,
meint’ ich doch faſt, ich haͤtt’ in der Waagſchal’ uͤber-
wogen. Auch ſetzte mir itzt das Mitleid faſt mehr
zu, als je zuvor die Liebe. Und doch mußt’ ich,
wenn ich alles und alles uͤberdachte, durchaus all-
maͤhlich abbrechen; und that es wirklich. Hier falle
eine mitleidige Thraͤne auf das Grab dieſes armen
Toͤchtergens! Es zehrte ſich nach und nach ab, und
ſtarb nach wenig Monathen im Fruͤhling ſeines zar-
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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/187>, abgerufen am 25.11.2024.
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