Das Jahr 1762. war mir befonders um des 26. Merzens und 10. Sept. willen merkwürdig. An dem er- stern starb nämlich mein geliebter Vater eines schnellen und gewaltsamen Todes, den ich lange nicht verschmer- zen konnte. Er gieng am Morgen in den Wald, etwas Holz zu suchen. Gegen Abend kam Schwester Anne Marie mit Thränen in den Augen zu mir, und sagte: Der Aeti sey in aller Frühe fort, und noch nicht heimgekommen; sie fürchten alle, es sey ihm was Böses begegnet; ich soll doch fort, und ihn su- chen. Sein Hündlein sey etlichemal heimgekommen, und dann wieder weggelaufen. Mir gieng ein Stich durch Mark und Bein. Ich rannte in aller Eil dem Gehölze zu; das Hündlein trabte vor mir her, und führte mich gerade zu dem vermißten Vater. Er saß neben seinem Schlitten, an ein Tännchen ge- lehnt, die Lederkappe auf der Schooß, und die Au- gen sperroffen. Ich glaubte, er sehe mich starr an. Ich rief: Vater, Vater! Aber keine Antwort. Seine Seele war ausgefahren; gestabet und kalt waren seine lieben Hände, und ein Ermel hieng von sei- nem Futterhemd herunter, den er mag ausgeris- sen haben, als er mit dem Tode rang. Voll Angst und Verwirrung fieng ich ein Zettergeschrey an, welches in Kurzem alle meine Geschwister herbey- brachte. Eins nach dem andern legte sich auf den
LXIV. Tod und Leben.
Das Jahr 1762. war mir befonders um des 26. Merzens und 10. Sept. willen merkwuͤrdig. An dem er- ſtern ſtarb naͤmlich mein geliebter Vater eines ſchnellen und gewaltſamen Todes, den ich lange nicht verſchmer- zen konnte. Er gieng am Morgen in den Wald, etwas Holz zu ſuchen. Gegen Abend kam Schweſter Anne Marie mit Thraͤnen in den Augen zu mir, und ſagte: Der Aeti ſey in aller Fruͤhe fort, und noch nicht heimgekommen; ſie fuͤrchten alle, es ſey ihm was Boͤſes begegnet; ich ſoll doch fort, und ihn ſu- chen. Sein Huͤndlein ſey etlichemal heimgekommen, und dann wieder weggelaufen. Mir gieng ein Stich durch Mark und Bein. Ich rannte in aller Eil dem Gehoͤlze zu; das Huͤndlein trabte vor mir her, und fuͤhrte mich gerade zu dem vermißten Vater. Er ſaß neben ſeinem Schlitten, an ein Taͤnnchen ge- lehnt, die Lederkappe auf der Schooß, und die Au- gen ſperroffen. Ich glaubte, er ſehe mich ſtarr an. Ich rief: Vater, Vater! Aber keine Antwort. Seine Seele war ausgefahren; geſtabet und kalt waren ſeine lieben Haͤnde, und ein Ermel hieng von ſei- nem Futterhemd herunter, den er mag ausgeriſ- ſen haben, als er mit dem Tode rang. Voll Angſt und Verwirrung fieng ich ein Zettergeſchrey an, welches in Kurzem alle meine Geſchwiſter herbey- brachte. Eins nach dem andern legte ſich auf den
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LXIV.
Tod und Leben.
Das Jahr 1762. war mir befonders um des 26.
Merzens und 10. Sept. willen merkwuͤrdig. An dem er-
ſtern ſtarb naͤmlich mein geliebter Vater eines ſchnellen
und gewaltſamen Todes, den ich lange nicht verſchmer-
zen konnte. Er gieng am Morgen in den Wald, etwas
Holz zu ſuchen. Gegen Abend kam Schweſter Anne
Marie mit Thraͤnen in den Augen zu mir, und
ſagte: Der Aeti ſey in aller Fruͤhe fort, und noch
nicht heimgekommen; ſie fuͤrchten alle, es ſey ihm
was Boͤſes begegnet; ich ſoll doch fort, und ihn ſu-
chen. Sein Huͤndlein ſey etlichemal heimgekommen,
und dann wieder weggelaufen. Mir gieng ein Stich
durch Mark und Bein. Ich rannte in aller Eil
dem Gehoͤlze zu; das Huͤndlein trabte vor mir her,
und fuͤhrte mich gerade zu dem vermißten Vater.
Er ſaß neben ſeinem Schlitten, an ein Taͤnnchen ge-
lehnt, die Lederkappe auf der Schooß, und die Au-
gen ſperroffen. Ich glaubte, er ſehe mich ſtarr an. Ich
rief: Vater, Vater! Aber keine Antwort. Seine
Seele war ausgefahren; geſtabet und kalt waren
ſeine lieben Haͤnde, und ein Ermel hieng von ſei-
nem Futterhemd herunter, den er mag ausgeriſ-
ſen haben, als er mit dem Tode rang. Voll Angſt
und Verwirrung fieng ich ein Zettergeſchrey an,
welches in Kurzem alle meine Geſchwiſter herbey-
brachte. Eins nach dem andern legte ſich auf den
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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/200>, abgerufen am 24.11.2024.
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