Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789.

Bild:
<< vorherige Seite

ger; ich hatte ebenfalls eine Anfoderung an ihn, und
war selber bey dem Auffallsact gegenwärtig; freylich
mehr ihm zum Beystande, als um meiner Schuld
willen. O! was das vor ein erbärmliches Speckta-
kel ist, wenn einer so, wie ein armer Delinquent,
dastehn -- sein Schulden- und Sündenregister vor-
lesen hören -- so viele bittre, theils laute, theils
leise Vorwürfe in sich fressen -- sein Haus, seine
Mobilien, alles, bis auf ein armseliges Bett und
Gewand, um einen Spottpreiß verganten sehn --
das Geheul von Weib und Kindern hören, und zu
allem schweigen muß, wie eine Maus. O! wie fuhr's
mir da durch Mark und Bein! Und doch konnt' ich
weder rathen noch helfen -- nichts thun, als für mei-
ner Schwester Kinder zu beten -- und dazu im Her-
zen denken: "Auch du, auch du steckst eben so tief
"im Koth! Heut oder Morgens kann es, muß es
"dir eben so gehn, wenn's nicht bald anders wird.
"Und wie sollt' es anders werden? Oder, darf ich
"Thor auf ein Wunder hoffen? Nach dem natürli-
"chen Gang dei Dinge kann ich mich unmöglich er-
"holen. Vielleicht harren deine Gläubiger noch eine
"Weile; aber alle Augenblick' kann die Geduld ih-
"nen ausgehn. -- Doch, wer weiß? Der alte Gott
"lebt noch! Es wird nicht immer so währen. -- Aber
"ach! Und wenn's auch besser würde, so braucht' es
"Jahre lang, bis ich mich wieder erholen könnte.
"Und so lang werden meine Schuldherren mir ge-
"wiß nicht Zeit lassen. Ach mein Gott! Was soll
"ich anfangen? Keiner Seele darf ich mich vertrauen --

ger; ich hatte ebenfalls eine Anfoderung an ihn, und
war ſelber bey dem Auffallsact gegenwaͤrtig; freylich
mehr ihm zum Beyſtande, als um meiner Schuld
willen. O! was das vor ein erbaͤrmliches Speckta-
kel iſt, wenn einer ſo, wie ein armer Delinquent,
daſtehn — ſein Schulden- und Suͤndenregiſter vor-
leſen hoͤren — ſo viele bittre, theils laute, theils
leiſe Vorwuͤrfe in ſich freſſen — ſein Haus, ſeine
Mobilien, alles, bis auf ein armſeliges Bett und
Gewand, um einen Spottpreiß verganten ſehn —
das Geheul von Weib und Kindern hoͤren, und zu
allem ſchweigen muß, wie eine Maus. O! wie fuhr’s
mir da durch Mark und Bein! Und doch konnt’ ich
weder rathen noch helfen — nichts thun, als fuͤr mei-
ner Schweſter Kinder zu beten — und dazu im Her-
zen denken: „Auch du, auch du ſteckſt eben ſo tief
„im Koth! Heut oder Morgens kann es, muß es
„dir eben ſo gehn, wenn’s nicht bald anders wird.
„Und wie ſollt’ es anders werden? Oder, darf ich
„Thor auf ein Wunder hoffen? Nach dem natuͤrli-
„chen Gang dei Dinge kann ich mich unmoͤglich er-
„holen. Vielleicht harren deine Glaͤubiger noch eine
„Weile; aber alle Augenblick’ kann die Geduld ih-
„nen ausgehn. — Doch, wer weiß? Der alte Gott
„lebt noch! Es wird nicht immer ſo waͤhren. — Aber
„ach! Und wenn’s auch beſſer wuͤrde, ſo braucht’ es
„Jahre lang, bis ich mich wieder erholen koͤnnte.
„Und ſo lang werden meine Schuldherren mir ge-
„wiß nicht Zeit laſſen. Ach mein Gott! Was ſoll
„ich anfangen? Keiner Seele darf ich mich vertrauen —

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0215" n="199"/>
ger; ich hatte ebenfalls eine Anfoderung an ihn, und<lb/>
war &#x017F;elber bey dem Auffallsact gegenwa&#x0364;rtig; freylich<lb/>
mehr ihm zum Bey&#x017F;tande, als um meiner Schuld<lb/>
willen. O! was das vor ein erba&#x0364;rmliches Speckta-<lb/>
kel i&#x017F;t, wenn einer &#x017F;o, wie ein armer Delinquent,<lb/>
da&#x017F;tehn &#x2014; &#x017F;ein Schulden- und Su&#x0364;ndenregi&#x017F;ter vor-<lb/>
le&#x017F;en ho&#x0364;ren &#x2014; &#x017F;o viele bittre, theils laute, theils<lb/>
lei&#x017F;e Vorwu&#x0364;rfe in &#x017F;ich fre&#x017F;&#x017F;en &#x2014; &#x017F;ein Haus, &#x017F;eine<lb/>
Mobilien, alles, bis auf ein arm&#x017F;eliges Bett und<lb/>
Gewand, um einen Spottpreiß verganten &#x017F;ehn &#x2014;<lb/>
das Geheul von Weib und Kindern ho&#x0364;ren, und zu<lb/>
allem &#x017F;chweigen muß, wie eine Maus. O! wie fuhr&#x2019;s<lb/>
mir da durch Mark und Bein! Und doch konnt&#x2019; ich<lb/>
weder rathen noch helfen &#x2014; nichts thun, als fu&#x0364;r mei-<lb/>
ner Schwe&#x017F;ter Kinder zu beten &#x2014; und dazu im Her-<lb/>
zen denken: &#x201E;Auch du, auch du &#x017F;teck&#x017F;t eben &#x017F;o tief<lb/>
&#x201E;im Koth! Heut oder Morgens kann es, muß es<lb/>
&#x201E;dir eben &#x017F;o gehn, wenn&#x2019;s nicht bald anders wird.<lb/>
&#x201E;Und wie &#x017F;ollt&#x2019; es anders werden? Oder, darf ich<lb/>
&#x201E;Thor auf ein Wunder hoffen? Nach dem natu&#x0364;rli-<lb/>
&#x201E;chen Gang dei Dinge kann ich mich <choice><sic>nn</sic><corr>un</corr></choice>mo&#x0364;glich er-<lb/>
&#x201E;holen. Vielleicht harren deine Gla&#x0364;ubiger noch eine<lb/>
&#x201E;Weile; aber alle Augenblick&#x2019; kann die Geduld ih-<lb/>
&#x201E;nen ausgehn. &#x2014; Doch, wer weiß? Der alte Gott<lb/>
&#x201E;lebt noch! Es wird nicht immer &#x017F;o wa&#x0364;hren. &#x2014; Aber<lb/>
&#x201E;ach! Und wenn&#x2019;s auch be&#x017F;&#x017F;er wu&#x0364;rde, &#x017F;o braucht&#x2019; es<lb/>
&#x201E;Jahre lang, bis ich mich wieder erholen ko&#x0364;nnte.<lb/>
&#x201E;Und &#x017F;o lang werden meine Schuldherren mir ge-<lb/>
&#x201E;wiß nicht Zeit la&#x017F;&#x017F;en. Ach mein Gott! Was &#x017F;oll<lb/>
&#x201E;ich anfangen? Keiner Seele darf ich mich vertrauen &#x2014;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[199/0215] ger; ich hatte ebenfalls eine Anfoderung an ihn, und war ſelber bey dem Auffallsact gegenwaͤrtig; freylich mehr ihm zum Beyſtande, als um meiner Schuld willen. O! was das vor ein erbaͤrmliches Speckta- kel iſt, wenn einer ſo, wie ein armer Delinquent, daſtehn — ſein Schulden- und Suͤndenregiſter vor- leſen hoͤren — ſo viele bittre, theils laute, theils leiſe Vorwuͤrfe in ſich freſſen — ſein Haus, ſeine Mobilien, alles, bis auf ein armſeliges Bett und Gewand, um einen Spottpreiß verganten ſehn — das Geheul von Weib und Kindern hoͤren, und zu allem ſchweigen muß, wie eine Maus. O! wie fuhr’s mir da durch Mark und Bein! Und doch konnt’ ich weder rathen noch helfen — nichts thun, als fuͤr mei- ner Schweſter Kinder zu beten — und dazu im Her- zen denken: „Auch du, auch du ſteckſt eben ſo tief „im Koth! Heut oder Morgens kann es, muß es „dir eben ſo gehn, wenn’s nicht bald anders wird. „Und wie ſollt’ es anders werden? Oder, darf ich „Thor auf ein Wunder hoffen? Nach dem natuͤrli- „chen Gang dei Dinge kann ich mich unmoͤglich er- „holen. Vielleicht harren deine Glaͤubiger noch eine „Weile; aber alle Augenblick’ kann die Geduld ih- „nen ausgehn. — Doch, wer weiß? Der alte Gott „lebt noch! Es wird nicht immer ſo waͤhren. — Aber „ach! Und wenn’s auch beſſer wuͤrde, ſo braucht’ es „Jahre lang, bis ich mich wieder erholen koͤnnte. „Und ſo lang werden meine Schuldherren mir ge- „wiß nicht Zeit laſſen. Ach mein Gott! Was ſoll „ich anfangen? Keiner Seele darf ich mich vertrauen —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/215
Zitationshilfe: Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/215>, abgerufen am 24.11.2024.