ich mich mit Lesen eines guten Buchs beruhigen; und auch das gelang mir nicht. Ich gieng also zu Bet- te, wälzte mich bis um Mitternacht auf meinem Küssen herum, und ließ meine Gedanken weit und breit durch die ganze Welt gehn. Bald kam mir da auch der Sinn an meinen lieben seligen Vater: "Auch "dein Leben, du guter Mann", dacht' ich, "gieng, "so wie das meine, unter lauter Kummer und Sor- "gen hin, die ich, Ach! dir nicht wenig vergrösser- "te, da ich so wenig Antheil an deiner Last genom- "men. -- Vielleicht ruht gar dein geheimer Fluch "auf mir? -- O entsetzlich! -- Nun, wie es im- "mer sey, einmal muß ein Entschluß genommen "seyn: Entweder meinem elenden Leben -- -- Nein! "Gott! Nein! Das steht in deiner Hand. -- Oder "mich meinen Gläubigern auf Gnad' und Ungnad' "hin zu Füssen zu werfen. Aber Nein! o wie hart! "Das kann ich unmöglich. -- Oder ja mich entfer- "nen, davonlaufen so weit der Himmel blau ist. "Ach! meine Kinder! Da würd' mir das Herz bre- "chen". -- Während diesen Fantasten fiel mir der menschenfreundliche Lavater ein; augenblicklich ent- schloß ich mich an ihn zu schreiben, stuhnd sofort auf, und entwarf folgenden Brief, den ich zum Denkmal meiner damaligen Lage hier beyrücke.
ich mich mit Leſen eines guten Buchs beruhigen; und auch das gelang mir nicht. Ich gieng alſo zu Bet- te, waͤlzte mich bis um Mitternacht auf meinem Kuͤſſen herum, und ließ meine Gedanken weit und breit durch die ganze Welt gehn. Bald kam mir da auch der Sinn an meinen lieben ſeligen Vater: „Auch „dein Leben, du guter Mann„, dacht’ ich, „gieng, „ſo wie das meine, unter lauter Kummer und Sor- „gen hin, die ich, Ach! dir nicht wenig vergroͤſſer- „te, da ich ſo wenig Antheil an deiner Laſt genom- „men. — Vielleicht ruht gar dein geheimer Fluch „auf mir? — O entſetzlich! — Nun, wie es im- „mer ſey, einmal muß ein Entſchluß genommen „ſeyn: Entweder meinem elenden Leben -- -- Nein! „Gott! Nein! Das ſteht in deiner Hand. -- Oder „mich meinen Glaͤubigern auf Gnad’ und Ungnad’ „hin zu Fuͤſſen zu werfen. Aber Nein! o wie hart! „Das kann ich unmoͤglich. -- Oder ja mich entfer- „nen, davonlaufen ſo weit der Himmel blau iſt. „Ach! meine Kinder! Da wuͤrd’ mir das Herz bre- „chen„. -- Waͤhrend dieſen Fantaſten fiel mir der menſchenfreundliche Lavater ein; augenblicklich ent- ſchloß ich mich an ihn zu ſchreiben, ſtuhnd ſofort auf, und entwarf folgenden Brief, den ich zum Denkmal meiner damaligen Lage hier beyruͤcke.
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ich mich mit Leſen eines guten Buchs beruhigen; und
auch das gelang mir nicht. Ich gieng alſo zu Bet-
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Kuͤſſen herum, und ließ meine Gedanken weit und
breit durch die ganze Welt gehn. Bald kam mir da auch
der Sinn an meinen lieben ſeligen Vater: „Auch
„dein Leben, du guter Mann„, dacht’ ich, „gieng,
„ſo wie das meine, unter lauter Kummer und Sor-
„gen hin, die ich, Ach! dir nicht wenig vergroͤſſer-
„te, da ich ſo wenig Antheil an deiner Laſt genom-
„men. — Vielleicht ruht gar dein geheimer Fluch
„auf mir? — O entſetzlich! — Nun, wie es im-
„mer ſey, einmal muß ein Entſchluß genommen
„ſeyn: Entweder meinem elenden Leben -- -- Nein!
„Gott! Nein! Das ſteht in deiner Hand. -- Oder
„mich meinen Glaͤubigern auf Gnad’ und Ungnad’
„hin zu Fuͤſſen zu werfen. Aber Nein! o wie hart!
„Das kann ich unmoͤglich. -- Oder ja mich entfer-
„nen, davonlaufen ſo weit der Himmel blau iſt.
„Ach! meine Kinder! Da wuͤrd’ mir das Herz bre-
„chen„. -- Waͤhrend dieſen Fantaſten fiel mir der
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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/234>, abgerufen am 21.11.2024.
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