Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789.

Bild:
<< vorherige Seite

Dreyer, und einen armseligen Soldatenrock auf dem
Leib in meine Heimath brachte Nun mußt' ich wie-
der als Taglöhner mein Brodt suchen; das kam mich
freylich sauer genug an. In meinem sechs und zwan-
zigsten heurathete ich ein Mädchen mit hundert Tha-
lern. Damit glaubt' ich schon ein reicher Mann zu
seyn, dachte itzt an leichtere Arbeit mit aufrechtem
Rücken, und fieng, auf Anrathen meiner Braut, ei-
nen Baumwollen- und Garngewerb an, ohne daß ich
das geringste von diesem Handwerk verstuhnd. An-
fangs fand ich Credit, baute ein eigenes Häuschen,
und vertiefte mich unvermerkt in Schulden. Indes-
sen verschaffte mir doch mein kleines Händelchen einen
etwelchen Unterhalt; aber bösartige Leuthe betrogen
mich immer um Waare und Geld, und die Haus-
haltung mehrte sich von Jahr zu Jahre, so daß Ein-
nahm' und Ausgabe sich immer wettauf frassen.
Dann dacht' ich: Wenn einst meine Jungen grösser
sind, wird's schon besser kommen! Aber ich betrog
mich in dieser Hoffnung. Mittlerweile überfielen
mich die hungrigen Siebenziger-Jahre, als ich oh-
nedem schon in Schulden steckte. Ich hatte itzt fünf
Kinder, und wehrte mich wie die Katz' am Strick.
Das Herz brach mir, wenn ich so meine Jungen
nach Brodt schreyen hörte. Dann noch meine arme
Mutter und Geschwister! Von meinen Debitoren
nahm die und da einer den Reißaus; andre starben,
und liessen mich die Glocken zahlen; Ich hingegen
wurde von etlichen meiner Gläubiger scharf gespornt;
mit meinem Handel gieng's täglich schlechter. Itzt

Dreyer, und einen armſeligen Soldatenrock auf dem
Leib in meine Heimath brachte Nun mußt’ ich wie-
der als Tagloͤhner mein Brodt ſuchen; das kam mich
freylich ſauer genug an. In meinem ſechs und zwan-
zigſten heurathete ich ein Maͤdchen mit hundert Tha-
lern. Damit glaubt’ ich ſchon ein reicher Mann zu
ſeyn, dachte itzt an leichtere Arbeit mit aufrechtem
Ruͤcken, und fieng, auf Anrathen meiner Braut, ei-
nen Baumwollen- und Garngewerb an, ohne daß ich
das geringſte von dieſem Handwerk verſtuhnd. An-
fangs fand ich Credit, baute ein eigenes Haͤuschen,
und vertiefte mich unvermerkt in Schulden. Indeſ-
ſen verſchaffte mir doch mein kleines Haͤndelchen einen
etwelchen Unterhalt; aber boͤsartige Leuthe betrogen
mich immer um Waare und Geld, und die Haus-
haltung mehrte ſich von Jahr zu Jahre, ſo daß Ein-
nahm’ und Ausgabe ſich immer wettauf fraſſen.
Dann dacht’ ich: Wenn einſt meine Jungen groͤſſer
ſind, wird’s ſchon beſſer kommen! Aber ich betrog
mich in dieſer Hoffnung. Mittlerweile uͤberfielen
mich die hungrigen Siebenziger-Jahre, als ich oh-
nedem ſchon in Schulden ſteckte. Ich hatte itzt fuͤnf
Kinder, und wehrte mich wie die Katz’ am Strick.
Das Herz brach mir, wenn ich ſo meine Jungen
nach Brodt ſchreyen hoͤrte. Dann noch meine arme
Mutter und Geſchwiſter! Von meinen Debitoren
nahm die und da einer den Reißaus; andre ſtarben,
und lieſſen mich die Glocken zahlen; Ich hingegen
wurde von etlichen meiner Glaͤubiger ſcharf geſpornt;
mit meinem Handel gieng’s taͤglich ſchlechter. Itzt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0237" n="221"/>
Dreyer, und einen arm&#x017F;eligen Soldatenrock auf dem<lb/>
Leib in meine Heimath brachte Nun mußt&#x2019; ich wie-<lb/>
der als Taglo&#x0364;hner mein Brodt &#x017F;uchen; das kam mich<lb/>
freylich &#x017F;auer genug an. In meinem &#x017F;echs und zwan-<lb/>
zig&#x017F;ten heurathete ich ein Ma&#x0364;dchen mit hundert Tha-<lb/>
lern. Damit glaubt&#x2019; ich &#x017F;chon ein reicher Mann zu<lb/>
&#x017F;eyn, dachte itzt an leichtere Arbeit mit aufrechtem<lb/>
Ru&#x0364;cken, und fieng, auf Anrathen meiner Braut, ei-<lb/>
nen Baumwollen- und Garngewerb an, ohne daß ich<lb/>
das gering&#x017F;te von die&#x017F;em Handwerk ver&#x017F;tuhnd. An-<lb/>
fangs fand ich Credit, baute ein eigenes Ha&#x0364;uschen,<lb/>
und vertiefte mich unvermerkt in Schulden. Inde&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en ver&#x017F;chaffte mir doch mein kleines Ha&#x0364;ndelchen einen<lb/>
etwelchen Unterhalt; aber bo&#x0364;sartige Leuthe betrogen<lb/>
mich immer um Waare und Geld, und die Haus-<lb/>
haltung mehrte &#x017F;ich von Jahr zu Jahre, &#x017F;o daß Ein-<lb/>
nahm&#x2019; und Ausgabe &#x017F;ich immer wettauf fra&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Dann dacht&#x2019; ich: Wenn ein&#x017F;t meine Jungen gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;er<lb/>
&#x017F;ind, wird&#x2019;s &#x017F;chon be&#x017F;&#x017F;er kommen! Aber ich betrog<lb/>
mich in die&#x017F;er Hoffnung. Mittlerweile u&#x0364;berfielen<lb/>
mich die hungrigen Siebenziger-Jahre, als ich oh-<lb/>
nedem &#x017F;chon in Schulden &#x017F;teckte. Ich hatte itzt fu&#x0364;nf<lb/>
Kinder, und wehrte mich wie die Katz&#x2019; am Strick.<lb/>
Das Herz brach mir, wenn ich &#x017F;o meine Jungen<lb/>
nach Brodt &#x017F;chreyen ho&#x0364;rte. Dann noch meine arme<lb/>
Mutter und Ge&#x017F;chwi&#x017F;ter! Von meinen Debitoren<lb/>
nahm die und da einer den Reißaus; andre &#x017F;tarben,<lb/>
und lie&#x017F;&#x017F;en mich die Glocken zahlen; Ich hingegen<lb/>
wurde von etlichen meiner Gla&#x0364;ubiger &#x017F;charf ge&#x017F;pornt;<lb/>
mit meinem Handel gieng&#x2019;s ta&#x0364;glich &#x017F;chlechter. Itzt<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[221/0237] Dreyer, und einen armſeligen Soldatenrock auf dem Leib in meine Heimath brachte Nun mußt’ ich wie- der als Tagloͤhner mein Brodt ſuchen; das kam mich freylich ſauer genug an. In meinem ſechs und zwan- zigſten heurathete ich ein Maͤdchen mit hundert Tha- lern. Damit glaubt’ ich ſchon ein reicher Mann zu ſeyn, dachte itzt an leichtere Arbeit mit aufrechtem Ruͤcken, und fieng, auf Anrathen meiner Braut, ei- nen Baumwollen- und Garngewerb an, ohne daß ich das geringſte von dieſem Handwerk verſtuhnd. An- fangs fand ich Credit, baute ein eigenes Haͤuschen, und vertiefte mich unvermerkt in Schulden. Indeſ- ſen verſchaffte mir doch mein kleines Haͤndelchen einen etwelchen Unterhalt; aber boͤsartige Leuthe betrogen mich immer um Waare und Geld, und die Haus- haltung mehrte ſich von Jahr zu Jahre, ſo daß Ein- nahm’ und Ausgabe ſich immer wettauf fraſſen. Dann dacht’ ich: Wenn einſt meine Jungen groͤſſer ſind, wird’s ſchon beſſer kommen! Aber ich betrog mich in dieſer Hoffnung. Mittlerweile uͤberfielen mich die hungrigen Siebenziger-Jahre, als ich oh- nedem ſchon in Schulden ſteckte. Ich hatte itzt fuͤnf Kinder, und wehrte mich wie die Katz’ am Strick. Das Herz brach mir, wenn ich ſo meine Jungen nach Brodt ſchreyen hoͤrte. Dann noch meine arme Mutter und Geſchwiſter! Von meinen Debitoren nahm die und da einer den Reißaus; andre ſtarben, und lieſſen mich die Glocken zahlen; Ich hingegen wurde von etlichen meiner Glaͤubiger ſcharf geſpornt; mit meinem Handel gieng’s taͤglich ſchlechter. Itzt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/237
Zitationshilfe: Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/237>, abgerufen am 24.11.2024.