Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789.

Bild:
<< vorherige Seite

kömmt wahrscheinlich daher, daß diese Epoche meines
Daseyns mir unendlich weniger Vergnügen als mei-
ne jüngern Jahre gewährten, und darum auch weit
früher aus meinem Gedächtniß entwichen sind. So
viel weiß ich noch gar wohl: Daß, als ich auch im
Ehestand mich betrogen sah, und statt des Glücks,
das ich darinn zu finden mir eingebildet hatte, nur
auf einen Haufen ganz neuer unerwarteter Widerwär-
tigkeiten stieß, ich mich wieder aufs Grillenfängen
legte, und meine Berufsgeschäfte nur so maschienen-
mäßig, lästig und oft ganz verkehrt verrichtete, und
mein Geist, wie in einer andern Welt, immer in
Lüften schwebte; sich bald die Herrschaft über golde-
ne Berge, bald eine Robinsonsche Jusel, oder irgend
ein andres Schlauraffenland erträumte, u. s. f. Da
ich hiernächst um die nämliche Zeit anfieng, mich
aufs Lesen zu legen, und ich zuerst auf lauter mysti-
sches Zeug --- dann auf die Geschichte --- dann auf
die Philosophte --- und endlich gar auf die verwünsch-
ten Romanen fiel, schickte sich zwar alle dieß vortref-
lich in meine idealische Welt, machte mir aber den
Kopf nur noch verwirrter. Jeden Helden und Eben-
theurer alter und neuer Zeit macht' ich mir eigen,
lebte vollkommen in ihrer Lage, und bildete mir Um-
stände dazu und davon wie es mir beliebte. Die Ro-
manen hinwieder machten mich ganz unzufrieden mit
meinem eigenen Schicksal und den Geschäften meines
Berufes, und weckten mich aus meinen Träumen,
aber eben nur zu grösserm Verdruß auf. Bisweilen,
wenn ich denn so mürrisch war, sucht' ich mich durch

koͤmmt wahrſcheinlich daher, daß dieſe Epoche meines
Daſeyns mir unendlich weniger Vergnuͤgen als mei-
ne juͤngern Jahre gewaͤhrten, und darum auch weit
fruͤher aus meinem Gedaͤchtniß entwichen ſind. So
viel weiß ich noch gar wohl: Daß, als ich auch im
Eheſtand mich betrogen ſah, und ſtatt des Gluͤcks,
das ich darinn zu finden mir eingebildet hatte, nur
auf einen Haufen ganz neuer unerwarteter Widerwaͤr-
tigkeiten ſtieß, ich mich wieder aufs Grillenfaͤngen
legte, und meine Berufsgeſchaͤfte nur ſo maſchienen-
maͤßig, laͤſtig und oft ganz verkehrt verrichtete, und
mein Geiſt, wie in einer andern Welt, immer in
Luͤften ſchwebte; ſich bald die Herrſchaft uͤber golde-
ne Berge, bald eine Robinſonſche Juſel, oder irgend
ein andres Schlauraffenland ertraͤumte, u. ſ. f. Da
ich hiernaͤchſt um die naͤmliche Zeit anfieng, mich
aufs Leſen zu legen, und ich zuerſt auf lauter myſti-
ſches Zeug --- dann auf die Geſchichte --- dann auf
die Philoſophte --- und endlich gar auf die verwuͤnſch-
ten Romanen fiel, ſchickte ſich zwar alle dieß vortref-
lich in meine idealiſche Welt, machte mir aber den
Kopf nur noch verwirrter. Jeden Helden und Eben-
theurer alter und neuer Zeit macht’ ich mir eigen,
lebte vollkommen in ihrer Lage, und bildete mir Um-
ſtaͤnde dazu und davon wie es mir beliebte. Die Ro-
manen hinwieder machten mich ganz unzufrieden mit
meinem eigenen Schickſal und den Geſchaͤften meines
Berufes, und weckten mich aus meinen Traͤumen,
aber eben nur zu groͤſſerm Verdruß auf. Bisweilen,
wenn ich denn ſo muͤrriſch war, ſucht’ ich mich durch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0264" n="248"/>
ko&#x0364;mmt wahr&#x017F;cheinlich daher, daß die&#x017F;e Epoche meines<lb/>
Da&#x017F;eyns mir unendlich weniger Vergnu&#x0364;gen als mei-<lb/>
ne ju&#x0364;ngern Jahre gewa&#x0364;hrten, und darum auch weit<lb/>
fru&#x0364;her aus meinem Geda&#x0364;chtniß entwichen &#x017F;ind. So<lb/>
viel weiß ich noch gar wohl: Daß, als ich auch im<lb/>
Ehe&#x017F;tand mich betrogen &#x017F;ah, und &#x017F;tatt des Glu&#x0364;cks,<lb/>
das ich darinn zu finden mir eingebildet hatte, nur<lb/>
auf einen Haufen ganz neuer unerwarteter Widerwa&#x0364;r-<lb/>
tigkeiten &#x017F;tieß, ich mich wieder aufs Grillenfa&#x0364;ngen<lb/>
legte, und meine Berufsge&#x017F;cha&#x0364;fte nur &#x017F;o ma&#x017F;chienen-<lb/>
ma&#x0364;ßig, la&#x0364;&#x017F;tig und oft ganz verkehrt verrichtete, und<lb/>
mein Gei&#x017F;t, wie in einer andern Welt, immer in<lb/>
Lu&#x0364;ften &#x017F;chwebte; &#x017F;ich bald die Herr&#x017F;chaft u&#x0364;ber golde-<lb/>
ne Berge, bald eine Robin&#x017F;on&#x017F;che Ju&#x017F;el, oder irgend<lb/>
ein andres Schlauraffenland ertra&#x0364;umte, u. &#x017F;. f. Da<lb/>
ich hierna&#x0364;ch&#x017F;t um die na&#x0364;mliche Zeit anfieng, mich<lb/>
aufs Le&#x017F;en zu legen, und ich zuer&#x017F;t auf lauter my&#x017F;ti-<lb/>
&#x017F;ches Zeug --- dann auf die Ge&#x017F;chichte --- dann auf<lb/>
die Philo&#x017F;ophte --- und endlich gar auf die verwu&#x0364;n&#x017F;ch-<lb/>
ten Romanen fiel, &#x017F;chickte &#x017F;ich zwar alle dieß vortref-<lb/>
lich in meine ideali&#x017F;che Welt, machte mir aber den<lb/>
Kopf nur noch verwirrter. Jeden Helden und Eben-<lb/>
theurer alter und neuer Zeit macht&#x2019; ich mir eigen,<lb/>
lebte vollkommen in ihrer Lage, und bildete mir Um-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;nde dazu und davon wie es mir beliebte. Die Ro-<lb/>
manen hinwieder machten mich ganz unzufrieden mit<lb/>
meinem eigenen Schick&#x017F;al und den Ge&#x017F;cha&#x0364;ften meines<lb/>
Berufes, und weckten mich aus meinen Tra&#x0364;umen,<lb/>
aber eben nur zu gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;erm Verdruß auf. Bisweilen,<lb/>
wenn ich denn &#x017F;o mu&#x0364;rri&#x017F;ch war, &#x017F;ucht&#x2019; ich mich durch<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[248/0264] koͤmmt wahrſcheinlich daher, daß dieſe Epoche meines Daſeyns mir unendlich weniger Vergnuͤgen als mei- ne juͤngern Jahre gewaͤhrten, und darum auch weit fruͤher aus meinem Gedaͤchtniß entwichen ſind. So viel weiß ich noch gar wohl: Daß, als ich auch im Eheſtand mich betrogen ſah, und ſtatt des Gluͤcks, das ich darinn zu finden mir eingebildet hatte, nur auf einen Haufen ganz neuer unerwarteter Widerwaͤr- tigkeiten ſtieß, ich mich wieder aufs Grillenfaͤngen legte, und meine Berufsgeſchaͤfte nur ſo maſchienen- maͤßig, laͤſtig und oft ganz verkehrt verrichtete, und mein Geiſt, wie in einer andern Welt, immer in Luͤften ſchwebte; ſich bald die Herrſchaft uͤber golde- ne Berge, bald eine Robinſonſche Juſel, oder irgend ein andres Schlauraffenland ertraͤumte, u. ſ. f. Da ich hiernaͤchſt um die naͤmliche Zeit anfieng, mich aufs Leſen zu legen, und ich zuerſt auf lauter myſti- ſches Zeug --- dann auf die Geſchichte --- dann auf die Philoſophte --- und endlich gar auf die verwuͤnſch- ten Romanen fiel, ſchickte ſich zwar alle dieß vortref- lich in meine idealiſche Welt, machte mir aber den Kopf nur noch verwirrter. Jeden Helden und Eben- theurer alter und neuer Zeit macht’ ich mir eigen, lebte vollkommen in ihrer Lage, und bildete mir Um- ſtaͤnde dazu und davon wie es mir beliebte. Die Ro- manen hinwieder machten mich ganz unzufrieden mit meinem eigenen Schickſal und den Geſchaͤften meines Berufes, und weckten mich aus meinen Traͤumen, aber eben nur zu groͤſſerm Verdruß auf. Bisweilen, wenn ich denn ſo muͤrriſch war, ſucht’ ich mich durch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/264
Zitationshilfe: Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/264>, abgerufen am 22.11.2024.