Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789.

Bild:
<< vorherige Seite

"müssen". Ich hingegen --- ich will es nur geste-
hen --- mag wohl eher in einer bösen Laune gebetet
haben: "Beßter Vater! In deinem Hause sind viele
"Wohnungen; also hast du gewiß auch mir ein stilles
"Winkelgen bestimmt. Auch meinem Weibe ordne
"ein artiges --- nur nicht zu nahe bey dem meinigen".
Sind das nun nicht alles aufrichtige Geständnisse?
Sag' an, lieber Nachkömmling! Ja! ich gesteh' es
ja noch einmal, daß meine Frau weit weit besser ist
als ich, und sie's vortreflich gut meint, wenn's schon
nicht immer jedermann für gut annehmen kann. So
ließ sie sich's z. E. nicht ausreden, daß es nicht ihre
Pflicht wäre, mir des Nachts laut in die Ohren zu
schrey'n -- daß sie bete, und daß ich ihr nachbeten könne.
Und wenn ich ihr hundertmal sage, das Lautschreyen
nütze nichts, da gilt alles gleich viel; sie schreyt. ---
Da muß ich, denk' ich, freylich abermals nur mein
allzueckles Ohr anklagen, und wieder und überall sa-
gen und bekennen: Ja, ja! sie ist weit bräver als ich.


Barmherzigkeit -- welch ein beruhigendes Wort!
-- Barmherzigkeit meines Gottes, dessen Güte über
allen Verstand geht, dessen Gnade keine Grenzen
kennt! Wenn ich so in angsthaften Stunden alle
Trostsprüche deiner Offenbarung zusammenraffe, macht
dieß einige Wort einen solchen Eindruck auf mein
Herz, daß es der Hauptgrund meiner Beruhigung
wird. Indessen bin ich, wie andre Menschen, frey-
lich nicht weniger geneigt, auch etwas Tröstendes in
mir selbst aufzusuchen. Und da sagt mir nämlich die

„muͤſſen„. Ich hingegen --- ich will es nur geſte-
hen --- mag wohl eher in einer boͤſen Laune gebetet
haben: „Beßter Vater! In deinem Hauſe ſind viele
„Wohnungen; alſo haſt du gewiß auch mir ein ſtilles
„Winkelgen beſtimmt. Auch meinem Weibe ordne
„ein artiges --- nur nicht zu nahe bey dem meinigen„.
Sind das nun nicht alles aufrichtige Geſtaͤndniſſe?
Sag’ an, lieber Nachkoͤmmling! Ja! ich geſteh’ es
ja noch einmal, daß meine Frau weit weit beſſer iſt
als ich, und ſie’s vortreflich gut meint, wenn’s ſchon
nicht immer jedermann fuͤr gut annehmen kann. So
ließ ſie ſich’s z. E. nicht ausreden, daß es nicht ihre
Pflicht waͤre, mir des Nachts laut in die Ohren zu
ſchrey’n -- daß ſie bete, und daß ich ihr nachbeten koͤnne.
Und wenn ich ihr hundertmal ſage, das Lautſchreyen
nuͤtze nichts, da gilt alles gleich viel; ſie ſchreyt. ---
Da muß ich, denk’ ich, freylich abermals nur mein
allzueckles Ohr anklagen, und wieder und uͤberall ſa-
gen und bekennen: Ja, ja! ſie iſt weit braͤver als ich.


Barmherzigkeit — welch ein beruhigendes Wort!
— Barmherzigkeit meines Gottes, deſſen Guͤte uͤber
allen Verſtand geht, deſſen Gnade keine Grenzen
kennt! Wenn ich ſo in angſthaften Stunden alle
Troſtſpruͤche deiner Offenbarung zuſammenraffe, macht
dieß einige Wort einen ſolchen Eindruck auf mein
Herz, daß es der Hauptgrund meiner Beruhigung
wird. Indeſſen bin ich, wie andre Menſchen, frey-
lich nicht weniger geneigt, auch etwas Troͤſtendes in
mir ſelbſt aufzuſuchen. Und da ſagt mir naͤmlich die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0271" n="255"/>
&#x201E;mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en&#x201E;. Ich hingegen --- ich will es nur ge&#x017F;te-<lb/>
hen --- mag wohl eher in einer bo&#x0364;&#x017F;en Laune gebetet<lb/>
haben: &#x201E;Beßter Vater! In deinem Hau&#x017F;e &#x017F;ind viele<lb/>
&#x201E;Wohnungen; al&#x017F;o ha&#x017F;t du gewiß auch mir ein &#x017F;tilles<lb/>
&#x201E;Winkelgen be&#x017F;timmt. Auch meinem Weibe ordne<lb/>
&#x201E;ein artiges --- nur nicht zu nahe bey dem meinigen&#x201E;.<lb/>
Sind das nun nicht alles aufrichtige Ge&#x017F;ta&#x0364;ndni&#x017F;&#x017F;e?<lb/>
Sag&#x2019; an, lieber Nachko&#x0364;mmling! Ja! ich ge&#x017F;teh&#x2019; es<lb/>
ja noch einmal, daß meine Frau weit weit be&#x017F;&#x017F;er i&#x017F;t<lb/>
als ich, und &#x017F;ie&#x2019;s vortreflich gut meint, wenn&#x2019;s &#x017F;chon<lb/>
nicht immer jedermann fu&#x0364;r gut annehmen kann. So<lb/>
ließ &#x017F;ie &#x017F;ich&#x2019;s z. E. nicht ausreden, daß es nicht ihre<lb/>
Pflicht wa&#x0364;re, mir des Nachts laut in die Ohren zu<lb/>
&#x017F;chrey&#x2019;n -- daß &#x017F;ie bete, und daß ich ihr nachbeten ko&#x0364;nne.<lb/>
Und wenn ich ihr hundertmal &#x017F;age, das Laut&#x017F;chreyen<lb/>
nu&#x0364;tze nichts, da gilt alles gleich viel; &#x017F;ie &#x017F;chreyt. ---<lb/>
Da muß ich, denk&#x2019; ich, freylich abermals nur <hi rendition="#fr">mein</hi><lb/>
allzueckles Ohr anklagen, und wieder und u&#x0364;berall &#x017F;a-<lb/>
gen und bekennen: Ja, ja! &#x017F;ie i&#x017F;t weit bra&#x0364;ver als ich.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p><hi rendition="#fr">Barmherzigkeit</hi> &#x2014; welch ein beruhigendes Wort!<lb/>
&#x2014; Barmherzigkeit meines Gottes, de&#x017F;&#x017F;en Gu&#x0364;te u&#x0364;ber<lb/>
allen Ver&#x017F;tand geht, de&#x017F;&#x017F;en Gnade keine Grenzen<lb/>
kennt! Wenn ich &#x017F;o in ang&#x017F;thaften Stunden alle<lb/>
Tro&#x017F;t&#x017F;pru&#x0364;che deiner Offenbarung zu&#x017F;ammenraffe, macht<lb/>
dieß einige Wort einen &#x017F;olchen Eindruck auf mein<lb/>
Herz, daß es der Hauptgrund meiner Beruhigung<lb/>
wird. Inde&#x017F;&#x017F;en bin ich, wie andre Men&#x017F;chen, frey-<lb/>
lich nicht weniger geneigt, auch etwas Tro&#x0364;&#x017F;tendes in<lb/>
mir &#x017F;elb&#x017F;t aufzu&#x017F;uchen. Und da &#x017F;agt mir na&#x0364;mlich die<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[255/0271] „muͤſſen„. Ich hingegen --- ich will es nur geſte- hen --- mag wohl eher in einer boͤſen Laune gebetet haben: „Beßter Vater! In deinem Hauſe ſind viele „Wohnungen; alſo haſt du gewiß auch mir ein ſtilles „Winkelgen beſtimmt. Auch meinem Weibe ordne „ein artiges --- nur nicht zu nahe bey dem meinigen„. Sind das nun nicht alles aufrichtige Geſtaͤndniſſe? Sag’ an, lieber Nachkoͤmmling! Ja! ich geſteh’ es ja noch einmal, daß meine Frau weit weit beſſer iſt als ich, und ſie’s vortreflich gut meint, wenn’s ſchon nicht immer jedermann fuͤr gut annehmen kann. So ließ ſie ſich’s z. E. nicht ausreden, daß es nicht ihre Pflicht waͤre, mir des Nachts laut in die Ohren zu ſchrey’n -- daß ſie bete, und daß ich ihr nachbeten koͤnne. Und wenn ich ihr hundertmal ſage, das Lautſchreyen nuͤtze nichts, da gilt alles gleich viel; ſie ſchreyt. --- Da muß ich, denk’ ich, freylich abermals nur mein allzueckles Ohr anklagen, und wieder und uͤberall ſa- gen und bekennen: Ja, ja! ſie iſt weit braͤver als ich. Barmherzigkeit — welch ein beruhigendes Wort! — Barmherzigkeit meines Gottes, deſſen Guͤte uͤber allen Verſtand geht, deſſen Gnade keine Grenzen kennt! Wenn ich ſo in angſthaften Stunden alle Troſtſpruͤche deiner Offenbarung zuſammenraffe, macht dieß einige Wort einen ſolchen Eindruck auf mein Herz, daß es der Hauptgrund meiner Beruhigung wird. Indeſſen bin ich, wie andre Menſchen, frey- lich nicht weniger geneigt, auch etwas Troͤſtendes in mir ſelbſt aufzuſuchen. Und da ſagt mir naͤmlich die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/271
Zitationshilfe: Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/271>, abgerufen am 22.11.2024.