Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789.

Bild:
<< vorherige Seite

anstellen, und kann nicht jedes thun lassen, was es
will. Sonst hoff' ich, du werdest dereinst noch Ge-
schmack am Denken, Lesen und Schreiben finden,
ungefähr wie dein Vater; obschon du noch zur Zeit
den mir verhaßten Hang nährest, von einem Haus
zum andern zu laufen, um allerhand unnützes Zeug
zu erfragen oder zu erzählen. Aber deines Brod-
erwerbs halber bin ich sehr verlegen. Doch wenn du
deinen Kopf brauchst, und dem Herrn, der dich schon
mehrmals dem Rachen des Todes entriß, weiter dei-
ne Wege befiehlst, wird er's schon machen *).

Susanna Barbara, meine zweyte Tochter! Du
flüchtiges, in allen Lüften schwebendes Ding! Wärst
du das Kind eines Fürsten, und gerieth'st darnach un-
ter Hände, so könnte ein weibliches Genie aus dir
werden. Dein Falkenang macht dich verhaßt unter
deinen Geschwistern, wenn du's schon nicht böse
meinst. Dein empfindsames Herz leidet Schaden un-
ter so viel spitzigen Zungen; und das donnernde Ge-
lärm deines rohen Hofmeisters macht dich erwilden.
Ach! ich fürchte, allzufrüh erwachende Leidenschaften,
und dein zarter Nervenbau, werden dir noch Schmer-
zen genug verursachen!

Anna Maria, meine jüngste Tochter, meine letzte
Kraft, mein Kind --- noch das einzige das mich herzt,
und an das ich hinwieder meine letzte Liebe verschwen-
de! Still und verschlagen, das gesetzteste unter allen
bist du --- kleine Anfälle von boshaften Neckereyen
und Stettköpfigkeit ausgenommen. Du, mein Täub-

chen,
*) Er starb den 8. Jenner 1787.

anſtellen, und kann nicht jedes thun laſſen, was es
will. Sonſt hoff’ ich, du werdeſt dereinſt noch Ge-
ſchmack am Denken, Leſen und Schreiben finden,
ungefaͤhr wie dein Vater; obſchon du noch zur Zeit
den mir verhaßten Hang naͤhreſt, von einem Haus
zum andern zu laufen, um allerhand unnuͤtzes Zeug
zu erfragen oder zu erzaͤhlen. Aber deines Brod-
erwerbs halber bin ich ſehr verlegen. Doch wenn du
deinen Kopf brauchſt, und dem Herrn, der dich ſchon
mehrmals dem Rachen des Todes entriß, weiter dei-
ne Wege befiehlſt, wird er’s ſchon machen *).

Suſanna Barbara, meine zweyte Tochter! Du
fluͤchtiges, in allen Luͤften ſchwebendes Ding! Waͤrſt
du das Kind eines Fuͤrſten, und gerieth’ſt darnach un-
ter Haͤnde, ſo koͤnnte ein weibliches Genie aus dir
werden. Dein Falkenang macht dich verhaßt unter
deinen Geſchwiſtern, wenn du’s ſchon nicht boͤſe
meinſt. Dein empfindſames Herz leidet Schaden un-
ter ſo viel ſpitzigen Zungen; und das donnernde Ge-
laͤrm deines rohen Hofmeiſters macht dich erwilden.
Ach! ich fuͤrchte, allzufruͤh erwachende Leidenſchaften,
und dein zarter Nervenbau, werden dir noch Schmer-
zen genug verurſachen!

Anna Maria, meine juͤngſte Tochter, meine letzte
Kraft, mein Kind --- noch das einzige das mich herzt,
und an das ich hinwieder meine letzte Liebe verſchwen-
de! Still und verſchlagen, das geſetzteſte unter allen
biſt du --- kleine Anfaͤlle von boshaften Neckereyen
und Stettkoͤpfigkeit ausgenommen. Du, mein Taͤub-

chen,
*) Er ſtarb den 8. Jenner 1787.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0288" n="272"/>
an&#x017F;tellen, und kann nicht jedes thun la&#x017F;&#x017F;en, was es<lb/>
will. Son&#x017F;t hoff&#x2019; ich, du werde&#x017F;t derein&#x017F;t noch Ge-<lb/>
&#x017F;chmack am Denken, Le&#x017F;en und Schreiben finden,<lb/>
ungefa&#x0364;hr wie dein Vater; <choice><sic>ab&#x017F;chon</sic><corr>ob&#x017F;chon</corr></choice> du noch zur Zeit<lb/>
den mir verhaßten Hang na&#x0364;hre&#x017F;t, von einem Haus<lb/>
zum andern zu laufen, um allerhand unnu&#x0364;tzes Zeug<lb/>
zu erfragen oder zu erza&#x0364;hlen. Aber deines Brod-<lb/>
erwerbs halber bin ich &#x017F;ehr verlegen. Doch wenn du<lb/>
deinen Kopf brauch&#x017F;t, und dem Herrn, der dich &#x017F;chon<lb/>
mehrmals dem Rachen des Todes entriß, weiter dei-<lb/>
ne Wege befiehl&#x017F;t, wird er&#x2019;s &#x017F;chon machen <note place="foot" n="*)">Er &#x017F;tarb den 8. Jenner 1787.</note>.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#fr">Su&#x017F;anna Barbara</hi>, meine zweyte Tochter! Du<lb/>
flu&#x0364;chtiges, in allen Lu&#x0364;ften &#x017F;chwebendes Ding! Wa&#x0364;r&#x017F;t<lb/>
du das Kind eines Fu&#x0364;r&#x017F;ten, und gerieth&#x2019;&#x017F;t darnach un-<lb/>
ter Ha&#x0364;nde, &#x017F;o ko&#x0364;nnte ein weibliches Genie aus dir<lb/>
werden. Dein Falkenang macht dich verhaßt unter<lb/>
deinen Ge&#x017F;chwi&#x017F;tern, wenn du&#x2019;s &#x017F;chon nicht bo&#x0364;&#x017F;e<lb/>
mein&#x017F;t. Dein empfind&#x017F;ames Herz leidet Schaden un-<lb/>
ter &#x017F;o viel &#x017F;pitzigen Zungen; und das donnernde Ge-<lb/>
la&#x0364;rm deines rohen Hofmei&#x017F;ters macht dich erwilden.<lb/>
Ach! ich fu&#x0364;rchte, allzufru&#x0364;h erwachende Leiden&#x017F;chaften,<lb/>
und dein zarter Nervenbau, werden dir noch Schmer-<lb/>
zen genug verur&#x017F;achen!</p><lb/>
        <p><hi rendition="#fr">Anna Maria</hi>, meine ju&#x0364;ng&#x017F;te Tochter, meine letzte<lb/>
Kraft, mein Kind --- noch das einzige das mich herzt,<lb/>
und an das ich hinwieder meine letzte Liebe ver&#x017F;chwen-<lb/>
de! Still und ver&#x017F;chlagen, das ge&#x017F;etzte&#x017F;te unter allen<lb/>
bi&#x017F;t du --- kleine Anfa&#x0364;lle von boshaften Neckereyen<lb/>
und Stettko&#x0364;pfigkeit ausgenommen. Du, mein Ta&#x0364;ub-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">chen,</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[272/0288] anſtellen, und kann nicht jedes thun laſſen, was es will. Sonſt hoff’ ich, du werdeſt dereinſt noch Ge- ſchmack am Denken, Leſen und Schreiben finden, ungefaͤhr wie dein Vater; obſchon du noch zur Zeit den mir verhaßten Hang naͤhreſt, von einem Haus zum andern zu laufen, um allerhand unnuͤtzes Zeug zu erfragen oder zu erzaͤhlen. Aber deines Brod- erwerbs halber bin ich ſehr verlegen. Doch wenn du deinen Kopf brauchſt, und dem Herrn, der dich ſchon mehrmals dem Rachen des Todes entriß, weiter dei- ne Wege befiehlſt, wird er’s ſchon machen *). Suſanna Barbara, meine zweyte Tochter! Du fluͤchtiges, in allen Luͤften ſchwebendes Ding! Waͤrſt du das Kind eines Fuͤrſten, und gerieth’ſt darnach un- ter Haͤnde, ſo koͤnnte ein weibliches Genie aus dir werden. Dein Falkenang macht dich verhaßt unter deinen Geſchwiſtern, wenn du’s ſchon nicht boͤſe meinſt. Dein empfindſames Herz leidet Schaden un- ter ſo viel ſpitzigen Zungen; und das donnernde Ge- laͤrm deines rohen Hofmeiſters macht dich erwilden. Ach! ich fuͤrchte, allzufruͤh erwachende Leidenſchaften, und dein zarter Nervenbau, werden dir noch Schmer- zen genug verurſachen! Anna Maria, meine juͤngſte Tochter, meine letzte Kraft, mein Kind --- noch das einzige das mich herzt, und an das ich hinwieder meine letzte Liebe verſchwen- de! Still und verſchlagen, das geſetzteſte unter allen biſt du --- kleine Anfaͤlle von boshaften Neckereyen und Stettkoͤpfigkeit ausgenommen. Du, mein Taͤub- chen, *) Er ſtarb den 8. Jenner 1787.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/288
Zitationshilfe: Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/288>, abgerufen am 21.11.2024.