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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789.

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entgeldlich zukommen lassen. Gott vergelte ihnen auch
diese Wohlthat in Zeit und Ewigkeit.

Ueberhaupt genieß ich ein Glück, das wenigen
Menschen meiner Klaße zu Theil wird: Arm zu seyn,
und doch keinen Mangel zu haben an allen nöthigen
Bedürfnissen des Lebens: In einem verborgnen ro-
mantischen Erdwinkel in einer hölzernen Hütte zu le-
ben, auf welche aber Gottes Aug' eben so wohl hin-
blickt, als auf Caserta oder Versailles: Den Um-
gang so vieler lebenden guten Menschen, und die
Hirngeburthen so vieler edeln Verstorbnen (freylich
auch etwa unedler mitunter) zu geniessen; beydes ohne
Kosten und ohne Geräusche: Mit einem solchen Pro-
duckt in der Hand in einem schönen Gehölze, von
lustigen Waldbürgern umwirbelt, spatziren zu gehn,
und den beßten und weisesten Männern aller Zeital-
ter wie aus dem Herzen zu lesen -- Welche Wonne,
welche Wohlthat, welche Schadloshaltung für so vie-
le hundert bittere Pillen, die man vor und nach ver-
schlücken muß!

Ist's ein Wunder, daß ich, bey diesem meinem
Lieblingszeitvertreib, dem Drang', auch meine Ge-
danken allmälig auf's Papier zu werfen, nicht wi-
derstehen konnte, und zuletzt gar, das [ - 2 Zeichen fehlen]rstehnde
kleine Ganze daraus zu ordnen, versucht wurde. Aber
gewiß hätt' ich's mir nie in meinem einfältigen Kopf
aufsteigen lassen, solch kunterbunt Zeug dem -- von
mir sicher geehrten Publiko mitzutheilen, wenn nicht
unser vortrefliche Pfarrherr Imhof (dessen scharfem
Blick in unsrer weitläuftigen Gemeinde Wattweil

entgeldlich zukommen laſſen. Gott vergelte ihnen auch
dieſe Wohlthat in Zeit und Ewigkeit.

Ueberhaupt genieß ich ein Gluͤck, das wenigen
Menſchen meiner Klaße zu Theil wird: Arm zu ſeyn,
und doch keinen Mangel zu haben an allen noͤthigen
Beduͤrfniſſen des Lebens: In einem verborgnen ro-
mantiſchen Erdwinkel in einer hoͤlzernen Huͤtte zu le-
ben, auf welche aber Gottes Aug’ eben ſo wohl hin-
blickt, als auf Caſerta oder Verſailles: Den Um-
gang ſo vieler lebenden guten Menſchen, und die
Hirngeburthen ſo vieler edeln Verſtorbnen (freylich
auch etwa unedler mitunter) zu genieſſen; beydes ohne
Koſten und ohne Geraͤuſche: Mit einem ſolchen Pro-
duckt in der Hand in einem ſchoͤnen Gehoͤlze, von
luſtigen Waldbuͤrgern umwirbelt, ſpatziren zu gehn,
und den beßten und weiſeſten Maͤnnern aller Zeital-
ter wie aus dem Herzen zu leſen — Welche Wonne,
welche Wohlthat, welche Schadloshaltung fuͤr ſo vie-
le hundert bittere Pillen, die man vor und nach ver-
ſchluͤcken muß!

Iſt’s ein Wunder, daß ich, bey dieſem meinem
Lieblingszeitvertreib, dem Drang’, auch meine Ge-
danken allmaͤlig auf’s Papier zu werfen, nicht wi-
derſtehen konnte, und zuletzt gar, das [ – 2 Zeichen fehlen]rſtehnde
kleine Ganze daraus zu ordnen, verſucht wurde. Aber
gewiß haͤtt’ ich’s mir nie in meinem einfaͤltigen Kopf
aufſteigen laſſen, ſolch kunterbunt Zeug dem — von
mir ſicher geehrten Publiko mitzutheilen, wenn nicht
unſer vortrefliche Pfarrherr Imhof (deſſen ſcharfem
Blick in unſrer weitlaͤuftigen Gemeinde Wattweil

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[285/0301] entgeldlich zukommen laſſen. Gott vergelte ihnen auch dieſe Wohlthat in Zeit und Ewigkeit. Ueberhaupt genieß ich ein Gluͤck, das wenigen Menſchen meiner Klaße zu Theil wird: Arm zu ſeyn, und doch keinen Mangel zu haben an allen noͤthigen Beduͤrfniſſen des Lebens: In einem verborgnen ro- mantiſchen Erdwinkel in einer hoͤlzernen Huͤtte zu le- ben, auf welche aber Gottes Aug’ eben ſo wohl hin- blickt, als auf Caſerta oder Verſailles: Den Um- gang ſo vieler lebenden guten Menſchen, und die Hirngeburthen ſo vieler edeln Verſtorbnen (freylich auch etwa unedler mitunter) zu genieſſen; beydes ohne Koſten und ohne Geraͤuſche: Mit einem ſolchen Pro- duckt in der Hand in einem ſchoͤnen Gehoͤlze, von luſtigen Waldbuͤrgern umwirbelt, ſpatziren zu gehn, und den beßten und weiſeſten Maͤnnern aller Zeital- ter wie aus dem Herzen zu leſen — Welche Wonne, welche Wohlthat, welche Schadloshaltung fuͤr ſo vie- le hundert bittere Pillen, die man vor und nach ver- ſchluͤcken muß! Iſt’s ein Wunder, daß ich, bey dieſem meinem Lieblingszeitvertreib, dem Drang’, auch meine Ge- danken allmaͤlig auf’s Papier zu werfen, nicht wi- derſtehen konnte, und zuletzt gar, das __rſtehnde kleine Ganze daraus zu ordnen, verſucht wurde. Aber gewiß haͤtt’ ich’s mir nie in meinem einfaͤltigen Kopf aufſteigen laſſen, ſolch kunterbunt Zeug dem — von mir ſicher geehrten Publiko mitzutheilen, wenn nicht unſer vortrefliche Pfarrherr Imhof (deſſen ſcharfem Blick in unſrer weitlaͤuftigen Gemeinde Wattweil

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Zitationshilfe: Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/301>, abgerufen am 21.11.2024.