nen Entfernung sah ich zwey Menschen durch eine Wiese marschiren. Ich gewahrt' es gar wohl, sie hörten mich; aber sie spotteten meiner, und giengen ihre Strasse. Endlich entschloß ich mich, das Aeus- serste zu wagen, und lieber mit Eins des Todes zu seyn als noch weiter in dieser peinlichen Lage zu verharren, und doch nicht lange mehr ausharren zu können. Ich schrie zu Gott in Angst und Noth, ließ mich auf den Bauch nieder, meine Händ' ob sich verspreitet, daß ich mich an den kahlen Fels so gut als möglich anklammern könne. Aber ich war todmüd, fuhr wie ein Pfeil hinunter -- zum Glück war's nicht so hoch als ich im Schrecken glaubte -- und blieb wunderbar ebenrecht in einem Schlund ste- cken, wo ich mich wieder halten konnte. Freylich hat ich Haut und Kleider zerrissen, und blutete an Händen und Füssen. Aber wie glücklich schätzt' ich mich nicht, daß ich nur mit dem Leben und unzer- brochnen Gliedern davonkam! Mein Geißchen mag sich auch durch einen Sprung gerettet haben; ein- mal ich fand's schon wieder bey den übrigen. -- Ein andermal, da ich an einem schönen Sommertag mit meiner Heerde herumgetrillert, überzog sich der Him- mel gegen Abend mit schwarzen Wolken; es fieng gewaltig an blitzen und donnern. Ich eilte nach ei- ner Felshöhle -- diese oder eine grosse Wettertann waren in solchen Fällen immer mein Zufluchtsort -- und rief dann meine Geissen zusammen. Die, weil's sonst bald Zeit war, meinten es gelte zur Heimfahrt, und sprangen über Kopf und Hals mir vor, daß ich
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nen Entfernung ſah ich zwey Menſchen durch eine Wieſe marſchiren. Ich gewahrt’ es gar wohl, ſie hoͤrten mich; aber ſie ſpotteten meiner, und giengen ihre Straſſe. Endlich entſchloß ich mich, das Aeuſ- ſerſte zu wagen, und lieber mit Eins des Todes zu ſeyn als noch weiter in dieſer peinlichen Lage zu verharren, und doch nicht lange mehr ausharren zu koͤnnen. Ich ſchrie zu Gott in Angſt und Noth, ließ mich auf den Bauch nieder, meine Haͤnd’ ob ſich verſpreitet, daß ich mich an den kahlen Fels ſo gut als moͤglich anklammern koͤnne. Aber ich war todmuͤd, fuhr wie ein Pfeil hinunter — zum Gluͤck war’s nicht ſo hoch als ich im Schrecken glaubte — und blieb wunderbar ebenrecht in einem Schlund ſte- cken, wo ich mich wieder halten konnte. Freylich hat ich Haut und Kleider zerriſſen, und blutete an Haͤnden und Fuͤſſen. Aber wie gluͤcklich ſchaͤtzt’ ich mich nicht, daß ich nur mit dem Leben und unzer- brochnen Gliedern davonkam! Mein Geißchen mag ſich auch durch einen Sprung gerettet haben; ein- mal ich fand’s ſchon wieder bey den uͤbrigen. — Ein andermal, da ich an einem ſchoͤnen Sommertag mit meiner Heerde herumgetrillert, uͤberzog ſich der Him- mel gegen Abend mit ſchwarzen Wolken; es fieng gewaltig an blitzen und donnern. Ich eilte nach ei- ner Felshoͤhle — dieſe oder eine groſſe Wettertann waren in ſolchen Faͤllen immer mein Zufluchtsort — und rief dann meine Geiſſen zuſammen. Die, weil’s ſonſt bald Zeit war, meinten es gelte zur Heimfahrt, und ſprangen uͤber Kopf und Hals mir vor, daß ich
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nen Entfernung ſah ich zwey Menſchen durch eine
Wieſe marſchiren. Ich gewahrt’ es gar wohl, ſie
hoͤrten mich; aber ſie ſpotteten meiner, und giengen
ihre Straſſe. Endlich entſchloß ich mich, das Aeuſ-
ſerſte zu wagen, und lieber mit Eins des Todes zu
ſeyn als noch weiter in dieſer peinlichen Lage zu
verharren, und doch nicht lange mehr ausharren zu
koͤnnen. Ich ſchrie zu Gott in Angſt und Noth,
ließ mich auf den Bauch nieder, meine Haͤnd’ ob
ſich verſpreitet, daß ich mich an den kahlen Fels ſo
gut als moͤglich anklammern koͤnne. Aber ich war
todmuͤd, fuhr wie ein Pfeil hinunter — zum Gluͤck
war’s nicht ſo hoch als ich im Schrecken glaubte —
und blieb wunderbar ebenrecht in einem Schlund ſte-
cken, wo ich mich wieder halten konnte. Freylich
hat ich Haut und Kleider zerriſſen, und blutete an
Haͤnden und Fuͤſſen. Aber wie gluͤcklich ſchaͤtzt’ ich
mich nicht, daß ich nur mit dem Leben und unzer-
brochnen Gliedern davonkam! Mein Geißchen mag
ſich auch durch einen Sprung gerettet haben; ein-
mal ich fand’s ſchon wieder bey den uͤbrigen. — Ein
andermal, da ich an einem ſchoͤnen Sommertag mit
meiner Heerde herumgetrillert, uͤberzog ſich der Him-
mel gegen Abend mit ſchwarzen Wolken; es fieng
gewaltig an blitzen und donnern. Ich eilte nach ei-
ner Felshoͤhle — dieſe oder eine groſſe Wettertann waren
in ſolchen Faͤllen immer mein Zufluchtsort — und
rief dann meine Geiſſen zuſammen. Die, weil’s
ſonſt bald Zeit war, meinten es gelte zur Heimfahrt,
und ſprangen uͤber Kopf und Hals mir vor, daß ich
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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/49>, abgerufen am 21.11.2024.
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