es ihm nicht recht zu Herzen gieng. Doch sah ich auch, daß er überhaupt Wohlgefallen an meinen Empfin- dungen und an meiner Aufmerksamkeit hatte. Nach- werts ward dieser Heinrich Näf Pfarrer gen Hum- brechtikon am Zürichsee; und seither, glaub' ich, kam er noch näher an die Stadt. Noch auf den heutigen Tag ist meine Liebe zu ihm nicht erloschen. Viel hundertmal denk' ich mit gerührter Seele an dieses redlichen Manns Treu und Eifer; an seinen liebevollen Unterricht, welchen ich von seinen holdse- ligen Lippen sog, und den mein damals gewiß auch für das Gute weiche und empfängliche Herz so begie- rig aufnahm. -- O der redlichen Vorsätze und hei- ligen Entschlüsse, die ich so oft in diesen unvergeßli- chen Stunden faßte! Wo feyt ihr geblieben? Wel- chen Weg seyt ihr gegangen? Ach! wie oft seyt ihr von mir zurückgerufen, und dann leider doch wieder verabscheidet worden! -- O Gott! Wie freudig gieng ich stets aus dem Pfarrhause heim, nahm gleich das Buch wieder zur Hand, und erfrischte damit das Angedenken an die empfangenen heilsamen Lehren. Aber dann war eben bald alles wieder verflogen. Doch selbst in spätern Tagen -- sogar in Augen- blicken, wo Lockungen von allen Seiten mir die süsse- sten Minen machten, und mich bereden wollten, das Schwarze sey wo nicht Weiß, doch Grau -- stiegen mir meines ehemaligen Seelsorgers treuge- meinte Warnungen noch oft zu Sinn, und halfen mir in manchem Scharmützel mit meinen Leiden- schaften, den Sieg erringen. Was ich mir aber noch
es ihm nicht recht zu Herzen gieng. Doch ſah ich auch, daß er uͤberhaupt Wohlgefallen an meinen Empfin- dungen und an meiner Aufmerkſamkeit hatte. Nach- werts ward dieſer Heinrich Naͤf Pfarrer gen Hum- brechtikon am Zuͤrichſee; und ſeither, glaub’ ich, kam er noch naͤher an die Stadt. Noch auf den heutigen Tag iſt meine Liebe zu ihm nicht erloſchen. Viel hundertmal denk’ ich mit geruͤhrter Seele an dieſes redlichen Manns Treu und Eifer; an ſeinen liebevollen Unterricht, welchen ich von ſeinen holdſe- ligen Lippen ſog, und den mein damals gewiß auch fuͤr das Gute weiche und empfaͤngliche Herz ſo begie- rig aufnahm. — O der redlichen Vorſaͤtze und hei- ligen Entſchluͤſſe, die ich ſo oft in dieſen unvergeßli- chen Stunden faßte! Wo feyt ihr geblieben? Wel- chen Weg ſeyt ihr gegangen? Ach! wie oft ſeyt ihr von mir zuruͤckgerufen, und dann leider doch wieder verabſcheidet worden! — O Gott! Wie freudig gieng ich ſtets aus dem Pfarrhauſe heim, nahm gleich das Buch wieder zur Hand, und erfriſchte damit das Angedenken an die empfangenen heilſamen Lehren. Aber dann war eben bald alles wieder verflogen. Doch ſelbſt in ſpaͤtern Tagen — ſogar in Augen- blicken, wo Lockungen von allen Seiten mir die ſuͤſſe- ſten Minen machten, und mich bereden wollten, das Schwarze ſey wo nicht Weiß, doch Grau — ſtiegen mir meines ehemaligen Seelſorgers treuge- meinte Warnungen noch oft zu Sinn, und halfen mir in manchem Scharmuͤtzel mit meinen Leiden- ſchaften, den Sieg erringen. Was ich mir aber noch
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es ihm nicht recht zu Herzen gieng. Doch ſah ich auch,
daß er uͤberhaupt Wohlgefallen an meinen Empfin-
dungen und an meiner Aufmerkſamkeit hatte. Nach-
werts ward dieſer Heinrich Naͤf Pfarrer gen Hum-
brechtikon am Zuͤrichſee; und ſeither, glaub’ ich,
kam er noch naͤher an die Stadt. Noch auf den
heutigen Tag iſt meine Liebe zu ihm nicht erloſchen.
Viel hundertmal denk’ ich mit geruͤhrter Seele an
dieſes redlichen Manns Treu und Eifer; an ſeinen
liebevollen Unterricht, welchen ich von ſeinen holdſe-
ligen Lippen ſog, und den mein damals gewiß auch
fuͤr das Gute weiche und empfaͤngliche Herz ſo begie-
rig aufnahm. — O der redlichen Vorſaͤtze und hei-
ligen Entſchluͤſſe, die ich ſo oft in dieſen unvergeßli-
chen Stunden faßte! Wo feyt ihr geblieben? Wel-
chen Weg ſeyt ihr gegangen? Ach! wie oft ſeyt ihr
von mir zuruͤckgerufen, und dann leider doch wieder
verabſcheidet worden! — O Gott! Wie freudig gieng
ich ſtets aus dem Pfarrhauſe heim, nahm gleich das
Buch wieder zur Hand, und erfriſchte damit das
Angedenken an die empfangenen heilſamen Lehren.
Aber dann war eben bald alles wieder verflogen.
Doch ſelbſt in ſpaͤtern Tagen — ſogar in Augen-
blicken, wo Lockungen von allen Seiten mir die ſuͤſſe-
ſten Minen machten, und mich bereden wollten,
das Schwarze ſey wo nicht Weiß, doch Grau —
ſtiegen mir meines ehemaligen Seelſorgers treuge-
meinte Warnungen noch oft zu Sinn, und halfen
mir in manchem Scharmuͤtzel mit meinen Leiden-
ſchaften, den Sieg erringen. Was ich mir aber noch
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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/63>, abgerufen am 21.11.2024.
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