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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830.

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A wird seiner Nähe wegen stärker, der Punct B wird seiner Ferne
wegen schwächer von der Bahn abgezogen, und die Erde nimmt
daher eine ovale, sowohl bei A als bei B über den Kreis hinausge-
hende und bei D, E, abgeflächte Form an. Diese Verlängerung
ist so unbedeutend, daß sie nur 10 Fuß ungefehr beträgt, statt daß
der Halbmesser der Erde 19 Millionen Fuß ist; aber eben diese 10
Fuß werden uns als ein Steigen des Wassers in A und B, als ein
Fallen des Wassers in D und E, dort als Fluth, hier als Ebbe,
merklich. Wäre der Mond im Viertel in M, so würde er die Be-
wegung der ganzen Erde gegen M zu ein wenig beschleunigen, und
diese Beschleunigung würde den vorangehenden Punct E am meisten
treffen, dieser würde daher dem Mittelpuncte ein wenig voraus
laufen, und der entferntere, etwas weniger angezogene Punct D
würde etwas zurückbleiben, also auch hier eine Fluth, so wohl an
der Seite, wo der Mond steht, als an der andern Seite, statt finden.

Die Erscheinungen der Fluth und Ebbe stehen so genau mit
dem Monde in Verbindung, sie wiederholen sich zweimal des Tages,
und grade dann, wann der Mond oberhalb des Horizontes und un-
terhalb des Horizontes in die gleiche Stellung gegen den Meridian
kömmt, so bestimmt, daß niemand daran, daß der Mond diese
Erscheinungen bewirkt, zweifeln kann. Die Fluthen sind größer,
wenn der Mond in der Erdnähe ist, ganz so wie es dem alsdann
vergrößerten Unterschiede der Anziehungskraft auf den nächsten
Punct der Erde und auf den Mittelpunct angemessen ist, und
ebenso sind sie am kleinsten, wenn der Mond in der Erdferne ist.
Auch der wichtige Umstand, daß die Fluthen bei Neumond und
Vollmond, die Springfluthen, höher, als bei den Vierteln, sind,
erklärt sich aus eben den Gründen. Denn selbst die Sonne allein
würde schon eine geringe Fluth so wohl an der der Sonne zugekehr-
ten Seite, als an der von ihr abgekehrten Seite der Erde hervor-
bringen; diese Sonnenfluthen vereinigen sich mit den Mondfluthen,
wenn der Mond als Neumond in L oder als Vollmond in l steht,
hingegen treffen die durch die Sonne bewirkten Ebben in E, D,
mit den dort durch den Mond erregten Fluthen zusammen, wenn
sich der Mond in M oder m befindet, und deshalb sind bei den
Vierteln die Fluthen weniger hoch und die Ebben weniger tief. Die
Ungleichheit der bei den Springfluthen und bei den Viertelmonds-

A wird ſeiner Naͤhe wegen ſtaͤrker, der Punct B wird ſeiner Ferne
wegen ſchwaͤcher von der Bahn abgezogen, und die Erde nimmt
daher eine ovale, ſowohl bei A als bei B uͤber den Kreis hinausge-
hende und bei D, E, abgeflaͤchte Form an. Dieſe Verlaͤngerung
iſt ſo unbedeutend, daß ſie nur 10 Fuß ungefehr betraͤgt, ſtatt daß
der Halbmeſſer der Erde 19 Millionen Fuß iſt; aber eben dieſe 10
Fuß werden uns als ein Steigen des Waſſers in A und B, als ein
Fallen des Waſſers in D und E, dort als Fluth, hier als Ebbe,
merklich. Waͤre der Mond im Viertel in M, ſo wuͤrde er die Be-
wegung der ganzen Erde gegen M zu ein wenig beſchleunigen, und
dieſe Beſchleunigung wuͤrde den vorangehenden Punct E am meiſten
treffen, dieſer wuͤrde daher dem Mittelpuncte ein wenig voraus
laufen, und der entferntere, etwas weniger angezogene Punct D
wuͤrde etwas zuruͤckbleiben, alſo auch hier eine Fluth, ſo wohl an
der Seite, wo der Mond ſteht, als an der andern Seite, ſtatt finden.

Die Erſcheinungen der Fluth und Ebbe ſtehen ſo genau mit
dem Monde in Verbindung, ſie wiederholen ſich zweimal des Tages,
und grade dann, wann der Mond oberhalb des Horizontes und un-
terhalb des Horizontes in die gleiche Stellung gegen den Meridian
koͤmmt, ſo beſtimmt, daß niemand daran, daß der Mond dieſe
Erſcheinungen bewirkt, zweifeln kann. Die Fluthen ſind groͤßer,
wenn der Mond in der Erdnaͤhe iſt, ganz ſo wie es dem alsdann
vergroͤßerten Unterſchiede der Anziehungskraft auf den naͤchſten
Punct der Erde und auf den Mittelpunct angemeſſen iſt, und
ebenſo ſind ſie am kleinſten, wenn der Mond in der Erdferne iſt.
Auch der wichtige Umſtand, daß die Fluthen bei Neumond und
Vollmond, die Springfluthen, hoͤher, als bei den Vierteln, ſind,
erklaͤrt ſich aus eben den Gruͤnden. Denn ſelbſt die Sonne allein
wuͤrde ſchon eine geringe Fluth ſo wohl an der der Sonne zugekehr-
ten Seite, als an der von ihr abgekehrten Seite der Erde hervor-
bringen; dieſe Sonnenfluthen vereinigen ſich mit den Mondfluthen,
wenn der Mond als Neumond in L oder als Vollmond in l ſteht,
hingegen treffen die durch die Sonne bewirkten Ebben in E, D,
mit den dort durch den Mond erregten Fluthen zuſammen, wenn
ſich der Mond in M oder m befindet, und deshalb ſind bei den
Vierteln die Fluthen weniger hoch und die Ebben weniger tief. Die
Ungleichheit der bei den Springfluthen und bei den Viertelmonds-

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[88/0110] A wird ſeiner Naͤhe wegen ſtaͤrker, der Punct B wird ſeiner Ferne wegen ſchwaͤcher von der Bahn abgezogen, und die Erde nimmt daher eine ovale, ſowohl bei A als bei B uͤber den Kreis hinausge- hende und bei D, E, abgeflaͤchte Form an. Dieſe Verlaͤngerung iſt ſo unbedeutend, daß ſie nur 10 Fuß ungefehr betraͤgt, ſtatt daß der Halbmeſſer der Erde 19 Millionen Fuß iſt; aber eben dieſe 10 Fuß werden uns als ein Steigen des Waſſers in A und B, als ein Fallen des Waſſers in D und E, dort als Fluth, hier als Ebbe, merklich. Waͤre der Mond im Viertel in M, ſo wuͤrde er die Be- wegung der ganzen Erde gegen M zu ein wenig beſchleunigen, und dieſe Beſchleunigung wuͤrde den vorangehenden Punct E am meiſten treffen, dieſer wuͤrde daher dem Mittelpuncte ein wenig voraus laufen, und der entferntere, etwas weniger angezogene Punct D wuͤrde etwas zuruͤckbleiben, alſo auch hier eine Fluth, ſo wohl an der Seite, wo der Mond ſteht, als an der andern Seite, ſtatt finden. Die Erſcheinungen der Fluth und Ebbe ſtehen ſo genau mit dem Monde in Verbindung, ſie wiederholen ſich zweimal des Tages, und grade dann, wann der Mond oberhalb des Horizontes und un- terhalb des Horizontes in die gleiche Stellung gegen den Meridian koͤmmt, ſo beſtimmt, daß niemand daran, daß der Mond dieſe Erſcheinungen bewirkt, zweifeln kann. Die Fluthen ſind groͤßer, wenn der Mond in der Erdnaͤhe iſt, ganz ſo wie es dem alsdann vergroͤßerten Unterſchiede der Anziehungskraft auf den naͤchſten Punct der Erde und auf den Mittelpunct angemeſſen iſt, und ebenſo ſind ſie am kleinſten, wenn der Mond in der Erdferne iſt. Auch der wichtige Umſtand, daß die Fluthen bei Neumond und Vollmond, die Springfluthen, hoͤher, als bei den Vierteln, ſind, erklaͤrt ſich aus eben den Gruͤnden. Denn ſelbſt die Sonne allein wuͤrde ſchon eine geringe Fluth ſo wohl an der der Sonne zugekehr- ten Seite, als an der von ihr abgekehrten Seite der Erde hervor- bringen; dieſe Sonnenfluthen vereinigen ſich mit den Mondfluthen, wenn der Mond als Neumond in L oder als Vollmond in l ſteht, hingegen treffen die durch die Sonne bewirkten Ebben in E, D, mit den dort durch den Mond erregten Fluthen zuſammen, wenn ſich der Mond in M oder m befindet, und deshalb ſind bei den Vierteln die Fluthen weniger hoch und die Ebben weniger tief. Die Ungleichheit der bei den Springfluthen und bei den Viertelmonds-

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Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830/110>, abgerufen am 23.11.2024.