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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830.

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dem Umfange der Axe gleich war, so sind Fuß nur ein Fünf
und Zwanzigstel vom Umfange für den Reifen, welcher den fünf-
fachen Halbmesser hat. Statt also, daß eben die Masse, in einen
dicht um die Axe gelegten Reifen vereinigt, in jeder Secunde einen
Umlauf vollenden würde; macht sie jetzt, fünfmal so entfernt vom
Mittelpuncte, nur des Umlaufs in 1 Secunde.

Hieraus erhellt nun auch, welche Aenderung in der Schnellig-
keit der Umdrehung eintreten muß, wenn eine mit dem Rade in
Bewegung gesetzte Masse sich plötzlich dem Mittelpuncte nähert,
oder sich von ihm entfernt. So lange alle einzelne Theile der
Masse ihre Lage gegen den Mittelpunct behalten, dauert, ohne
Einwirken neuer Kräfte, die Rotation nach dem Gesetze der Träg-
heit ungeändert fort; aber wenn plötzlich ein Theil der Masse wei-
ter von der Axe weggerückt wird, so behält er nur die Geschwindig-
keit, die er vorhin hatte, die ihn jetzt durch einen kleinern Winkel
fortführt, und obgleich dieser Theil der Masse, verbunden mit der
übrigen Masse, die Winkelgeschwindigkeit nicht so sehr vermindert,
als es hiernach der Fall sein sollte, so wird sie dennoch in einigem
Grade herabgesetzt, und desto mehr, je größer der in die Ferne ge-
rückte Theil der Masse in Vergleichung gegen die ganze bewegte
Masse ist. Und nun werde ich Ihnen mit wenigen Worten den
Zusammenhang zwischen der Wärme oder Temperatur der ganzen
Erde und den astronomischen Beobachtungen erklären, und La-
place's seltsam klingende Behauptung rechtfertigen können. Es
ist eine, in einem andern Abschnitte der Physik genauer zu erklä-
rende Erfahrung, daß die Körper sich ausdehnen, wenn ihre Tem-
peratur größer wird, und daß sie sich in einen engern Raum zusam-
men ziehen, bei abnehmender Wärme; also muß auch die Erde,
wenn ihre Temperatur seit uralten Zeiten abgenommen hätte, jetzt
einen etwas geringern Durchmesser, als in jenen frühern Zeiten,
haben. Aber bei einem so verkleinerten Halbmesser sind alle Theile
der Erdmasse der Erd-Axe näher gerückt, und die Umdrehungs-
bewegung muß daher schneller geworden sein, wenn im Laufe der
Zeit irgend eine solche Aenderung statt gefunden hat. Da nun die
Zeit, in welcher die Erde eine tägliche Rotation vollendet, aus den
alten Beobachtungen für jene Zeiten, aus den neuen Beobachtun-
gen für unsre Zeit, bekannt ist, und diese Länge des Sternentages,

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dem Umfange der Axe gleich war, ſo ſind Fuß nur ein Fuͤnf
und Zwanzigſtel vom Umfange fuͤr den Reifen, welcher den fuͤnf-
fachen Halbmeſſer hat. Statt alſo, daß eben die Maſſe, in einen
dicht um die Axe gelegten Reifen vereinigt, in jeder Secunde einen
Umlauf vollenden wuͤrde; macht ſie jetzt, fuͤnfmal ſo entfernt vom
Mittelpuncte, nur des Umlaufs in 1 Secunde.

Hieraus erhellt nun auch, welche Aenderung in der Schnellig-
keit der Umdrehung eintreten muß, wenn eine mit dem Rade in
Bewegung geſetzte Maſſe ſich ploͤtzlich dem Mittelpuncte naͤhert,
oder ſich von ihm entfernt. So lange alle einzelne Theile der
Maſſe ihre Lage gegen den Mittelpunct behalten, dauert, ohne
Einwirken neuer Kraͤfte, die Rotation nach dem Geſetze der Traͤg-
heit ungeaͤndert fort; aber wenn ploͤtzlich ein Theil der Maſſe wei-
ter von der Axe weggeruͤckt wird, ſo behaͤlt er nur die Geſchwindig-
keit, die er vorhin hatte, die ihn jetzt durch einen kleinern Winkel
fortfuͤhrt, und obgleich dieſer Theil der Maſſe, verbunden mit der
uͤbrigen Maſſe, die Winkelgeſchwindigkeit nicht ſo ſehr vermindert,
als es hiernach der Fall ſein ſollte, ſo wird ſie dennoch in einigem
Grade herabgeſetzt, und deſto mehr, je groͤßer der in die Ferne ge-
ruͤckte Theil der Maſſe in Vergleichung gegen die ganze bewegte
Maſſe iſt. Und nun werde ich Ihnen mit wenigen Worten den
Zuſammenhang zwiſchen der Waͤrme oder Temperatur der ganzen
Erde und den aſtronomiſchen Beobachtungen erklaͤren, und La-
place's ſeltſam klingende Behauptung rechtfertigen koͤnnen. Es
iſt eine, in einem andern Abſchnitte der Phyſik genauer zu erklaͤ-
rende Erfahrung, daß die Koͤrper ſich ausdehnen, wenn ihre Tem-
peratur groͤßer wird, und daß ſie ſich in einen engern Raum zuſam-
men ziehen, bei abnehmender Waͤrme; alſo muß auch die Erde,
wenn ihre Temperatur ſeit uralten Zeiten abgenommen haͤtte, jetzt
einen etwas geringern Durchmeſſer, als in jenen fruͤhern Zeiten,
haben. Aber bei einem ſo verkleinerten Halbmeſſer ſind alle Theile
der Erdmaſſe der Erd-Axe naͤher geruͤckt, und die Umdrehungs-
bewegung muß daher ſchneller geworden ſein, wenn im Laufe der
Zeit irgend eine ſolche Aenderung ſtatt gefunden hat. Da nun die
Zeit, in welcher die Erde eine taͤgliche Rotation vollendet, aus den
alten Beobachtungen fuͤr jene Zeiten, aus den neuen Beobachtun-
gen fuͤr unſre Zeit, bekannt iſt, und dieſe Laͤnge des Sternentages,

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[99/0121] dem Umfange der Axe gleich war, ſo ſind [FORMEL] Fuß nur ein Fuͤnf und Zwanzigſtel vom Umfange fuͤr den Reifen, welcher den fuͤnf- fachen Halbmeſſer hat. Statt alſo, daß eben die Maſſe, in einen dicht um die Axe gelegten Reifen vereinigt, in jeder Secunde einen Umlauf vollenden wuͤrde; macht ſie jetzt, fuͤnfmal ſo entfernt vom Mittelpuncte, nur [FORMEL] des Umlaufs in 1 Secunde. Hieraus erhellt nun auch, welche Aenderung in der Schnellig- keit der Umdrehung eintreten muß, wenn eine mit dem Rade in Bewegung geſetzte Maſſe ſich ploͤtzlich dem Mittelpuncte naͤhert, oder ſich von ihm entfernt. So lange alle einzelne Theile der Maſſe ihre Lage gegen den Mittelpunct behalten, dauert, ohne Einwirken neuer Kraͤfte, die Rotation nach dem Geſetze der Traͤg- heit ungeaͤndert fort; aber wenn ploͤtzlich ein Theil der Maſſe wei- ter von der Axe weggeruͤckt wird, ſo behaͤlt er nur die Geſchwindig- keit, die er vorhin hatte, die ihn jetzt durch einen kleinern Winkel fortfuͤhrt, und obgleich dieſer Theil der Maſſe, verbunden mit der uͤbrigen Maſſe, die Winkelgeſchwindigkeit nicht ſo ſehr vermindert, als es hiernach der Fall ſein ſollte, ſo wird ſie dennoch in einigem Grade herabgeſetzt, und deſto mehr, je groͤßer der in die Ferne ge- ruͤckte Theil der Maſſe in Vergleichung gegen die ganze bewegte Maſſe iſt. Und nun werde ich Ihnen mit wenigen Worten den Zuſammenhang zwiſchen der Waͤrme oder Temperatur der ganzen Erde und den aſtronomiſchen Beobachtungen erklaͤren, und La- place's ſeltſam klingende Behauptung rechtfertigen koͤnnen. Es iſt eine, in einem andern Abſchnitte der Phyſik genauer zu erklaͤ- rende Erfahrung, daß die Koͤrper ſich ausdehnen, wenn ihre Tem- peratur groͤßer wird, und daß ſie ſich in einen engern Raum zuſam- men ziehen, bei abnehmender Waͤrme; alſo muß auch die Erde, wenn ihre Temperatur ſeit uralten Zeiten abgenommen haͤtte, jetzt einen etwas geringern Durchmeſſer, als in jenen fruͤhern Zeiten, haben. Aber bei einem ſo verkleinerten Halbmeſſer ſind alle Theile der Erdmaſſe der Erd-Axe naͤher geruͤckt, und die Umdrehungs- bewegung muß daher ſchneller geworden ſein, wenn im Laufe der Zeit irgend eine ſolche Aenderung ſtatt gefunden hat. Da nun die Zeit, in welcher die Erde eine taͤgliche Rotation vollendet, aus den alten Beobachtungen fuͤr jene Zeiten, aus den neuen Beobachtun- gen fuͤr unſre Zeit, bekannt iſt, und dieſe Laͤnge des Sternentages, G 2

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Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830/121>, abgerufen am 16.05.2024.